Im Prinzip begann alles schon zum Ende der abgelaufenen Saison. Hertha BSC war zwei Spieltage vor Schluss mittendrin im Meisterrennen, aber hinter den Kulissen brauten sich schon dunkle Wolken zusammen.
Trainer Lucien Favre hatte gegen Schalke 04 und eine Woche später in Karlsruhe auf Arne Friedrich und Andrej Woronin verzichtet - beide Stützen der unheimlichen Berliner Erfolgsgeschichte.
Friedrich war angeschlagen, hätte aber durchaus auflaufen können. Woronin fiel dem taktischen Konzept zum Opfer, wurde jeweils erst spät eingewechselt.
Chance auf 20 Mio. Euro begraben
Gegen mittelmäßige Schalker und den dem Abstieg geweihten Karlsruhern gelang der Hertha ein mickriger Punkt. Neben der Meisterschaft war auch die Champions League futsch - und damit die Chance auf 20 Millionen Euro Mehreinnahmen.
Das selbst verschuldete Desaster trieb Größen wie Woronin oder Joe Simunic vom Hof, weil sie für die klamme Hertha schlicht unbezahlbar wurden. Marko Pantelic, zeitlebens der Intimfeind von Favre, wurde an Ajax Amsterdam abgegeben.
Die verpasste Teilnahme an der Königsklasse geht zu Teilen auf die Kappe von Favre. Der Schweizer wurde in der Endphase der Saison zum Opfer seiner eigenen Mentalität.
Favre erinnert an Rangnick
Ein wenig erinnert er an den jungen Ralf Rangnick: Fachlich bestens ausgebildet, ein positiv Verrückter, der für den Fußball lebt und alles was damit zu tun, in sich aufsaugt.
Aber auch einer, der das Kollektiv immer über den Einzelnen stellt. Rigoros, ohne das manchmal nötige Fingerspitzengefühl und vor allem ohne Rücksicht auf Namen und Verluste.
Bei Rangnick waren es Balakow (in Stuttgart), Simak (in Hannover) oder Lincoln (auf Schalke), mit denen der Coach regelmäßig aneckte und letztlich auch scheiterte. Bei Favre war es Pantelic und jetzt angeblich Friedrich.
Konfrontationskurs mit Hoeneß
Auch beim Rauswurf von Dieter Hoeneß hatte Favre seine Finger mit im Spiel. Am Ende soll der Schweizer den Berliner Alleinherrscher nicht mal mehr gegrüßt haben. Mit Hoeneß musste ein streitbarer Manager gehen. Aber Streit und Reibung erzeugen auch Energien.
Mit Hoeneß verließ der lebhafte Diskurs die Hertha. In Michael Preetz, der gerade sein erstes Praxissemester als Manager durchläuft und Präsident Werner Gegenbauer blieb Konformität da - die Favre auszunutzen vermochte.
Der Selbstzerstörungsmechanismus war da bereits in Gang gesetzt. Einen gewaltigen - wenn auch in der Öffentlichkeit nicht so prominenten - Anteil hat allerdings auch Gegenbauer daran.
Der alberne Machtkampf mit Hoeneß um die Frage, wer denn nun den Erfolg der Mannschaft im Frühjahr, als die Hertha nach 24 Spieltagen Tabellenerster war, zu verantworten hat, suchte schon damals seinesgleichen. Als dessen Konsequenz wurde Hoeneß zuerst scheibchenweise entmachtet und dann entlassen.
Zögerlich in der Transferpolitik
Ohne Hoeneß, Pantelic, Simunic und Woronin war im Sommer der erneute Umbruch von Nöten. Favre blieb auf dem Transfermarkt aber sehr zurückhaltend, erst am letzten Tag der Wechselfrist holte die Hertha mit Adrian Ramos und Cesar noch zwei völlig unbekannte Spieler und Dortmund Florian Kringe.
Eine Blaupause von Favres Transfergebaren in der Schweiz. Auch da zögerte er bis zuletzt mit seinen Spielerkäufen, ließ ehemalige Wunschspieler plötzlich wieder fallen und entschied sich dann um.
Individualisten gehen der Hertha ab
Favre bewahrte sich seinen festen Glauben ans Kollektiv und das Erfolgsrezept der strikten Aufgabenverteilung auf dem Platz. Nur: Ganz ohne Individualisten, die aus einem gut funktionierenden Kollektiv eine Spitzenmannschaft machen, geht es nicht. Weder in der Kreisliga, noch in der Bundesliga.
14 Mal gewann Berlin letzte Saison eine Partie mit nur einem Tor Unterschied und fast immer waren Pantelic oder Woronin die Garanten für den Sieg.
Junge Spieler überfordert
Mit der individuellen Klasse ging auch die Struktur innerhalb der Mannschaft von Bord. Favre vertraute darauf, dass aufstrebende Spieler wie Maximilian Nicu oder Patrick Ebert schnell in die Rolle der Abgänger schlüpfen könnten und verzockte sich.
Die jungen Spieler rücken derzeit viel zu schnell in den Fokus und sind in ihren neuen Rollen überfordert. Letzte Saison konnten sich Nicu, Ebert oder Marc Stein noch im Schatten der Leistungsträger in Ruhe entwickeln. Jetzt sollen sie plötzlich selbst Führungsspieler sein.
Klarer Vorwurf an die Mannschaft
Allerdings muss man dem Schweizer auch zugute halten, dass er von seiner Mannschaft in den letzten Wochen fast schon unerhört frech im Stich gelassen wurde. Nicht umsonst wetterte Co-Trainer Harald Gämperle schon Stunden vor der offiziellen Entlassung:
"Es kann nicht sein, dass einige Spieler hinter dem Rücken Politik machen. Wenn einige Akteure zwei-, dreimal hintereinander so schlecht spielen, dann muss man sich schon fragen, welche Interessen die Spieler haben." Ein klar formulierter Vorwurf an das Team und im Besonderen an Kapitän Friedrich.
Aus dem "GodFavre", dem Übervater, der in den letzten beiden Jahren aus sehr wenig sehr viel gemacht hat, ist bei großen Teilen der Fans ein Normalsterblicher geworden.
Alles wieder auf Start?
Denn die Weiterentwicklung der Mannschaft, die Umstrukturierung des Umfelds, die nächsten Schritte nach oben, hinein in die hart umkämpften Wettbewerbe wie Europa League oder Champions League - all das gehört wohl zunächst wieder der Vergangenheit an.
Die Realität wird bis zum Ende der Saison Abstiegskampf, oder allenfalls Mittelmaß heißen. Wie damals, als Favre im Juni 2007 übernahm und Mannschaft und Klub reformieren sollte. Hertha BSC ist jetzt aber gerade dabei, drei Jahre harter Arbeit einfach wegzuwerfen.