Wo steckt eigentlich Christian Wörns? Nach seinem Karriereende im Mai 2008 ist es still um den 66-maligen Nationalspieler geworden. Grund genug für SPOX, einmal beim Ex-Dortmunder nachzufragen.
Im Interview spricht der 37-Jährige über seinen Alltag als Jugendtrainer und Hobbykicker, den Abschied beim BVB und die zwischenmenschlichen Probleme von Jürgen Klinsmann.
SPOX: Na endlich, Herr Wörns. Sie wissen ja gar nicht, wie schwer es ist, Sie zu erreichen. Wo erwische ich Sie denn gerade?
Christian Wörns: Jetzt zu Hause. Die Sommerferien in NRW sind nun vorbei und wir waren zuvor ein paar Wochen in Sardinien.
SPOX: Nach Ihrem Karriereende hat man eigentlich gar nichts mehr von ihnen gehört. Sind Sie dem Fußball verbunden geblieben?
Wörns: Ich trainiere die C-Jugend meines Sohns beim Hombrucher SV. Die haben sogar dreimal in der Woche Training, am Wochenende wird dann gespielt.
SPOX: Sie selbst haben fast 20 Jahre lang jeden Sommer eine Vorbereitung absolviert. Halten Sie sich in irgendeiner Weise fit?
Wörns: Ja, klar. Ich mache zweimal die Woche Krafttraining und versuche, jeden Tag zu laufen. Zudem kicke ich mit Kumpels in der Soccer World in Dortmund. Wenn ich Zeit habe, bin ich da montags und mittwochs mit dabei.
SPOX: Für die Kumpels ist es sicherlich ein Highlight, gegen einen ehemaligen Nationalspieler antreten zu dürfen.
Wörns: Naja, ich weiß nicht. Das ist alles eher freundschaftlich und mehr eine Art Hobbykickerei.
SPOX: Dann fehlt Ihnen die Schinderei also nicht?
Wörns: Wenn man das 20 Jahre lang gemacht hat, ist man auch froh, wenn's vorbei ist. Ich muss mich nicht mehr quälen. Wobei, ich habe mit Golf spielen angefangen und da muss ich es derzeit noch tun. (lacht)
SPOX: Mussten Sie sich auch dazu durchringen, Ihre Karriere zu beenden? Das Ende Ihrer Laufbahn ist aus meiner Sicht etwas untergegangen.
Wörns: Auch wenn es beim BVB nicht mehr geklappt hat, habe ich schon noch überlegt, ob ich weitermache. Aber nach drei, vier Wochen war meine Entscheidung dann klar.
SPOX: Sie haben sich seitdem größtenteils aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. War das eine bewusste Entscheidung?
Wörns: Ja. Ich war nie der Typ, der großartig in der Öffentlichkeit stehen musste. Das war mir dann gerade recht.
SPOX: Aber im März 2008 sagten Sie, dass Sie eine Fortsetzung Ihrer Karriere anstreben, weil Sie sich noch fit genug fühlen.
Wörns: Es gab auch Anfragen, aber es war einfach nicht mehr das Richtige dabei. Und auf Biegen und Brechen musste ich mir dann auch nichts mehr antun, wo ich nur mit halben Herzen dabei gewesen wäre. Ich hätte aber gerne in Amerika gespielt. Das hätte ich mir sehr gut vorstellen können.
SPOX: Im vergangenen Sommer hatte 1860 München Interesse an Ihnen. War für Sie die 2. Liga überhaupt denkbar?
Wörns: Ja, ich habe auch darüber nachgedacht. Aber mehr aufgrund des Standortes München, für den meine Familie und ich sehr große Sympathien hegen. Das haben wir aber ad acta gelegt, denn bei 1860 ging es ja drunter und drüber.
SPOX: Das war in Ihrer letzten Saison beim BVB genauso. Sind Sie enttäuscht, dass Dortmund Ihnen kein Hintertürchen - in welcher Form auch immer - offen gelassen hat?
Wörns: Nein. Ich muss mich eigentlich auch nur bei Präsident Reinhard Rauball melden. Wir haben uns hier mal beim Italiener getroffen. Ich habe seine Zusage, dass ich nur Bescheid sagen muss, wenn ich etwas beim BVB machen will. Das habe ich bisher aber nicht forciert.
SPOX: Warum nicht?
Wörns: Ich habe mich eben für Hombruch entschieden, weil ich da einfach mehr Freizeit habe. Bei einem Bundesligisten ist alles professioneller, weniger familiär und man hat mehr Termine. Deshalb habe ich das erstmal hintenan gestellt.
SPOX: Bitte mal ganz locker aus der Hüfte heraus: Welche Aufgabe würde Sie denn derzeit am meisten reizen?
Wörns: Ich sehe mich im Jugendtrainerbereich. Also genau das, was ich gerade in Hombruch mache. Deshalb habe ich das auch angenommen, damit ich da mal ein wenig hineinschnuppern kann.
SPOX: Ich muss noch einmal bei Ihrem Karriereende einhaken: In Dortmund gab es ja nur einen Blumenstrauß und kein Abschiedsspiel...
Wörns: Ich kann immer noch ein Abschiedsspiel machen. Das ist mir vertraglich zugesichert. Aber dafür bin ich irgendwie nicht der Typ. Der große Bahnhof war nie mein Ding.
SPOX: Den haben Sie aber bekommen, als für Sie und Robert Kovac der Begriff "Opa-Abwehr" erfunden wurde und durch die Medien geisterte. Hat Sie das beleidigt?
Wörns: Das hat ja schon vor der Saison angefangen und wurde dann eben von allen übernommen. Und das, ohne auch einmal zu hinterfragen, ob denn überhaupt die Abwehr schuld ist. Vielleicht waren es ja auch die Stürmer oder Mittelfeldspieler. Ich denke, dass jeder seinen Anteil an der schlechten Leistung hatte und man nicht einfach ein, zwei Spieler herauspicken sollte.
SPOX: Sie fanden sich dann plötzlich auf der Bank wieder. Das gab es zuvor eine halbe Ewigkeit nicht.
Wörns: Zum Schluss habe ich ja auch wieder gespielt. Aber natürlich war auf der einen Seite meine Leistung nicht so gut, auf der anderen Seite hat man aber auch einen Sündenbock gesucht. Fußball ist ein Mannschaftssport, aber man hat mich und Kovac herausgepickt. So hat man es sich natürlich auch ein wenig einfach gemacht.
SPOX: Inwiefern?
Wörns: Bevor Jürgen Klopp kam, hat man viele Spieler abgegeben, weil auch bei denen die Leistung nicht gestimmt hat. Ich habe das aber sportlich genommen. Das ist dann auch irgendwo das Los eines Führungsspielers. Ich wollte mich vor die Mannschaft stellen und habe damit den ganzen Druck auf meine Schultern geladen. Vielleicht hätte ich da auch mal etwas sagen müssen.
SPOX: Unter Klopp ist der BVB wieder in die Spur gekommen. Hat Sie das überrascht?
Wörns: Dass die Saison besser werden wird als die vorherige, das war von Anfang an klar. Die Siegesserie in der Rückrunde hat das Bild natürlich auch geschönt. Vorher war es eher ein Auf und Ab. Man ist im UEFA-Cup nicht in die Zwischenrunde gekommen und hat im letzten Saisonspiel den Matchpoint für die Europa League nicht verwandelt. Ein sechster Platz hört sich ganz gut an, aber letztendlich steht man mit leeren Händen da.
SPOX: Das stimmt. Aber gerade im Abwehrbereich, wo ein kompletter Kurswechsel vollzogen wurde, hat sich einiges gebessert.
Wörns: Man darf nicht vergessen, dass beispielsweise Mats Hummels schon zu meiner Zeit da war und sich nicht durchsetzen konnte. Wie gesagt, die Defensivleistung besteht nicht nur aus der Abwehrkette, sondern aus der ganzen Mannschaft. Die ganze Rückwärtsbewegung war damals eine Katastrophe. Es wurde ja auch fast das gesamte Mittelfeld ausgetauscht. Da war man mit anderen Spielern bestimmt auch nicht zufrieden. Aber die hatten eben nicht den großen Namen, so dass man sie nicht durch den Kakao ziehen konnte.
SPOX: Lassen Sie uns noch ein wenig weiter zurückblicken. Hätten Sie kurz vor der WM 2006 gedacht, dass Sie drei Jahre später so dastehen wie jetzt?
Wörns: Ich war ja damals auch schon 34. Da weiß man, dass die Karriere bald zu Ende ist. Ob das nun ein Jahr früher oder später ist, das spielt keine Rolle. Ich habe mit 36 Jahren als Feldspieler aufgehört, da kann ich nicht meckern. Bei manchen geht es ja schon mit Verletzungen los, wenn sie noch nicht mal 30 sind. Ich bin noch relativ fit und muss nicht jeden Morgen eine Voltaren einschmeißen (lacht).
SPOX: Sie gerieten damals in die Kritik, weil Sie vehement Ihre WM-Nominierung forderten. Würden Sie sich heute wieder genauso verhalten?
Wörns: Es hieß doch immer, dass es nach dem Leistungsprinzip geht. Wenn aber meine Manndeckerkollegen im Verein nicht spielen, wie will man dann nach dem Leistungsprinzip gehen? Da habe ich mich eben veräppelt gefühlt.
SPOX: Also keinerlei Reue?
Wörns: Ich hätte es natürlich auch anders regeln und beispielsweise meinen Rücktritt anbieten können. Aber einen Konkurrenzkampf zu schüren, den es nicht gibt? Da brauche ich mich mit 34 auch nicht mehr veräppeln zu lassen.
SPOX: Können Sie daher die "Fälle" Kevin Kuranyi oder Jermaine Jones nachvollziehen?
Wörns: Eigentlich schon. Kuranyi schießt im Verein seine Tore, manche seiner Konkurrenten sitzen auf der Bank und dann sitzt er beim Russland-Spiel plötzlich auf der Tribüne. Da ist doch klar, dass man sich sagt: "Ich dachte, es geht nach Leistung". Aber wo sieht man denn die Leistung? Sicher nicht im Training bei der Nationalmannschaft.
SPOX: Sondern?
Wörns: In der Bundesliga natürlich. Da heißt es doch immer, dass man dort beobachtet wird. Letzten Endes besteht das Problem darin, dass der Konkurrenzkampf für manche gilt, für manche aber nicht.
SPOX: Für wen gilt er denn Ihrer Meinung nach nicht?
Wörns: Es kommt darauf an, was man für ein Typ ist. Entweder man ist einer, der seinen Mund hält oder eben einer, der auch mal etwas sagt.
SPOX: Haben Sie eine Begründung dafür, dass der Konkurrenzkampf unterschiedlich ausgelegt wird, wie Sie sagen?
Wörns: Vielleicht steht der Joachim Löw auf Spielertypen wie Lukas Podolski. Das ist auch sein gutes Recht, die kann er auch spielen lassen. Aber dann braucht man keinen Konkurrenzkampf auszurufen, den es überhaupt nicht gibt. Das ist einfach der entscheidende Punkt.
SPOX: Sie haben deswegen Jürgen Klinsmann als "link" bezeichnet. Er ist in der letzten Saison grandios beim FC Bayern gescheitert. Wie beurteilen Sie sein Engagement als Vereinstrainer?
Wörns: Er hat eine unglaubliche Euphorie entfacht, das war gut. Aber sein Problem ist, dass er immer so getan hat, als ob er den Fußball neu erfunden hätte. So eine tägliche Arbeit ist eben etwas anderes, wie wenn man sich mit der Nationalelf alle paar Monate mal trifft.
SPOX: In welcher Hinsicht?
Wörns: Da trifft man auf gestandene Spieler. Bei seinen Anfängen in der Nationalmannschaft tummelten sich dort vornehmend junge Spieler, die nur hinterhertrotteten und nichts hinterfragten. Mit den Stars muss man einfach anders umgehen wie mit 19- oder 20-Jährigen. In diesem zwischenmenschlichen Bereich hat er immer Probleme gehabt.
SPOX: Aber deshalb ist er nicht rausgeschmissen worden.
Wörns: Nein, er ist natürlich wegen den Ergebnissen rausgeworfen worden. Die haben nicht gestimmt. Da gab es zum Teil ja Riesenklatschen. Das war auch in der Nationalmannschaft so. Wir hatten Glück, dass wir für die WM 2006 keine Qualifikation spielen mussten, sonst hätte ein solcher Umbruch gar nicht stattfinden können. Das wird oft vergessen.
SPOX: Wollen Sie damit sagen, dass sich Deutschland bei einer etwaigen Qualifikationsphase nicht qualifiziert hätte?
Wörns: Unter dem Strich steht für die Öffentlichkeit ein dritter Platz bei der Weltmeisterschaft. Aber in den zwei Jahren zuvor gab es einige Ergebnisse, die gar nicht gut waren. Das war alles schon sehr durchwachsen.
SPOX: Wir haben nun eine ganze Menge zurückgeblickt. Ein letztes Mal noch: Woran erinnern Sie sich in Ihrem Fußballerdasein am liebsten?
Wörns: Das sind zwei Dinge: Der Pokalsieg mit Bayer Leverkusen 1993 und die deutsche Meisterschaft mit Dortmund 2002. Schön waren aber auch die internationalen Auftritte in der Champions League oder mit der Nationalmannschaft.
SPOX: Und woran gar nicht gern?
Wörns: An jede Niederlage.
SPOX: Zählt da auch die verpasste WM im eigenen Land dazu?
Wörns: Das ist natürlich schade. Aber da müssen auch andere mitspielen. Meine Leistung hat gestimmt.
SPOX: Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was wäre das?
Wörns: Ich bin eigentlich wunschlos glücklich. Wenn ich morgens aufwache, bin ich sehr dankbar für mein Leben.