"Javi Martinez ist eine Klasse für sich“

Haruka Gruber
23. Mai 201220:32
Javi Martinez (l.) schaltete mit Bilbao in der Europa League Rooney und ManUnited aus Imago
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Jupp Heynckes' Forderung nach einem "absoluten Topspieler im Mittelfeld" rückt Bilbaos 40-Millionen-Euro-Star Javi Martinez noch mehr in den Bayern-Fokus. Aber was kann Martinez? Spanien-Experte Gerhard Poschner sieht in dem spanischen Nationalspieler (23) den perfekten Schweinsteiger-Partner und gibt eine Kaufempfehlung ab.

SPOX: Nach dem Freundschaftsspiel gegen die Niederlande formulierte Bayern-Trainer Jupp Heynckes offen wie nie, dass die Mannschaft nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verstärkt werden sollte. Wörtlich sagte er: "Wir müssen überlegen, ob wir nicht noch einen absoluten Topspieler im Mittelfeld brauchen." Würde es Sie überraschen, wenn die Medienberichte stimmen und sich die Bayern um Bilbaos Javi Martinez bemühen?

Gerhard Poschner: Nein. Es gehört zu den Hausaufgaben eines jeden großen Vereins, die besten Spieler weltweit zu beobachten.

Gerhard Poschner war in Spanien als Spieler und Generaldirektor tätigImago

SPOX: Gehört Javi Martinez denn zu den besten Spielern weltweit?

Poschner: Keine Frage, er ist ein internationaler Topspieler. Er kann in der Innenverteidigung und im Mittelfeld auf der Sechs sowie auf der Acht spielen. Er hat alle Qualitäten - und ist dabei noch sehr jung, erst 23 Jahre alt.

SPOX: Was heißt "alle Qualitäten"?

Poschner: Er hat keine Schwächen, das muss man so klar sagen. Er ist körperlich stark, kopfballstark, fußballerisch stark, bringt ein gutes Auge und eine gute Schnelligkeit mit. Und: Er besitzt als Baske einen sehr starken Charakter, was kein Nachteil sein dürfte.

SPOX: Es heißt, Basken und Deutsche seien sich ähnlich.

Poschner: Richtig, die Basken sind ebenfalls bekannt für ihre harte Arbeitermentalität.

SPOX: Die Basken gelten auch als heimatverbunden, was gegen einen Wechsel in die Bundesliga sprechen könnte.

Poschner: Generell sind Basken sehr stolz auf ihr Baskenland. Sie erinnern an die Gallier aus "Asterix und Obelix", die immer zusammenhalten und den Großen die Stirn zeigen. Daher ist es überhaupt nicht leicht, einen Basken von Bilbao wegzulocken. Athletic ist einfach ein toller Verein. Allerdings wird Athletic niemals eine große Rolle in der Champions League spielen. Wenn sich demnach jemand wie Javi Martinez international präsentieren möchte, kann ich mir gut vorstellen, dass er zu einem europäischen Top-10-Klub wechselt. Ihm traue ich ohne weiteres zu, sich relativ schnell an neue Verhältnisse zu gewöhnen.

SPOX: In dieser Saison kam Javi Martinez hauptsächlich in der Innenverteidigung zum Einsatz. Sehen Sie ihn im Abwehrzentrum oder doch im defensiven Mittelfeld stärker?

Poschner: Als Innenverteidiger kann er genauso stark spielen, daher kann man es nicht pauschalisieren. Es hängt immer von der Vorliebe des Trainers und den Alternativen im Kader ab. Ich persönlich sehe ihn am liebsten auf der Sechs, weil er fußballerisch unheimlich komplett ist. Mit ihm im Mittelfeld hätte ich als Trainer eine Garantie dafür, dass er sich offensiv am Spielaufbau beteiligt und gleichzeitig die Mannschaft defensiv gut steht.

SPOX: Klingt nach dem perfekten Partner für Bastian Schweinsteiger.

Poschner: Es wäre für Schweinsteiger ein großer Vorteil, einen Javi Martinez an der Seite zu wissen. Einerseits müsste er nicht ganz so viel nach hinten arbeiten und könnte es defensiv etwas ruhiger angehen lassen. Andererseits hätte er in der Doppel-Sechs einen kongenialen Partner, mit dem sich richtig Fußball spielen lässt und der mit seinem Offensivdrang und dem überragenden Kopfball auch als Box-to-Box-Player Gefahr ausstrahlt.

SPOX: Sie selbst zählten zu Ihrer aktiven Zeit bei Rayo Vallecano zu den prägenden Sechsern der Primera Division. 2000 wurden Sie vom Fachblatt "Don Balon" zum besten Mittelfeldspieler Spaniens gewählt. Sieht der früher so spielstarke Poschner etwas von sich in Javi Martinez?

Poschner: Da muss ich einhaken: In Deutschland hatte ich immer den Ruf eines Technikers, in Spanien hingegen wurde ich nie als spielstark bezeichnet. Vielmehr gefiel es den Leuten, dass ich so ein harter Arbeiter war. Daran sieht man, wie grundverschieden die Ansprüche in den Ländern sind. Javi Martinez ist eine Klasse für sich, genau wie Sergio Busquets. Solche Spielertypen gab und gibt es in Deutschland in der Form nicht.

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SPOX: Ist Javi Martinez auf Augenhöhe mit Busquets?

Poschner: Ja - wobei man differenzieren muss. Busquets ist taktisch besser, da profitiert er von der Ausbildung in der Jugend des FC Barcelona und vom Training unter Josep Guardiola, dem besten Coach der Welt. Bei Javi Martinez liegen die Vorteile in der Physis und im Drang nach vorne. Ihm traue ich zu, je nach Position sieben, acht Tore pro Saison zu erzielen.

Teil II: Poschner über Bilbaos Verhandlungstaktik und Bojan-Gerüchte

SPOX: Sie sagen, dass Javi Martinez in der Innenverteidigung "genauso gut spielen" könnte. Spricht jedoch eine Statistik nicht gegen Ihre These? In dieser Saison wurde er gleich dreimal des Platzes verwiesen: einmal mit Rot, zweimal mit Gelb-Rot.

Poschner: Vorweg: Javi Martinez spielt mit der nötigen Aggressivität, aber er übertreibt es nicht. Sicherlich zeigen die drei Platzverweise, dass er noch mehr verinnerlichen muss, warum in der Abwehr ein Foul anders bewertet wird als im Mittelfeld. Ein Foul sieht plötzlich brutaler aus und es wird viel eher mit einer Karte bestraft. Ich bin mir aber sicher, dass das zukünftig kein Problem sein wird und dass er sich geschickter verhält.

SPOX: Javi Martinez soll privat ruhig und zurückhaltend sein. Angesprochen auf die festgeschriebene Ablöse von 40 Millionen Euro sagt er: "Ich kann nicht glauben, dass jemand so viel Geld für mich ausgeben will. Ich bin es doch gar nicht wert."

Poschner: Es spricht für seine Bescheidenheit. Was mir besonders gefällt: Im Umkehrschluss bedeutet die Aussage, dass er sich selbst noch lange nicht als so gut empfindet und dass er sich verbessern muss, um die Ansprüche zu erfüllen. Ein sehr gutes Zeichen bei einem jungen Spieler.

SPOX: Zuletzt wurde spekuliert, dass die festgeschriebene Ablöse von 40 Millionen Euro nur für einen Wechsel innerhalb Spaniens gilt. Können die Bayern darauf hoffen, weniger zahlen zu müssen?

Poschner: Ich kenne seinen Vertrag nicht, trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die festgeschriebene Ablösesumme großartig variiert.

SPOX: Welche Erfahrungen haben Sie als ehemaliger Generaldirektor von Real Saragossa mit Bilbao gesammelt?

Poschner: Es ist nicht einfach, mit Athletic an einem Verhandlungstisch zu sitzen. Bilbao verkauft wegen der selbst auferlegten Beschränkung, nur mit Basken aufzulaufen, selten Spieler - und wenn, dann nur für viel Geld. Athletic kann es sich leisten, so hart zu verhandeln, weil sie finanziell dank der Unterstützung der Landesregierung und der lokalen Unternehmen sehr gesund aufstellt sind.

SPOX: Sollten sich die Bayern dennoch mit Bilbao einigen können: Wäre Javi Martinez überhaupt interessiert, nach Deutschland zu kommen?

Poschner: Grundsätzlich kann ich garantieren, dass sehr viele spanische Profis den deutschen Markt äußerst interessant finden. Es ist Eins-zu-eins das eingetroffen, was ich vor zwei Jahren kurz nach dem Raul-Wechsel zu Schalke im SPOX-Interview prognostiziert hatte: Rauls Erfolg hatte große Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Bundesliga in der Primera Division.

SPOX: Das bedeutet, dass Bundesligisten durchaus Chancen hätten, einen Spieler wie Michu zu verpflichten? Mit 15 Toren für Ihren Ex-Klub Vallecano gehört der Mittelfeldspieler zu den Entdeckungen.

Poschner: Ich habe Michu sogar Bundesligisten, die mir am Herzen liegen, empfohlen. Ich bin überzeugt, dass er mit seiner Art des Fußballs und seiner Vielseitigkeit, er kann im Grunde von der Innenverteidigung bis zum Sturmzentrum alles spielen, perfekt nach Deutschland passt. Ausgenommen von den Bayern wäre er für jeden Bundesligisten eine Verstärkung - die vor allem zu finanzieren wäre. Nach meinen Informationen ist die Ausstiegsklausel und sein Gehalt relativ gering. Ihn könnten sich viele deutsche Klubs leisten.

SPOX: Gilt das auch für Bojan Krkic, dessen Marktwerk nach dem verlorenen Jahr bei AS Rom gesunken sein müsste? Schalke soll sich mit ihm beschäftigen.

Poschner: Ich kenne die wirtschaftliche Situation von Schalke nicht gut genug. Aber Bojan ist kein Spieler, der für einen Apfel und ein Ei kommt. Es gibt nur wenige Bundesliga-Vereine, die in Frage kommen.

SPOX: Sind Bilbaos Fernando Llorente oder Valencias Roberto Soldado ähnlich unrealistisch?

Poschner: Ja.

SPOX: Mit Villarreal ist ein spanischer Topklub abgestiegen. Warum zeigen die deutschen Klubs kein Interesse an Spielern wie etwa Borja Valero und dem im vorläufigen EM-Kader berufenen Bruno Soriano?

Poschner: Dass Villarreal mindestens vier, fünf Spieler verkaufen muss, ist offensichtlich. Daher wird es so laufen wie überall sonst auch: Die ersten zwei Spieler wird Villarreal verhältnismäßig günstig abgeben, damit die Kassen halbwegs voll sind und der Verein flüssig bleibt. Die nächsten Spieler werden hingegen nicht mehr unter Wert abgegeben. Heißt: Wer als erster Klub auf Villarreal zukommt, macht das beste Geschäft. Das große Problem in Deutschland ist jedoch die fehlende Kompetenz: Welcher Bundesligst kennt schon Borja Valero, obwohl er jedem Klub gut tun würde? Vor zwei Wochen hätte man jedem erzählen können, ohne dass einen in Deutschland interessiert, wie stark Benat Etxebarria von Betis Sevilla ist und dass er vielleicht für zwei, drei Millionen Euro zu haben wäre. Jetzt gibt ihn Betis nicht unter zehn Millionen Euro her, weil er in Spaniens vorläufigem EM-Kader steht. Die Bundesligisten schauen immer nur zum FC Barcelona oder Real Madrid und wissen gar nicht, dass auch bei kleineren Vereinen richtig gute Spieler sind.

Ein Deutscher mit spanischem Herz: Gerhard Poschner im Steckbrief