Stefan Bell: "In Mainz entsteht etwas Großes"

Haruka Gruber
27. Mai 201014:14
Stefan Bell (l.) kam letzte Saison dreimal bei der zweiten Mannschaft des FSV zum EinsatzImago
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Der FSV Mainz 05 will sich zur "Topadresse für deutsche Talente" entwickeln. Auch deshalb hat Innenverteidiger-Juwel Stefan Bell sogar der besten Mannschaft Europas abgesagt. Dabei einigte sich Mainz bereits mit dem interessierten Champions-League-Sieger Inter Mailand auf eine Ablöse von rund 1,5 Millionen Euro. Dennoch bleibt der 18-Jährige lieber in Mainz - und verzichtet damit auf viel Geld.

SPOX: Sie haben vergangenes Wochenende mit der deutschen U 19 beim Qualifikations-Turnier in den Niederlanden zwei von drei Spielen verloren und damit die Teilnahme an der EM deutlich verpasst. Was war der Grund?

Stefan Bell: Wir haben es mit der Mannschaft nicht geschafft, die Vorgaben von Trainer Horst Hrubesch Eins-zu-eins umzusetzen. Wir sind eine Gruppe starker Einzelspieler, aber als Team hat es leider irgendwie nicht funktioniert. Vor allem, wenn man so offensiv ausgerichtet ist wie wir, kann fehlende Geschlossenheit schnell in die Hose gehen, weil wir die Räume nicht zubekommen.

SPOX: Von der Nationalmannschaft abgesehen läuft Ihre Saison jedoch nahezu optimal.

Bell: Absolut. Mit der Mainzer A-Jugend sind wir derzeit in der Bundesliga Süd/Südwest hinter Stuttgart Zweiter und spielen richtig guten Fußball. Ein Sieg zum Saisonabschluss und wir sind erneut für das Halbfinale der deutschen Meisterschaften qualifiziert. Es scheint, als ob die Mannschaft durch die Beförderung von Thomas Tuchel zum Cheftrainer der Profis zusätzlich motiviert ist, weil sie gezeigt hat, wie schnell es aus der A-Jugend in die Bundesliga gehen kann.

SPOX: Wer von deutscher Nachwuchsarbeit spricht, denkt zunächst an Stuttgart, Bayern, Dortmund oder zuletzt auch Hoffenheim. Entsteht in Mainz klammheimlich etwas ähnlich Großes?

Bell: Ja, diesen Eindruck habe ich auch. Das Nachwuchskonzept greift und jetzt erntet der FSV die Früchte der guten Arbeit in den letzten Jahren. In naher Zukunft werden in Mainz hoffentlich noch mehr Spieler wie Andre Schürrle aus dem Nachwuchs den Durchbruch schaffen.

SPOX: Wie konkret unterscheidet sich das Mainzer Nachwuchskonzept von anderen Vereinen?

Bell: Wenn ich mit meinen Nationalmannschaftskollegen spreche, fällt mir immer wieder auf, dass es in Mainz offenbar sehr viel familiärer zugeht. Beim FSV kennt jeder jeden und es herrscht eine sehr herzliche, sehr warme Atmosphäre. In Mainz ist es nicht so steril.

SPOX: Und fußballerisch?

Bell: Wir profitieren davon, dass in den Nachwuchsmannschaften der gleiche Stil gespielt und die gleiche Philosophie verfolgt wird, egal wie der Trainer heißt. Sprich: Jedes FSV-Team orientiert sich an dem Fußball, den die Profis in der Bundesliga verkörpern: aggressiv, schnell, konsequent. Das ist die Handschrift des Vereins.

SPOX: FSV-Manager Christian Heidel will aus dem Klub "eine Top-Adresse für deutsche Talente" machen. Hat Mainz trotz all der Vorzüge eine Chance gegen die finanzstärkere Konkurrenz?

Bell: Ja. Ich merke jetzt schon, wie die Neugierde gestiegen ist. Nicht unbedingt bei den Kollegen aus der A-Jugend, aber es kamen schon einige gute B-Jugendspieler von anderen Mannschaften und haben sich bei mir erkundigt. Es bleibt nicht verborgen, dass unsere A-Jugend seit zwei Jahren konstant ganz weit oben mitspielt und dass der Verein mit dem neuen Stadion und dem tollen Cheftrainer optimale Voraussetzungen bieten.

SPOX: Daher ist es kein Wunder, dass Sie Inter abgesagt haben?

Bell: Die Stadt ist geil, der Verein ist top, ich fühle mich wohl. Warum sollte ich weggehen?

SPOX: Weil Sie in Mailand sehr viel mehr verdient hätten? In Mainz rücken Sie zwar in den Profi-Kader auf, bekommen jedoch nur einen Vertrag als Amateur.

Bell: So ist es aber auf jeden Fall okay. Mir geht es überhaupt nicht ums Geld, die Priorität ist vielmehr, dass ich bereits nächste Saison die Chance habe, in der Bundesliga reinzuschnuppern. Dass ich zumindest die Chance darauf bekomme, wurde mir vom FSV zugesichert. Von daher fiel die Entscheidung gegen Inter gar nicht so schwer.

SPOX: Waren Sie dennoch überrascht, als Inter Interesse gezeigt hat?

Bell: Als das Angebot bei mir ankam, war es schon krass. Irgendwie irreal.

SPOX: Wie lief es genau mit Inter ab?

Bell: Mitte Februar hatte sich Inter bei meinem Berater Ingo Haspel gemeldet, nachdem ich mit der Nationalmannschaft bei einem Turnier in La Manga offenbar überzeugt hatte. Wir haben daraufhin Stillschweigen vereinbart, damit keine Unruhe reinkommt. Deshalb habe ich auch meinen Teamkollegen nichts davon verraten. Leider kam es über italienische Zeitungen dann doch raus. So wurde es erst öffentlich.

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SPOX: Und dann?

Bell: Noch kurz bevor Inters Angebot Mitte April bekannt wurde, bin ich für einen Tag mit meinem Vater und meinem Berater nach Mailand geflogen. Wir sind morgens hin, haben uns zwei, drei Stunden mit Inters Sportdirektor Marco Branca unterhalten, zusammen zu Mittag gegessen und zum Abschluss wurde mir das Trainingsgelände gezeigt. Abends ging es schon wieder zurück. Als ich zuhause ankam, wurde mir bewusst, dass ein Wechsel nach Mailand vielleicht doch greifbar ist.

SPOX: Aber?

Bell: Ich bin ehrlich genug zu mir selbst, um zu wissen, dass ich nächste Saison bei Inter wohl keine einzige Minute gespielt hätte. Ich wäre wahrscheinlich verliehen worden oder hätte nur bei den Junioren Spielpraxis bekommen. Das ist aber nicht das, was ich will. In Mainz hingegen weiß ich, dass ich es mittelfristig packen kann.

SPOX: Woher kommt die Gewissheit?

Bell: Thomas Tuchel ist bekannt dafür, dass bei ihm einzig und allein die Trainingsleistungen zählen. Nicht das Alter, die Herkunft oder frühere Erfolge. Dass es beispielsweise Bo Svensson gelungen ist, Niko Bungert zu verdrängen, ist der beste Beweis dafür. Daher kann ich mich darauf verlassen, dass ich meine Chancen bekomme, solange ich gute trainiere.

SPOX: Was zeichnet Sie als Innenverteidiger aus?

Bell: Kopfballstärke, Zweikampfverhalten, Stellungsspiel.

SPOX: Und woran müssen Sie noch arbeiten?

Bell: Vor allem an meinem Antritt. Auf den ersten drei Metern muss ich unbedingt zulegen, um es oben zu schaffen. Wobei: Ich beobachte die Spiele der Profis auch deshalb so genau, weil ich von Leuten wie Nikolce Noveski und Svensson noch unglaublich viel lernen kann. Spätestens dann merke ich immer, dass ich im Grunde noch an jeder Facette des Spiel arbeiten muss.

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