Der Fahrradfahrer sorgt für die Sahne

Von Norbert Pangerl
Der Garant für den Aufschwung im Breisgau: Christian Streich, Trainer des SC Freiburg
© Getty

Tabellenletzter, Trainer weg, fünf Spieler suspendiert, den Top-Torjäger verkauft und Chaos im Verein - der sonst vor Kontinuität und Ruhe strotzende SC Freiburg stellte in der Winterpause sein Image auf den Kopf und galt vielen als sicherer Absteiger. Doch unter Coach Christian Streich kletterten die Breisgauer nun erstmals seit Oktober wieder auf einen Nichtabstiegsplatz.

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In Kaiserslautern hatten sie auf den Trainereffekt gehofft. Einen Sieg beim direkten Konkurrenten Freiburg feiern und den Anschluss herstellen. Doch dieses zarte Pflänzchen musste bereits nach 14 Minuten und zwei Gegentreffern der Ernüchterung und letztlich der Erkenntnis weichen, dass die Pfälzer wohl endgültig für Liga zwei planen können.

Ganz anders dagegen stellt sich die Situation in Freiburg dar. Nach zehn Punkten aus den letzten vier Spielen schwimmt man derzeit auf einer Welle der Euphorie und kletterte erstmals seit Oktober wieder von den Abstiegsrängen.

Dabei hatte es in der Winterpause noch zappenduster ausgesehen. Nach nur 13 Punkten und Tabellenplatz 18 entschloss sich die Führungsriege des Sportclubs zu einer im Breisgau ungewöhnlichen Maßnahme: Der hilflos wirkende Coach Marcus Sorg wurde als erster Trainer der Freiburger Bundesliga-Geschichte entlassen, die verunsicherte Mannschaft galt als sicherer Absteiger.

Image-Schaden für Wohlfühlklub

Schon vor der Entlassung Sorgs hatte sich der Sportclub bei seinen Personalentscheidungen nicht mit Ruhm bekleckert. Yacine Abdessadki wurde wegen der "Shampoo-Affäre" fristlos gekündigt, fünf weitere Spieler freigestellt, darunter mit Heiko Butscher der Kapitän und Publikumsliebling. Der sonst für Ruhe, Beschaulichkeit und Kontinuität bekannte Klub schien sein Image mal eben über Bord geworfen zu haben.

Lediglich in der Trainerfrage blieben sich Vereinspräsident Fritz Keller und Sportdirektor Dirk Dufner treu. Mit Christian Streich hatte man schnell eine interne Lösung parat. Der 46-jährige Assistent von Sorg, seit 1995 im Verein und als langjähriger Leiter der Freiburger Fußballschule bestens vernetzt, sollte den Neuanfang in die Wege leiten. Der Haken dabei: Streich wollte zunächst nicht.

Ein "Ja" nach zwei Minuten Bedenkzeit

"Es hängt so viel dran, die Arbeitsplätze, die Menschen. Was passiert mit uns, wenn es schiefgeht? Bin ich dann schuld?", fragte sich Streich, nachdem ihm in Dufners Büro das Cheftraineramt angeboten wurde. Er, der auf Loyalität und Vertrauen setzte, sollte die Nachfolge seines Chefs antreten, dessen Entscheidungen er als Co-Trainer selbstverständlich mitgetragen hatte. Keine leichte Entscheidung. Streich sagte ab.

Erst - so wird kolportiert - als die Namen Murat Yakin und Falko Götz an der Dreisam kursierten und ihm Keller die letzten zwei Minuten Bedenkzeit zugestand, gab der zweifache Familienvater schließlich grünes Licht. Seitdem hat sich viel verändert. In zehn Spielen mit Streich holten die Freiburger 15 Punkte - mehr als unter Sorg in der gesamten Hinrunde.

Mannschaft verjüngt, Abwehr stabilisiert

Einen großen Anteil am überraschenden Aufschwung haben dabei die Spieler, die Streich aus dem eigenen Nachwuchs zu den Profis beförderte. Der Alterschnitt wurde so von 26,5 auf 23,9 Jahre gesenkt. Akteure wie Immanuel Höhn, Matthias Ginter, Oliver Sorg oder Jonathan Schmid schafften es im Jahr 2012 in die Startformation und zahlten das Vertrauen, das ihnen ihr einstiger Mentor entgegenbrachte, mit Leistung zurück.

Der Kader des SC Freiburg im Überblick

Vor allem in der Defensive hat sich das Team unter Streich stabilisiert. Und das obwohl der Coach gezwungen war, zuletzt mehrmals umbauen zu müssen. Mit Ginter stellte er beispielsweise einen gelernten Mittelfeldmann in die Innenverteidigung.

Auf anderen Positionen zeigt sich Streich dagegen aus freien Stücken experimentierfreudig. Karim Guede, Torschütze des Führungstreffers gegen den FCK, funktionierte er kurzfristig zum Stürmer um - eine Position, die dieser "zuletzt in der Jugend" gespielt hatte. Laut Streichs Meinung müsse dies kein Hindernis sein. Die Spieler würden in den Fußballschulen so ausgebildet, dass sie auf unterschiedlichen Positionen eingesetzt werden können. Man müsse nur bereit sein, sie ihre Kreativität ausleben zu lassen.

Zusammenarbeit im Trainerteam sehr wichtig

Nach dem Verkauf von Top-Stürmer Papiss Demba Cisse, der in 65 Bundesligaspielen 37 Tore für Freiburg schoss, krempelte Streich auch die Taktik um. Statt den unter Sorg bevorzugten 4-2-3-1 und 4-1-4-1-Anordnungen baut Streich auf ein 4-4-1-1 mit zwei beweglichen und laufstarken Offensivspielern. Zudem legte das Trainer-Team den Fokus vermehrt auf Standardsituationen. Eine Disziplin, die in der Vorrunde noch vollständig brach lag und beim Spiel in Hamburg zum Sieg führte.

Da machte es auch nichts, dass Streich laut eigener Aussage gar nicht wisse, welche Variante wann komme. Dafür sei schließlich sein Assistent Lars Voßler verantwortlich.

Dufner: "Er darf absteigen"

Dass der Klassenerhalt durch den Höhenflug der letzten Spieltage nun kein Selbstläufer wird, macht Streich immer wieder sofort deutlich. "Wir haben drei Punkte geholt, alles andere interessiert mich nicht. Wir müssen gnadenlos weiterarbeiten", so sein Fazit nach dem Sieg am Wochenende.

Sollte der SCF plötzlich einbrechen und den Gang in die 2. Liga antreten müssen - für Streichs Weiterbeschäftigung scheint dieses Szenario unbedeutend. "Er darf absteigen", stellt Dufner eine Beschäftigungsgarantie aus. Und mehr noch: "Er dürfte sich dann aussuchen, was er macht." In Streichs bis 2014 dotierten Vertrag, gibt es einen Passus, wonach er jederzeit wieder in die Fußballschule zurückkehren kann. Deren Erfolg sei ihm "mittelfristig sicher wichtiger" als der Bundesligafußball, den er als die Sahne "oben drauf" bezeichnet.

Nicht der neue Volker Finke

Für Vereinspräsident Keller ist der Fall klar: Sein Wunschkandidat tue nicht nur dem Verein, sondern auch der Bundesliga gut: "Er verkörpert unseren Laden. Weil er so erfrischend anders ist."

Streich, den man vor den Spielen beim Dehnen und Warmmachen beobachten kann, passt sein Image jedoch nicht. Er sei völlig normal und dass er mit dem Fahrrad ins Stadion fahre habe lediglich damit zu tun, dass er nur 300 Meter entfernt wohne.

Der häufig zitierte Vergleich mit Volker Finke, der 16 Jahre als Trainer im Amt war, lässt Streich ebenfalls kalt: "Ich will keine Projektionsfläche für Wünsche werden, die ich nicht erfüllen kann. Volker Finke und ich sind ganz unterschiedliche Menschen", so Streich: "Das würde er auch sagen."

Auch zeitlich will Streich nicht in Finke-Dimensionen denken. Momentan sei er froh, wenn er bis Mai durchhalte: "Wenn ich in vier Wochen nicht mehr Trainer bin, dann fragen die Leute in acht Wochen: Wie hieß dieser Streich noch? Joachim Streich? Und in vier Monaten heißt es: Da gab es mal so einen komischen Trainer in Freiburg, der ist immer mit dem Fahrrad zum Training gefahren."

Sollte sein Team seine Vorgaben jedoch weiterhin so konsequent umsetzen, dürfte neben dem Fahrrad auch noch etwas Sahne auf Christian Streich warten.

Christian Streich im Steckbrief

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