Im wochenlangen Tauziehen um den 25-Jährigen gab es vordergründig einige kuriose Wendungen, es wurde viel Pathos verbreitet und gepokert. Dabei war vieles von dem offenbar nicht mehr als Rauchschwaden, die eine längst feststehende Entscheidung nur künstlich vernebeln sollten.
Die Protagonisten nahmen dabei äußerst unterschiedliche Rollen ein. Es gibt allerdings nur einen ganz großen Gewinner.
Clemens Tönnies' Rolle
Eigentlich schien nach dem Treffen zwischen den Vertretern von Schalke und den Bayern am 10. Mai im Berliner "Regent-Hotel" alles klar. Eine Einigung per Handschlag sei erzielt worden, behaupteten zumindest die Bayern.
Von da an kam Schalke-Boss Clemens Tönnies eine sehr undankbare Aufgabe zu. Tönnies war offenbar ständig hin- und hergerissen zwischen einer Vernunft- und einer emotionalen Entscheidung. Dabei schoss er aber einige Male übers Ziel hinaus.
Besonders seine martialischen Aussagen nach dem Sieg im Pokalfinale erscheinen jetzt, da Neuers Transfer letztlich doch ohne den ganz großen Kampf über die Bühne ging, mehr populistisch als wirklich kämpferisch.
"Ich lasse einen Manuel Neuer nicht so einfach gehen. Er ist für mich wie ein Sohn, ich bin strikt gegen diesen Transfer. Ich will Manuel den Bayern noch aus dem Rachen reißen", hatte Tönnies den Schalke-Fans Hoffnung gegeben, wo offenbar schon längst keine mehr war.
"Ich kann Manuel Neuer nicht verkaufen - und Schalke muss ihn auch nicht verkaufen", sagte er auch, um dann im nächsten Satz anzumerken: "Allerdings wollen wir das Thema nicht noch wochenlang köcheln lassen." Und wenig später dann wieder: "Die Rechnung ist erst zu Ende, wenn ein Strich drunter ist."
Ob nun platte Durchhalteparolen oder fester Vorsatz: Letztlich waren Tönnies Worte viel Lärm um nichts. Auch der angeblich angestrebte neue Vierjahresvertrag mit sieben Millionen Euro Jahresgehalt löste sich ganz schnell wieder in Wohlgefallen auf.
Nicht zufällig machte Tönnies zwischendurch den neuen Vertrag mit Sponsor Gazprom fix. Ein Meilenstein für Schalke, ganz gewiss. Den dann aber gleich wieder zu nutzen, um vermeintlich Druck aufzubauen ("Wladimir Putin ist Neuer-Fan und top informiert"), war nicht mehr als das Pfeifen im Walde.
Eigentlich sollte die Entscheidung um Neuers Zukunft auf der Schalker Aufsichtsratssitzung am vergangenen Montag gemeinsam gefällt werden. Da war aber schon alles gelaufen. Tönnies blieb der Sitzung aus beruflichen Gründen fern.
Am 19. Juni ist Mitgliederversammlung auf Schalke. Der Abgang von Manuel Neuer wird dann spätestens bei den Wortmeldungen der Mitglieder hinterfragt werden. Vielleicht wollte Tönnies auch nur ein paar Beispiele sammeln, um dann zeigen zu können, wie sehr der Klub um seinen Torhüter gekämpft hat.
Horst Heldts Rolle
Der Manager tat in der eigentlichen Sache um Neuer seinen Job, so gut er konnte. Dementierte artig, ging selbst ein paar Mal vorsichtig in die Offensive. Die Speerspitze blieb aber immer Tönnies. Immerhin präsentierte Heldt am Mittwoch, als der Neuer-Deal auch offiziell perfekt war, gleich dessen Nachfolger: Ralf Fährmann wird nach Gelsenkirchen zurückkehren.
Fährmann spielte in Frankfurt seine erste Halbserie als Profi, kennt den Verein in- und auswendig, war zwischen 2003 und 2009 schon ein Schalker. Ein Spieler mit Stallgeruch also, der Neuer in dieser Beziehung zumindest ansatzweise ersetzen kann.
Dass die Fallhöhe bei einem Weggang von Neuer - völlig egal wie der neue Torhüter geheißen hätte - unheimlich hoch sein würde, war klar. Dass es nun aber Fährmann wird, überrascht dann doch. Der 22-Jährige ist gewiss ein sehr talentierter Torhüter, der aber kaum Bundesligaerfahrung hat und sich in Frankfurt erst in der Rückrunde gegen Oka Nikolov hatte durchsetzen können.
Vor allem aber ließ Schalke zuletzt den Spekulationen freien Lauf. Der niederländische Nationalkeeper Maarten Stekelenburg wurde gehandelt. Die beiden deutschen Talente Ron-Robert Zieler von Hannover 96 und Kevin Trapp (1. FC Kaiserslautern) waren im Rennen. Schalke nahm aber wegen der völlig überzogenen Ablöseforderungen Abstand.
"Auch wenn wir für Neuer vielleicht bald einige Millionen bekommen - wir schmeißen das Geld nicht sofort wieder zum Fenster raus, lassen uns nicht melken!", sagte Tönnies vor wenigen Tagen. Natürlich hatte er damit recht. Er schien aber auch geradezu überrascht darüber, wie dreist sich die Konkurrenz verhält.
So blieb am Ende Fährmann, der die ganz große Chance bekommt, es bei "seinem" Klub als Nummer eins zu versuchen. Dabei erschien der 22-Jährige bis zum Schluss lediglich als der doppelte Boden, falls es mit einem der anderen Wunschkandidaten nicht klappen sollte.
Das Ganze erinnert durchaus an den letzten ganz großen Transfer innerhalb der Bundesliga. Damals transferierte der VfB Stuttgart in Person von Horst Heldt seinen Torjäger Mario Gomez für 35 Millionen Euro zu den Bayern. Der Wechsel hatte sich schon etliche Wochen vorher angedeutet, trotzdem entwickelte sich ein diffuses Rangeln um die Gomez-Nachfolge beim VfB.
Top-Stürmer wie Klaas Jan Huntelaar, Alvaro Negredo oder Demba Ba waren sich mit den Schwaben quasi schon einig, am Ende platzten alle Geschäfte und es kam Pawel Pogrebnjak, die 1d-Lösung, aus St. Petersburg.
Die Rolle des FC Bayern
Ungewöhnlich ruhig und gelassen verfolgten die Bayern das Treiben in Gelsenkirchen. Es gab schon kleinere Transfers, um die die Münchener deutlich mehr Spektakel veranstaltet haben, um die Gegenseite sanft oder grob unter Druck zu setzen. Diesmal schienen sich die Verantwortlichen ihrer Sache aber sehr sicher.
Auch die von Schalke angezweifelte Vereinbarung per Handschlag - so es sie denn gegeben hat - machte die Bayern nicht nervös.
"Ich bin überzeugt, dass sich Schalke 04 an die getroffene Vereinbarung, die wir per Handschlag besiegelt haben, halten wird. Ich kenne die Vertreter von Schalke 04 nur als Ehrenmänner und seriöse Kaufleute, so wie wir es auch sind", sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge.
Uli Hoeneß hielt sich sogar fast komplett raus, was gemäß seinem Posten als Präsident zwar völlig normal ist - bisher hielt sich Hoeneß aber kaum daran, nicht ins operative Geschäft einzugreifen. Nur einmal meldete er sich zu Wort, unmittelbar nach dem letzten Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart.
"Die Entscheidung wird in den nächsten Wochen klar sein. Es liegt jetzt an Schalke, wann diese Entscheidung bekanntgegeben wird. Ich denke nicht, dass es da noch große Probleme geben wird."
Bleibt jetzt nur noch die eine Frage: Warum bezahlen die Bayern kolportierte 25 Millionen Euro Ablöse, wenn Neuer in einem Jahr allenfalls noch ein Handgeld gekostet hätte? Die Gefahr, dass sich Neuer in einem Jahr vielleicht doch für einen Top-Klub im Ausland entschieden hätte, war gleich Null.
Offenbar streben die Münchener in der kommenden Saison tatsächlich mit aller Macht nach dem Triumph in der Champions League, wenn das Finale in der heimischen Allianz Arena ansteht und sind der Meinung, dass so ein Coup nur mit dem "besten Torhüter der Welt" gelingen mag. Die Bayern gehen jedenfalls einen für sie ungewöhnlich kostspieligen Weg.
Manuel Neuers Rolle
Im Prinzip hatte er die eindeutigen Signale schon auf der eigens einberufenen Pressekonferenz am 20. April gesendet. Dort hatte Neuer bekanntgegeben, seinen bis 2012 datierten Vertrag auf Schalke nicht vorzeitig zu verlängern.
"Ich habe den Verantwortlichen auf Schalke mitgeteilt, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern werde. Ich habe Schalke und den Fans viel zu verdanken, möchte mir aber nach 20 Jahren Treue die Chance zur Veränderung offen halten", schrieb er kurz zuvor auf seiner Facebook-Seite.
Auf dem Podium erklärte er dann unter Tränen seine Beweggründe. "Ich möchte immer auf dem höchsten Niveau spielen, das ist die Champions League. Als Persönlichkeit einen Schritt machen, auf eigenen Beinen stehen."
Das Interesse der Bayern war da schon offenkundig, auch war der Rekordmeister bereits an Horst Heldt herangetreten. Zudem kursierten immer noch Gerüchte um einen Wechsel ins Ausland. Für Neuer war dies aber nie eine Option.
"Ich kann zweimal im Jahr ins Ausland fahren, im Winter- und im Sommerurlaub. Ob man das als Fußballer haben muss, im Ausland zu spielen? Es gibt Spieler, die das meinen. Ich sehe das nicht so. Ich bin deutscher Nationalspieler, spiele hier und will deshalb den größten Landestitel."
In den letzten Wochen verwies der Nationaltorhüter immer wieder darauf, dass jetzt nicht mehr er, sondern die Vereine am Zug wären. Neuer war längst raus aus der Sache, seine Entscheidung stand seit geraumer Zeit unumstößlich fest.
Neuer wollte weg und durfte gehen, sein nächster Karriereschritt kann kommen. Und nebenbei hat er damit seinem Noch-Klub eine satte Abfindung beschert und seinem künftigen Verein die Hoffnung auf den ganz großen Wurf im nächsten Jahr vergrößert.
Manuel Neuer im Steckbrief