Der Chef und seine Leibwächter

Von Fatih Demireli
Bastian Schweinsteiger und seine "Leibwächter" Luiz Gustavo (l.) und Anatolij Tymoschtschuk (r.)
© spox

Erst Außenspieler, dann Spielmacher und zwischendurch sogar Ausputzer: Bastian Schweinsteiger schlüpfte beim FC Bayern München in verschiedene Rollen. Unter Jupp Heynckes darf er wieder das spielen, was er am besten kann. Zwei Mitspieler helfen ihm dabei: Die SPOX-Datenanalyse zu Bastian Schweinsteiger.

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Ist er es nun oder ist er es nicht? Bastian Schweinsteiger, 27 Jahre alt, zentraler Mittelfeldspieler und Vizekapitän beim FC Bayern München und in der deutschen Nationalmannschaft.

Ist er aber auch ein Chef? Ein richtiger Führungsspieler? Die medial geführte Diskussion wird wohl keine endgültige Antwort liefern, zumal die Interpretation der Chefrolle weitläufig ist.

Jupp Heynckes und Joachim Löw dürfte die Diskussion nicht sonderlich interessieren, zumal Schweinsteiger für beide Trainer - ob er nun ein Chef im Sinne eines verbalen Anführers ist oder nicht - sowohl beim FC Bayern München als auch im DFB-Team eminent wichtig und unumstritten ist.

Doch welche taktische Rolle spielt Schweinsteiger wirklich? Wie hat sich sein Spiel entwickelt? Und täuscht der Eindruck, dass Schweinsteiger unter Heynckes nicht mehr ganz so präsent ist wie unter Louis van Gaal?

Der SPOX-Datencheck zu Bastian Schweinsteiger

Wie alles begann: Zwar beorderte Heynckes schon bei seiner Fünf-Spiele-Rückkehr 2009 Schweinsteiger für kurze Zeit ins Zentrum, den kompletten Umzug vollzog der Nationalspieler aber in der Ära von Louis van Gaal zu Beginn der Saison 2009/10. Der Wechsel schlug sich sofort auf die Zahlen nieder: Schweinsteiger hatte fortan ligaweit die meisten Ballkontakte (94,8 im Schnitt), zu einem Zehn-Jahres-Rekord kam es am 34. Spieltag, als er gegen Hertha BSC 155 Ballkontakte zählte.

Der Blick auf die nackten Zahlen der Impire-Datenbank verrät zwar, dass Schweinsteiger nicht mehr ganz so torgefährlich war wie zuvor (sieben statt 15 Torbeteiligungen), aber seine Stärken im Passspiel und in der Ballverarbeitung wirkten sich positiv auf das Bayern-Spiel aus: Während der gesamten Saison spielte Schweinsteiger nur 13,2 Prozent Fehlpässe - Schweinsteiger personifizierte die Idee van Gaals von absoluter Ball- und Kombinationssicherheit.

Der neue Partner: In der Saison 2010/11 hielt Schweinsteiger lange seine guten Werte, war sogar noch torgefährlicher als in der Vorsaison (12 Torbeteiligungen), doch im zweiten Saisonabschnitt nahm van Gaal eine entscheidende Änderung vor. Für den ausgemusterten Mark van Bommel, der als Absicherung von Schweinsteiger dessen Spielgestaltung und Präsenz maßgeblich förderte, beorderte der Niederländer größtenteils Toni Kroos ins Zentrum als neuen Partner.

Die beiden gelernten Offensivspieler sollten das Bayern-Spiel kreativer und flexibler gestalten. Die Umstellung ging zu Lasten von Schweinsteiger, dessen Beteiligung am Offensivspiel im Vergleich zur Vorsaison abnahm: war er in der Spielzeit zuvor noch an 121 Torschüssen beteiligt, fiel der Wert auf 106 ab. Er schlug auch deutlich weniger Flanken (18 statt 38) und wagte weniger Offensivdribblings: 129 statt 148. Auch der Ballbesitz-Wert fiel im Durchschnitt von 95 auf 88 ab.

Schweinsteiger übernahm mehr Defensivaufgaben, die er grundsätzlich gut löste und auch zuletzt beim Länderspiel Deutschlands gegen Brasilien im verkappten 4-1-4-1 als Sechser hinter der offensiven Viererreihe nochmals beachtlich meisterte, aber letztlich liegt Schweinsteiger die defensive Rolle insgesamt weniger, weil er auch auf dieser Position als Aufbauspieler gesucht wurde.

Die Vorgehensweise war risikobehaftet, da Schweinsteiger quasi als letzter Spieler vor der Abwehr keine Absicherung mehr hatte und jeder Fehler bestraft wurde. In 233 Bundesliga-Spielen zuvor erlaubte sich Schweinsteiger sage- und schreibe nur zwei Ballverluste, die zu Gegentoren führten: Den gleichen Wert (zwei Mal, gegen Dortmund und Wolfsburg) fabrizierte er allerdings in nur 16 Rückrunden-Spielen 2010/11 in seiner neuen Rolle als defensiver Part der Doppelsechs.

Offensiver mit Heynckes: Mit der Rückkehr von Jupp Heynckes zum FC Bayern spielt Schweinsteiger wieder etwas offensiver. Kroos ist auf die Zehnerposition gewandert, neben "Schweini" spielen entweder Luiz Gustavo oder Anatolij Tymoschtschuk.

Dass Schweinsteiger ein defensiver Partner, wie es van Bommel war und jetzt der Brasilianer oder der Ukrainer sind, gelegen kommt, bewies das Spiel gegen den Hamburger SV: Die Tiefenstaffelung mit Tymoschtschuk funktionierte wie schon vorher mit Gustavo gegen Zürich und in Wolfsburg außerordentlich gut.

Gegen den HSV machte Tymoschtschuks Leibwächter-Aufgabe Schweinsteiger insofern Mut, dass er konsequenter aufrückte und als zusätzliche Anspielstation und Option oft mit Franck Ribery, Thomas Müller und Arjen Robben auf einer Linie zu sehen war.

Zwölf Offensivsprints fast ausschließlich ins offensive Zentrum belegen den Drang nach vorne. Wie sehr Schweinsteiger seine Freiheiten genießt, beweisen auch die Laufleistungen: Mit 11,5 Kilometern lief er nur 100 Meter weniger als Müller. Auch seine Ballkontakt-Statistik hat die 90er Grenze in den ersten Spielen wieder überschritten.

Etwas überraschend ist aber, dass Schweinsteiger in drei Bundesliga-Spielen bisher nur an elf Torschüssen beteiligt war und selbst noch keine Großchance erspielte. Seine etwas höhere Fehlpassquote ist ein Indiz dafür, dass er im Aufbauspiel wieder etwas höheres Risiko geht als unter van Gaal - allerdings noch ohne rechten Erfolg.

Fazit: Der Eindruck, Schweinsteiger sei unter Heynckes nicht mehr so präsent wie unter van Gaal, täuscht. Der Versuch, Schweinsteiger und Kroos im Zentrum spielen zu lassen, beraubte Schweinsteiger und damit auch die Bayern ihrer Stärken. Der Leistungsabfall des Rekordmeisters in der vergangenen Rückrunde, aber auch die fehlende Ordnung, dienen als Beleg.

Dank Heynckes' Umstellungen kommen Schweinsteigers Stärken deutlich besser zur Geltung. Mit einem Leibwächter a la Gustavo bzw. Tymoschtschuk an seiner Seite ist er auf dem Weg zur alten Präsenz: Der Mittelfeldspieler hat wieder mehr Ballkontakte und zudem mit die beste Laufleistung aller Bayern-Spieler. Gegen den HSV waren es in der Distanz 11,5 Kilometer und durchschnittlich 7,56 km/h Geschwindigkeit.

Zwar ist Schweinsteiger noch lange nicht an finalen Aktionen wie Torschüssen und Torschussvorbereitungen beteiligt, aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Chef im Bayern-Spiel seine Werte aus der Saison 2009/2010 erreicht.

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