Markus Merk im Karriere-Interview: Tragödie um Foe? "Mein erster Gedanke war: Der lebt nicht mehr"

Von Philipp Schmidt
Markus Merk war einer der besten Schiedsrichter der Welt.
© getty

Dreifacher Weltschiedsrichter, eigene Zahnarztpraxis, Extremsportler, TV-Experte in der Türkei, Gründer eines Hilfsprojekts in Indien: Markus Merk kann auf und neben dem Platz auf eine illustre Laufbahn zurückblicken - und hat dies in einem ausführlichen Interview mit SPOX und Goal getan.

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Im ersten Teil des Interviews spricht Merk über seine Schiedsrichterkarriere, in der er zwischen 1988 und 2008 339 Partien in der Bundesliga leitete - über seine ersten Spiele im Alter von nur zwölf Jahren, welchen entscheidenden Einfluss die Bundeswehr auf seinem Weg hatte und die Vereinbarkeit mit seinem eigentlichen Beruf als Zahnarzt.

Zudem blickt er auf positive wie negative Karrierehöhepunkte zurück: "Mach et, Otze", Messis Rote Karte bei dessen Länderspieldebüt nach 44 Sekunden, das EM- und Champions-League-Finale, Schalkes Fast-Meisterschaft 2001, den Tod von Marc-Vivien Foe beim Confed-Cup sowie die schreckliche Heim-WM.

Herr Merk, in Ihrer Jugend waren Sie zehn Jahre lang Messdiener, später wurden Sie promovierter Zahnarzt mit einer eigenen Praxis. Wie sind Sie überhaupt zum Fußball gekommen?

Markus Merk: Ich bin in Kaiserslautern geboren, mein Elternhaus steht genau 300 Schritte vom Fritz-Walter-Stadion entfernt. Mein Papa war einer der letzten großen Ehrenamtler im Verein. Deshalb war sein großer Traum: Wenn ich mal ein Haus bauen kann, dann auf dem Betzenberg. 1968 fingen wir an. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur das Stadion und den Wald und er hat einen der letzten Bauplätze bekommen. Als wir eingezogen sind, war ich acht Jahre alt.

Schon zuvor haben Sie für den FCK gespielt.

Merk: Genau. Mit fünf habe ich meinen ersten Spielerpass beim FCK bekommen und durfte bei der gerade gegründeten E-Jugend mitmachen. Ich war der Kleinste. Es gab noch nicht einmal Fußballschuhe in meiner Größe. Ich habe dann mit den ersten Worten, die ich schreiben konnte, die Firma Adidas angeschrieben. Die schickten mir das Modell "Uns Uwe" in Größe 30 zu.

Markus Merk (2.v.l.) war am 31. Oktober 1970 im Alter von acht Jahren einer der stolzen Gratulanten, als Fritz Walter im später nach ihm benannten Stadion das Bundesverdienstkreuz verliehen wird.
© Markus Merk
Markus Merk (2.v.l.) war am 31. Oktober 1970 im Alter von acht Jahren einer der stolzen Gratulanten, als Fritz Walter im später nach ihm benannten Stadion das Bundesverdienstkreuz verliehen wird.

Merk: Erster Einsatz? "Mutter musste schwarze Bluse opfern"

Wie sind Sie schließlich dazu gekommen, Schiedsrichter werden zu wollen?

Merk: Mein Papa hat seit Beginn der Bundesliga 1963 die Schiedsrichter betreut. Die reisten immer einen Tag vor dem Spiel an, wurden abgeholt und gingen mit den Betreuern essen. Das waren richtige Bekanntschaften und so kam ich damit in Kontakt. Es kam oft vor, dass die Schiedsrichter nach den Spielen bei uns auf der Couch saßen, weil sie die Sportschau sehen wollten. Ich war leidenschaftlicher Kicker, aber die Schiedsrichter mit ihrem Team haben mich fasziniert.

Ab wann sagten Sie dann: Ich will Schiedsrichter werden?

Merk: Mit zwölf. Heute ist das normal, aber damals ging das beim DFB erst ab 15. Ich bekam eine Sondergenehmigung und konnte so die Prüfung machen. Ich habe dann in der Nachbarschaft mein erstes Spiel gepfiffen und direkt einen Aufstieg hingelegt.

Inwiefern?

Merk: Ich pfiff zunächst ein E-Jugend-Spiel. Anschließend spielte noch die D-Jugend, aber der Schiedsrichter kam nicht. Daher durfte ich da auch noch pfeifen - ein Aufstieg von einer Altersklasse am ersten Tag! Es gab auch keine Spielkleidung, noch nicht einmal schwarze Hemden für Kinder. Meine Mutter musste ihre schwarze Bluse opfern. So nahm alles seinen Lauf. Ich war später dann in allen Klassen der Jüngste. Mit 23 in der 2. Liga und mit 26 in der Bundesliga zu pfeifen, war eine Revolution. 'Vom Running Gag zum Bundesliga-Schiedsrichter', schrieb die Presse.

Sie wurden auf dem Weg zum Bundesliga-Schiedsrichter von der Bundeswehr eingezogen. Das passte Ihnen bestimmt nicht in den Kram, oder?

Merk: Im Mai 1981 machte ich Abitur und am 1. Juli hieß es: Ab zur Grundausbildung! Nach ein paar Wochen wurde mir klar: Das wird jetzt richtig blöd für meine Schiedsrichterei. Ich wollte ja jede Woche pfeifen und in den Ligen aufsteigen. Eine längere Pause konnte ich mir nicht erlauben.

Wie haben Sie das letztlich gelöst?

Merk: Ich habe mich während der Grundausbildung für zwei Jahre fest verpflichtet, damit ich in die US-Airbase nach Ramstein in der Nähe von Kaiserslautern komme. Albert Dusch, mein damaliger Lehrmeister beim Verband - übrigens ebenfalls aus Kaiserslautern und 1958 sowie 1962 WM-Schiedsrichter -, hat ein Schreiben aufgesetzt. Da mein Vorgesetzter in der Kaserne fußballbegeistert war, erhielt ich diese Möglichkeit, musste mich aber verpflichten und sofort unterschreiben.

Was haben Ihre Eltern gesagt?

Merk: Mein Papa ist fast ausgeflippt. Ich erklärte ihm aber, dass ich sonst nicht weiter pfeifen könnte. Dann hatte ich erneut Glück: Eigentlich sollte ich in den Bunker, wurde aber im Personalbüro eingesetzt. Die ganze Bürokratie der Region lag da auf dem Schreibtisch. Als ich aber mitbekam, wie brutal die Arbeit und Dienstzeiten im Bunker sind, war ich froh mit dem Bürojob. Ich durfte sogar frühzeitig gehen.

Um Zahnmedizin in Köln zu studieren.

Merk: Ich studierte fünf Jahre und eröffnete danach in Kaiserslautern eine Praxis. 1988 kam ich in die Bundesliga, das war aber auch das Examenssemester mit 14 oder 15 Prüfungen. Damals wusste ich schon, dass ich mit 35 aber etwas anderes in meinem Leben machen will. Daran erinnerte ich mich, als ich dann 35 war und in meiner Praxis stand. Die hatte ich aber erst ein paar Jahre und der Kredit lief noch. Letztlich verkaufte ich die Praxis nach zwölf Jahren - unwissend, was kommen sollte.

Sein erstes Bundesligaspiel leitete Merk am 20. August 1988 zwischen dem VfL Bochum und Bayer Uerdingen.
© imago images / Horstmüller
Sein erstes Bundesligaspiel leitete Merk am 20. August 1988 zwischen dem VfL Bochum und Bayer Uerdingen.

Merk über Leistungstest: "Schon immer ein ziemliches Tier"

Wie war denn die Arbeit in der Praxis mit dem Schiedsrichter-Job in der Bundesliga vereinbar?

Merk: Die Praxis war die Naherholung. Freitags stand um 17 Uhr mein Assistent vor der Tür und holte mich ab. Im Jahr der Praxis-Eröffnung kam ich zudem auf die internationale Schiedsrichterliste - und dann wird es unberechenbar. 1992 wurde ich ohne einen einzigen internationalen Einsatz für Olympia in Barcelona nominiert.

Wie das?

Merk: Durch die Herabsenkung der Altersgrenze von 50 auf 45 Jahre sind zahlreiche Kollegen nicht mehr in Frage gekommen. Es wurde auch ein größerer Wert auf Athletik gelegt und in der Hinsicht war ich schon immer ein ziemliches Tier. Meinen ersten Marathon lief ich mit 15. Beim Cooper-Test in der Olympia-Vorbereitung bin ich knapp 3.500 Meter gelaufen, ein absoluter Spitzenwert. Direkt am Eröffnungstag kam es dann zu einer verrückten Partie.

Sie pfiffen das Spiel des Gastgebers gegen Kolumbien und verteilten vier Rote Karten.

Merk: Die Spiele zwischen südeuropäischen und südamerikanischen Mannschaften im U-Bereich waren immer die schwersten, mit vielen Platzverweisen und einer harten Spielweise. Damals gab die FIFA vor, Tacklings von hinten direkt mit Rot zu ahnden. Es ging dann heiß her und gab auf beiden Seiten Gelb-Rot und Rot, das passierte mir in meiner Karriere nie wieder. Direkt danach wurde ich aber für die U20-WM nominiert. Das war für mich eine Bestätigung.