Mit seiner Klage gegen den DFB, dem er Altersdiskriminierung vorwirft, hat Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe für Aufsehen gesorgt. Er fordert eine finanzielle Entschädigung, da er gegen seinen Willen in den Ruhestand geschickt wird. Kein Verständnis für dieses Vorgehen hat der dreimalige Weltschiedsrichter Markus Merk (59), der sich weiter für die Beibehaltung der Altersgrenze bei den Unparteiischen stark macht.
"Man kann absolut darüber diskutieren, ob sie dem Leistungsprinzip entspricht, aber wir brauchen eine Entwicklung und müssen immer den Gesamtkontext sehen", sagt Merk im Gespräch mit SPOX und Goal über die Obergrenze von 47 Jahren für einen Bundesliga-Schiedsrichter und nimmt dabei in erster Linie den Nachwuchs in den Blick: "Es ist ein Problem unserer Gesellschaft, dass die Alten nicht loslassen können und den Nachkommenden die Chancen auf ein Vorankommen erschweren. Wir brauchen einen Wandel und eine Durchlässigkeit."
Das Schiedsrichterwesen verzeichne im Nachwuchs sinkende Zahlen. Während Gräfe betonte, ihm "wurde genommen, was mir Freude macht", bezeichnet es Merk "als riesiges Privileg", all diese Höhepunkte überhaupt erleben zu dürfen und machte 2008 ein Jahr vor dem Erreichen der Altersgrenze nach 339 Einsätzen in der Bundesliga den Weg für die Jüngeren frei (hier geht es zum Karriere-Interview).
"Die Zahl der Plätze in der Bundesliga ist nun einmal begrenzt. Es handelt sich um ein Pyramidensystem, werden ganz oben Positionen versperrt, wirkt sich das bis ganz nach unten aus. Ein junger Schiedsrichter glaubt daran, es in die Bundesliga schaffen zu können. Das muss auch so bleiben."
Das Thema Altersgrenze sei "fast so alt wie das Schiedsrichterwesen selbst" und wurde ursprünglich eingeführt, um der "zunehmenden Dynamik des Spiels gerecht zu werden. Sie sollte dafür sorgen, dass der Schiedsrichter nicht nur als Spielverwalter, sondern als gleichberechtigter Sportler gesehen wird und hat dem Ansehen der Branche sehr gut getan." Der Tatsache, dass auch ältere Schiedsrichter wie Gräfe (47) mittlerweile in der Lage seien, den körperlichen Anforderungen gerecht zu werden, ist sich Merk bewusst, zumal "durch den Videoschiedsrichter die spielentscheidenden Fehler auch noch aus dem Spiel genommen" werden.
Dass Gräfe "national durchaus ein beliebter und erfolgreicher Schiedsrichter" ist, wie auch die Bekundungen der Spieler wie Freiburgs Christian Günter in der Endphase der vergangenen Saison zeigten, will Merk nicht in Abrede stellen, aber: "Gräfe war jetzt auch nicht der Schiedsrichter des letzten Jahrhunderts - das Maß aller Dinge. Da gab es andere in Deutschland und in Europa, die aufhören mussten. Irgendwann ist einfach mal Schluss."
Als Beispiel nennt Merk Pierluigi Collina, der "zudem in diesem Alter noch topfit" war. Gräfe ist seit 2007 FIFA-Schiedsrichter und brachte es seitdem auf sechs Einsätze in der Champions League und 15 Länderspiele.
gettyGräfe gegen Altersgrenze: "Nicht mehr zeitgemäß"
Bei den Aussagen von Gräfe handele es sich um "die Sichtweise eines Einzelnen", die es schon immer von Zeit zu Zeit gegeben habe. Als sich Gräfe, "der medial eine hohe Präsenz hat", geäußert hat, hätten sich sofort auch andere Bundesliga-Schiedsrichter angeschlossen. Neben Gräfe haben die Bundesliga-Referees Guido Winkmann und Markus Schmidt die Altersgrenze erreicht.
Gräfe bezeichnete die Altersgrenze als "nicht mehr zeitgemäß", sie schade dem Fußball. "Ich bin grundsätzlich ein Freund davon, dass es nach Leistung gehen sollte", sagte Gräfe dem Zeit Magazin. Zudem vermute er aufgrund seiner unbequemen Art "eine sportpolitische oder persönliche Retourkutsche - weil es kein Argument gibt". Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich begründete die Entscheidung gegen eine Ausnahmeregelung mit den Aspekten "Weiterentwicklung und Strategie in der Kaderplanung".
Während der Berliner, der 289 Bundesligaspiele pfiff, betonte, sich mit der Klage für seine Kollegen stark machen zu wollen, sieht Merk dies vollkommen anders: "Die Klage, die für einzelne Gräfes einen Vorteil hätte, wäre für die Jungen wiederum ein Nachteil. Es geht in erster Linie um das eigene Ego, es ist ein subjektives Empfinden."
Zwar sei "jedem zugestanden", ein solches Vorgehen zu wählen, es "entstehe jedoch der Eindruck: 'Ich kämpfe für meine Kollegen.' Aber im Endeffekt wird der Kampf für eine kleine Minderheit geführt. Sein Argument scheint für viele einleuchtend, hat aber eine Kehrseite. Wir sprechen hier von Sport!"