Borel Moukoko ist der ältere Bruder von Youssoufa, der bei Borussia Dortmund zum jüngsten Spieler der Bundesligageschichte wurde. Auch der 20-Jährige ist Fußballer und versucht, im Profibereich Fuß zu fassen.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Moukoko über das Leben seiner Familie in Kamerun und den Start in Deutschland.
Zudem äußert er sich zu seinen bisherigen Stationen im deutschen Fußball und erklärt, wie sein Bruder Youssoufa mit dem frühen Hype um ihn umgegangen ist.
Herr Moukoko, von Ihrem Bruder Youssoufa weiß man, dass er im Oktober 2014 mit seinem Vater und seiner Mutter nach Deutschland gekommen ist. Ihr Vater wohnt bereits seit den 1990er-Jahren als deutscher Staatsbürger in Hamburg-Harburg. Wann genau sind Sie nach Deutschland gekommen?
Borel Moukoko: Am 1. Dezember 2016, da war ich 16 Jahre alt. Ich bin zusammen mit meinem Vater hierher geflogen, meine leibliche Mutter ist in Kamerun geblieben. Youssoufa und ich haben unterschiedliche Mütter, aber denselben Vater.
Aus welchen Gründen ist Ihr Vater einst allein nach Deutschland gekommen, während seine Familie in Kamerun blieb?
Moukoko: Er hat versucht, hier Arbeit zu finden. Ihm war am Anfang natürlich noch völlig unklar, wie alles genau in Europa abläuft. Er musste wie viele Ausländer, die in ein fremdes Land gehen, viel kämpfen, um Anschluss zu finden. Später hat er das deutsche Abitur gemacht, danach studiert und als Ingenieur und Mechaniker gearbeitet. Er hat teilweise lieber gearbeitet, statt zu schlafen. Nur, um auch uns eines Tages die Chance zu ermöglichen, eine bessere Zukunft zu haben. Was wir sind, sind wir dank ihm.
Wie ist bei Ihnen die Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, gefallen?
Moukoko: Mein Vater hat im Grunde zwei Jahre lang dafür gekämpft und alles Notwendige organisiert, damit auch ich nachkommen kann. Ich habe mich deshalb entschieden, weil ich meine Zukunft im Fußball sehe. Ich will Profi werden, wie jeder Fußballer. Der Fußball war schon immer meine große Leidenschaft. Um das aber auf professionellere Beine zu stellen, war klar, dass ich dafür nach Europa kommen muss. Hier ist die fußballerische Ausbildung ja viel besser als in Kamerun.
Wie sah Ihr Alltag in Kamerun aus und welche Rolle hat der Fußball in Ihrem Leben dort gespielt?
Moukoko: Wir haben dort alle zusammen unter einem Dach gewohnt, ich ging ganz normal zur Schule und habe auf der Straße Fußball gespielt. Meistens wurden Turniere veranstaltet und wir haben in unorganisierten Teams gegeneinander gespielt. Sich einem Klub anzuschließen, war sehr schwer für mich. Meine Mutter war dagegen, für sie sollte die Schule im Vordergrund stehen. In Kamerun denken generell viele Eltern, dass einem der Fußball keine gute Zukunft bringen würde. Ich bin dann oft kicken gegangen, wenn meine Mutter bei der Arbeit war. (lacht) Mein Vater war da anders. Er sagte, wenn ich den Traum habe, eines Tages professionell Fußball zu spielen, warum nicht? Er hat mir die Entscheidung überlassen - und ich habe mich für Deutschland entschieden.
Youssoufa ist vier Jahre jünger als Sie. Hat er damals in Kamerun bei den Großen mitgespielt?
Moukoko: Klar, wir haben oft gemeinsam auf der Straße gekickt. Sein Talent war immer unübersehbar. Er war selbst als kleiner Knirps vielen überlegen und hat schon damals nur ans Toreschießen gedacht. Sobald er den Ball bekam, gab es für ihn nur eine Richtung - nach vorne zum Tor.
Waren Sie als Kinder Fan von einer bestimmten Mannschaft?
Moukoko: Nicht wirklich. Ich habe gerne Barcelona, Real, Liverpool und Bayern geschaut und beobachtet, wie sich die Spieler verhalten, damit ich so viel wie möglich davon lerne. Youssoufa stand schon immer vor allem auf Lionel Messi. Auch die Spiele aus den europäischen Top-Ligen oder der Champions League haben wir oft zusammen verfolgt. Das war immer herrlich. In Afrika ist es nämlich selten, dass die Leute für sich allein zu Hause vor dem Fernseher sitzen und Fußball schauen. Die meisten gehen in eine Bar und gucken dann gemeinsam. Da kommen bei Topspielen in der Champions League schon mal 100 Leute zusammen. Man ist dann auch nicht gezwungen, etwas zu bestellen, sondern kann einfach dort sitzen und das Spiel sehen. Wenn dann ein Tor fällt, rasten viele total aus und freuen sich für die Vereine, die sie unterstützen.
Womit hatten Sie die meisten Schwierigkeiten, als Sie nach Deutschland kamen, wie lief es bei der Integration?
Moukoko: Damit hatte ich keine Probleme. Ich fand es geil, als ich das erste Mal Schnee gesehen habe. Ich war und bin insgesamt ja hochzufrieden, dass ich bei meinem Vater und Bruder sein kann. Das veränderte Klima war mir egal und hat mich nicht am Fußballspielen gehindert. Als ich ankam, ging ich erst einmal ein halbes Jahr regelmäßig in einen Deutschkurs. Die Sprache war anfangs nicht leicht für mich, das hat dann aber schnell besser geklappt - wir führen das Interview ja auch auf Deutsch. (lacht) Anschließend bin ich in die 8. Klasse einer Realschule gekommen. Als ich irgendwann 18 war, wurde mir aber klar: Um mein Ziel zu erreichen und Profifußballer zu werden, muss ich genau jetzt richtig Gas geben.
Youssoufa hat relativ schnell nach dem Umzug nach Deutschland beim FC St. Pauli angefangen. Wie war es bei Ihnen?
Moukoko: Genauso. Ich hatte eine Woche lang ein Probetraining bei der U17 von St. Pauli unter Timo Schultz, dem heutigen Chefcoach der Profis. Er meinte, ich habe mich sehr gut geschlagen und ein ordentliches Niveau. Er wollte mich auch behalten, die Aussicht auf regelmäßige Spielzeit war aber nicht da. Mein Vater sagte aber, ich müsse sofort spielen, um auch weiterzukommen. Schultz hat mir dann den Kontakt zu seinem aktuellen Co-Trainer Loic Fave vermittelt, der damals die U17 beim Eimsbütteler TV trainiert hat.
Wie ging es dann weiter?
Moukoko: Ich habe dort zwei Wochen lang mittrainiert, bin aber nicht geblieben. Die U17 des ETV spielte in der Regionalliga, die U19 vom Niendorfer TSV aber in der Bundesliga. Deshalb bin ich mit meinem Vater einfach mal dort vorbei gegangen und habe nach einem Probetraining gefragt. Das habe ich dann auch absolviert. Der Trainer war begeistert und meinte, so etwas habe er noch nicht gesehen - ich solle am nächsten Tag gleich bei der U23 mittrainieren. Dort blieb ich dann, musste aber recht lange auf meine Spielerlaubnis warten. In der ersten Saison war ich bei der U19, in der zweiten haben wir mit der U23 den Holsten-Pokal der 2. Liga-Mannschaften 2019 gewonnen.
Stimmt es eigentlich, dass Ihr Vater Fan des HSV ist, aber trotzdem meinte, Youssoufa solle zu St. Pauli gehen, weil dort die Jugendarbeit besser ist?
Moukoko: Das weiß ich nicht genau. Dass er HSV-Fan ist, kann ich aber bestätigen - und was für einer! Spielt der HSV, schickt er uns alle aus dem Zimmer. Er will da niemanden hören und braucht seine Ruhe. (lacht)
Auf welcher Position kommen Sie denn bevorzugt zum Einsatz?
Moukoko: Am liebsten spiele ich im linken Mittelfeld, bin aber auch schon als Sechser und Linksverteidiger aufgelaufen. Alle meine bisherigen Trainer meinten aber, sie sehen in mir einen Offensivspieler, weil ich schnell, aggressiv und beidfüßig bin.
2016 ist Youssoufa nach zwei Jahren in Hamburg zum BVB gewechselt und nach Dortmund gezogen. Wie haben Sie Kontakt gehalten?
Moukoko: Wir haben uns jeden Tag ausgetauscht, ob am Telefon oder vor Ort. Mein Vater und ich sind an jedem freien Tag nach Dortmund gefahren. Wir haben seine Spiele angeschaut und unsere Freizeit bei und mit ihm verbracht. Es war für ihn wie für jeden kleinen Jungen in seinem Alter sehr schwierig, plötzlich nicht mehr zu Hause zu wohnen. Daher möchte ich hier im Namen meiner Familie auch die Gelegenheit nutzen und mich bei allen Leuten vom BVB bedanken, die ihm in dieser Zeit geholfen haben. Ich bin sehr stolz auf ihn, denn er ist in all der Zeit immer auf dem Boden geblieben, war konzentriert und diszipliniert und hat sich gut und höflich verhalten.
Auch Sie sind schließlich im Juni 2019 ins Ruhrgebiet gezogen und haben eine Saison lang beim ETB Schwarz-Weiß Essen in der Oberliga Niederrhein gespielt. Wie kam der Wechsel zustande?
Moukoko: Über einen Berater, der Kontakt zum ETB hatte. Mein Vater fand es auch gut, dass ich dadurch in der Nähe von Youssoufa war. Dort war zunächst wieder zwei Wochen lang Probetraining angesagt, danach durfte ich einen Vertrag unterschreiben. Anfangs habe ich in Essen bei diesem Berater übernachtet, der mir geholfen hat. Er ist mittlerweile wie ein zweiter Vater für mich. Danach zog ich aber in meine eigene Wohnung. Mit Youssoufa konnte ich ja nicht zusammenziehen, er wohnte damals noch im Internat des BVB. Sobald es uns der Fußball aber erlaubte, haben wir uns getroffen und Zeit miteinander verbracht.
In Essen wurden Sie in der vergangenen Spielzeit nur zweimal eingewechselt. Wieso haben Sie nicht häufiger gespielt?
Moukoko: Ich wollte natürlich mehr spielen und hoffte, häufiger meine Chancen zu erhalten. Ich war meistens im Kader und konnte dort insgesamt viel lernen, auch wenn ich der Mannschaft gerne mehr geholfen hätte. Ich glaube, ich habe immer gut trainiert und Gas gegeben, aber der Trainer hat sich so entschieden und das muss man respektieren. Es war eine gute Zeit, der Verein ist wie eine Familie.
Sie haben den ETB nach der Saison wieder verlassen, weil Sie höher spielen wollten - am liebsten im Profibereich. Wieso hat es nicht geklappt, einen neuen Verein zu finden?
Moukoko: Ich stand kurz vor dem Wechsel zu einem Verein in der Regionalliga. Nach dem Probetraining wollte mich der Trainer verpflichten, doch der Manager war noch im Urlaub. Ich sollte auf ihn warten, damit er den Vertrag fertig macht. Leider hatte ich dann ziemliches Pech, weil ich mich im letzten Training an der Leiste verletzt habe. Als der Manager wieder da war, haben wir geredet und er meinte, das der Transfer nicht zustande kommen würde. Ich war verletzt, Corona hat seine Auswirkungen, sie wollten daher lieber einem gesunden Spieler eine Chance geben. Ich hatte nach Essen einige Angebote, nicht nur aus Deutschland, auch aus der Schweiz und Frankreich. Ich wollte aber erst einmal in Deutschland bleiben, was ja auch geklappt hätte, wenn ich mich nicht verletzt hätte.
Kurz darauf, im November 2020, feierte Youssoufa gegen Hertha BSC sein Debüt für die Profis und wurde zum jüngsten Bundesligaspieler aller Zeiten. Wie haben Ihre Familie und Sie diesen Tag erlebt?
Moukoko: Wenn das Coronavirus nicht wäre, wären wir mit der gesamten Familie natürlich in Berlin auf der Tribüne gesessen und hätten live mitgefiebert. Es wäre schön gewesen, wenn nach dem Spiel alle auf dem Platz gestanden und ein gemeinsames Bild mit Youssoufas Trikot gemacht hätten. So aber waren alle zu Hause, haben dort geschaut und gefeiert. Ich selbst allerdings nicht, ich war damals bei einem guten Kumpel im Ausland. Ich brauchte eine kleine Luftveränderung und musste mal raus aus Hamburg, wo ich mittlerweile wieder wohne. Wir haben das Spiel aber selbstverständlich auch dort gesehen und uns riesig gefreut, als er eingewechselt wurde. Davon habe ich ihm dann auch ein Video geschickt. Er hat sich diesen Rekord einfach total verdient, weil er immer hart an sich gearbeitet hat.
Youssoufa wurde früh als Wunderkind bezeichnet und hat in den Dortmunder Jugendteams unglaubliche Torquoten aufgewiesen. Wie ist Ihre Familie und er mit dem permanenten Hype in den Medien umgegangen?
Moukoko: Man kann es ja leider nicht beeinflussen, was in den Medien steht. Zumal Youssoufas Geschichte schlicht außergewöhnlich war und ist. Die Medien müssen sie ja quasi aufschreiben und darüber berichten. Was soll er dagegen machen? Weniger Tore schießen? Wenn du in etwas so gut bist wie er, reden die Leute einfach über dich, das lässt sich nicht ändern. Wir haben ihn als Familie immer unterstützt, aber auch motiviert, weiter hungrig zu bleiben und sich nicht auf den frühen Erfolgen auszuruhen. Der Hype um ihn oder damals die Diskussion um sein Alter hat ihn nicht wesentlich interessiert. All das hat ihn vor allem nicht von seinem Weg abgebracht - und das ist das Wichtigste.
Wie sieht es derzeit denn bei Ihnen aus, wo wegen Corona kein Fußball gespielt wird und Sie derzeit vereinslos sind?
Moukoko: Ich trainiere täglich und tue alles, um mich fit zu halten. Das mache ich entweder für mich alleine, indem ich laufen gehe, oder zusammen mit einem Freund per Videocall. Er ist so etwas wie mein persönlicher Trainer. Auch mit dem Ball trainiere ich weiterhin zusammen mit einem anderen Freund, aber das ist durch den Lockdown aktuell natürlich erschwert.
Wie blicken Sie nun in die Zukunft: Ist es auch möglich, dass Sie zu einem Verein wechseln, der weiter von Ihrem Bruder entfernt ist als bisher?
Moukoko: Klar. Ich kämpfe weiter für mein Ziel und arbeite darauf hin, im Sommer wieder bei einem Verein einzusteigen. Damals war die Nähe zwischen mir und Youssoufa eine gute Lösung für uns beide. Heute schließe ich nicht aus, weiter weg von ihm zu sein. Er ist ja jetzt ohnehin ständig mit den Profis unterwegs. Daher ist mir der Standort relativ egal. Ich richte mich nach möglichen Angeboten und schaue ganz offen, was auf mich zukommt.