1997 schoss Lars Ricken das entscheidende Tor im Champions-League-Finale für Borussia Dortmund. Seit über vier Jahren arbeitet der 36-Jährige nun für den BVB als Nachwuchskoordinator. Im Interview spricht Ricken über seine Aufgabe als Troubleshooter der Borussia, die Wichtigkeit der zweiten Mannschaft in der Philosophie des Vereins und die Rolle aus Ausbildungsverein Nummer eins.
SPOX: Herr Ricken, nach dem Ende Ihrer Karriere wollten Sie ein Trainee-Programm auf der BVB-Geschäftsstelle absolvieren. Da kam dann aber Ihr aktueller Posten dazwischen. Wie lief das damals genau ab?
Lars Ricken: Ich habe dieses Programm nur für ein paar Wochen gemacht und war dabei in der Organisation. Ursprünglich sollte es durch alle Bereiche der Verwaltung gehen, um den Verein von allen Seiten besser kennen zu lernen.
SPOX: Und dann ging Ihr Vorgänger Edwin Boekamp mit Michael Skibbe zu Galatasaray.
Ricken: Genau. Es war dann relativ schnell klar, dass es sinnvoll sein könnte, wenn ich den Job übernehme. Eddy hatte mich auch vorgeschlagen. Ich persönlich musste nicht lange überlegen. Ich bin Dortmunder, war Profi und bin selbst den Weg von der Jugend bis nach oben gegangen. Ich kann also mitreden (lacht). Wäre ich beim BVB beispielsweise ins Marketing eingestiegen, dann wäre ich auf Menschen mit 15 Jahren Berufserfahrung getroffen. Das wäre nicht einfach gewesen.
SPOX: Jetzt sind Sie seit über vier Jahren in diesem Job. Hätten Sie gedacht, einmal einen solchen Weg einzuschlagen?
Ricken: Mir war schon als Spieler klar, dass ich nicht unbedingt Trainer werden möchte. Ich habe während meiner Karriere bereits BWL an der Fernuni in Hagen und Sportmanagement sowie -marketing am IST-Studieninstitut in Düsseldorf studiert. Ich wusste da natürlich noch nicht, wo das irgendwann einmal enden wird. Nun sind diese Fachgebiete für meinen Job sehr brauchbar. Ich bin zufrieden, so wie es jetzt ist.
SPOX: Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag aus, gibt es da überhaupt eine strukturierte Woche?
Ricken: Nein. Das ist nicht möglich, da ich zu unterschiedlichen Zeiten im Büro, auf Trainingsplätzen oder bei Spielen bin. Ich bin hier der Troubleshooter, irgendetwas liegt immer an. Das kann dann morgens sehr früh oder abends sehr spät sein. Die Jugendmannschaften trainieren zudem immer erst um 18 Uhr und wenn danach noch Gespräche geführt werden müssen, dann kann das lange gehen. Grundsätzlich ist es so, dass ich mir einen Überblick über die Jahrgänge verschaffe, natürlich auch im eigenen Verein. Ich muss Leistungsfähigkeit und Entwicklungspotential unserer Jugendspieler bewerten, um in Verhandlungen eine klare Position einzunehmen.
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SPOX: Ihr Büro befindet sich direkt neben dem von Michael Zorc, Profis und Nachwuchs trainieren auf demselben Gelände. Spricht man dann zwangsläufig spontan miteinander oder gibt es regelmäßige Meetings?
Ricken: Die Wege in der Geschäftsstelle, aber auch auf dem Trainingsplatz, sind in der Tat sehr kurz, wir laufen uns alle ständig über den Weg. Wenn Michael Zorc etwas lauter spricht, dann höre ich ihn. Wir tauschen uns täglich aus und brauchen nicht ständig einen Termin festzulegen. Es gibt auch alle zwei, drei Wochen turnusmäßige Sitzungen mit den Trainern und Scouts, um sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten.
SPOX: Nach den Profis ist die U 23 Dortmunds wichtigste Mannschaft. Derzeit kämpft das Team in der 3. Liga um den Klassenerhalt. Wie wichtig ist aus Vereinssicht die Teilnahme der zweiten Mannschaft an der 3. Liga, gibt es eine Vorgabe?
Ricken: Wir wollen im Nachwuchsbereich eine führende Rolle spielen, daher ist es schon eine Hausnummer, wenn man sagen kann, dass man zusammen mit dem VfB Stuttgart der einzige Profiverein ist, dessen zweite Mannschaft in der 3. Liga spielt. Das ist ein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit. Natürlich haben wir das Ziel, dauerhaft in der 3. Liga zu bleiben - aber nicht um jeden Preis.
SPOX: Heißt?
Ricken: Wir werden niemals drei oder vier gestandene Spieler holen, die die anderen führen sollen. Wir bauen auf eine organische Entwicklung unserer Spieler anhand der gesammelten Erfahrungswerte. Das ist ein wenig vergleichbar mit den Profis und der Champions League: Da ist man nach dem ersten Jahr auch nicht vom Weg abgekommen, sondern hat auf Weiterentwicklung und Erfahrungswerte gebaut.
Der Kader von Borussia Dortmunds U 23 im Überblick
SPOX: Anders formuliert: Andere Zweitvertretungen stellen das ergebnisbezogene Arbeiten hinten an und setzen sich zur ersten Aufgabe, den einzelnen Spieler weiter zu entwickeln - egal, ob das Team am Ende dann sportlich absteigt. Stehen beim BVB auch die Inhalte über den Ergebnissen?
Ricken: Es muss sich nicht zwangsläufig beißen, aber wir leben das schon extrem. Koray Günter und Marvin Ducksch könnten beide noch U 19 spielen, sind aber fester Bestandteil der U 23. Said Benkarit und Jeremy Dudziak gehören zum jungen Jahrgang der A-Jugend, stehen aber ebenfalls im Kader der U 23. Und das, weil wir ihnen einfach den nächsten Schritt auf angemessenem Niveau zutrauen. Günter klopft ja sogar ans Tor der Profis.
SPOX: Wie professionell ist Dortmunds U 23?
Ricken: Das ist im Prinzip unsere zweite Profimannschaft. Wir packen deren Trainingswochen mit sehr vielen Inhalten voll, um den Einzelnen zum Profispieler auszubilden. Das geht, weil niemand mehr im Kader einer Ausbildung oder der Schule nachgehen muss. Das Training findet nicht nur jeden Tag abends, sondern auch dreimal die Woche vormittags statt. Wir arbeiten dabei im individuellen Bereich, also in taktisch-technischer oder athletischer Hinsicht und machen Life-Kinetik. Insgesamt dient unsere U 23 auch als sehr gute Plattform für Spieler, die es bei uns aus unterschiedlichsten Gründen nicht schaffen, um einen möglichen Plan B in Angriff zu nehmen.
Seite 2: Ricken über den BVB als Ausbildungsverein Nummer 1 und Watzkes Kritik
SPOX: Im Vergleich zu Ihrer Zeit als Spieler hat sich der Nachwuchsbereich runderneuert. Individualisierung ist das Stichwort, für jeden Bereich gibt es mittlerweile einen hauptamtlich Verantwortlichen. Inwiefern garantiert dieser Aufwand, dass die ausgebildeten Nachwuchskicker auch langfristig eine Verstärkung für die Profimannschaft darstellen?
Ricken: Eine Garantie kann es nicht geben. Es kommt häufig auf die Qualität der ersten Mannschaft an. Zu Zeiten von Bert van Marwijk haben sehr viele Jugendspieler bei den Profis gekickt, da wir eben finanziell nicht auf Rosen gebettet waren und im Mittelmaß der Liga mitgeschwommen sind. Jetzt bestehen die Profis aus Nationalspielern und sind amtierender Doublegewinner. Die Schere ist also deutlich größer geworden und man braucht als Spieler eine ganz andere Qualität, um bei uns für ganz oben in Frage zu kommen. Durchschnitt reicht nicht mehr.
SPOX: Warum also diesen Aufwand betreiben und Spieler für die Konkurrenz ausbilden, wenn der Großteil später gar nicht im BVB-Trikot aufläuft?
Ricken: Dass ein Spieler den Verein wechselt, kann man leider nie ausschließen. Wir glauben ja an jeden Einzelnen und hoffen, dass wir ihn zum Stammspieler bei den Profis ausbilden können. Andererseits besteht aus Abgängen, die dann in anderen Ligen zum Einsatz kommen, auch ein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit: In den letzten fünf Jahren hat keine Mannschaft so viele Spieler für die deutschen Bundesligen ausgebildet wie Borussia Dortmund.
SPOX: Hat die Profiabteilung aufgrund des aktuellen Erfolgs noch die Zeit, Jugendspieler an den Profikader heranzuführen?
Ricken: Natürlich, das bleibt gerade trotz des Erfolges ein Hauptaugenmerk. Wir sind ja sehr gut damit gefahren, auf Identifikation stiftende Spieler zu setzen. Marcel Schmelzer, Nuri Sahin und Mario Götze wurden bei uns ausgebildet, Kevin Großkreutz und Marco Reus sind Dortmunder Jungs. Es hat sich so in der Verbindung zwischen Publikum und Mannschaft ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Wir sehen also zu, dass immer wieder solche Spieler nachkommen, um diesen Zustand zu erhalten.
SPOX: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bemühte kürzlich deutliche Worte und kritisierte die Jugendarbeit in Dortmund. Gerade die U 17 und U 19 seien für ihn tabellarisch nur "2. Liga".
Ricken: Was die nackten Tabellenstände angeht, stimme ich ihm hundertprozentig zu. Es wird für unsere U 19 schwer, um die Meisterschaft mitzukämpfen, wenn wie angesprochen herausragende Spieler wie Dudziak, Ducksch oder Günter in diesem Jahrgang fehlen. Es fehlt uns noch die Breite, um dies zu kompensieren. Wir sind mit dem sportlichen Abschneiden sehr unglücklich, klar.
A-Junioren: Die Tabelle der Bundesliga West
SPOX: Watzke meinte auch, es gäbe nur wenig, was für gute Jugendarbeit spricht. Was spricht denn aus Ihrer Sicht dafür?
Ricken: Er hatte das ja wie gesagt mehr auf die Tabellenstände bezogen. Lässt man die einmal außer Acht, dann stimmt bei uns die Richtung: Wir sind der Ausbildungsverein Nummer eins in Deutschland. Unsere zweite Mannschaft ist neben der aus Stuttgart die einzige Zweitvertretung eines Bundesligaklubs in der 3. Liga. In der aktuellen U-21-Nationalmannschaft spielen mit Lasse Sobiech, Daniel Ginzcek, Marc Hornschuh, Tolgay Arslan und Antonio Rüdiger fünf Akteure, die beim BVB ausgebildet wurden. Da könnte man auch Mario Götze noch hinzunehmen. Mit Dudziak, Ducksch und Günter spielen zudem mit die größten deutschen Talente im U-19-Bereich bei uns.
B-Junioren: Die Tabelle der Bundesliga West
SPOX: Aus den U-16- und U-17-Jährgängen stellt der BVB jedoch nur einen Spieler an die beiden Nationalmannschaften ab.
Ricken: Das ist richtig, das wird sich aber bereits zur neuen Saison ändern. Das hängt mit unserem neuen Jugendhaus zusammen, das auf dem Trainingsgelände entstehen wird. Der Verein geht gewissermaßen in Vorleistung: Aktuell haben wir ein Haus, in dem zehn Spieler untergebracht werden können. Das ist unterer Durchschnitt in der Bundesliga. Das neue Gebäude wird 20 bis 22 Plätze bieten, so dass wir damit deutsche und ausländische Nationalspieler verpflichten können, an die wir zuvor gar nicht denken durften. Das macht uns zuversichtlich, dass wir in diesen Jahrgängen zukünftig wieder mehrere Nationalspieler stellen.
SPOX: Vielleicht kommen die ja dann auch aus Münster. Mit dem SC Münster 08 ist der BVB im Dezember 2011 eine Kooperation eingegangen. Wie geht man da vor?
Ricken: Es sollen im Idealfall Win-Win-Situationen für beide Seiten entstehen. Dieser Verein leistet eine herausragende Jugendarbeit und wir wollen vermeiden, dass wir interessante Spieler aus Münster vorschnell von ihrem Heimatverein loseisen. Die interessanten Spieler schnuppern stattdessen immer mal wieder beim BVB rein und nehmen regelmäßig am Training teil. Es macht ja keinen Sinn, einen talentierten Elfjährigen ständig ins Auto zu setzen und die 80 Kilometer pendeln zu lassen. Die Münsteraner Jugendtrainer haben dazu auch die Möglichkeit, bei uns Hospitationen zu absolvieren und sich mit unseren Trainern auszutauschen.
SPOX: Aber wenn der BVB einen Jugendspieler aus Münster verpflichtet, dann wird der SC finanziell ausbildungsentschädigt, oder?
Ricken: Selbstverständlich, wir wollen mit der Kooperation ja kein Geld sparen. Die Arbeit des Gegenübers soll dann schon auch finanziell honoriert werden.
SPOX: Zum Abschluss eine übergreifende Frage: Oliver Bierhoff plant den "Fußball Campus", einen Ort, an dem sämtliche Elitemannschaften einschließlich der A-Nationalmannschaft untergebracht werden sollen. Das Ziel: Synergien schaffen, Wissen bündeln und dieses zurückfließen lassen in die Vereine. Was halten Sie davon?
Diskussionen um den Fußball Campus: Renaissance einer betagten Idee
Ricken: Ich habe zu meiner Zeit als Jungnationalspieler bereits das Vorbild im französischen Clairefontaine kennen gelernt. Das war sehr imposant, die gesamte Infrastruktur war an einem Ort gebündelt. So sind die Voraussetzungen ideal, um enge Synergien zu schaffen. Das erleichtert die Zusammenarbeit untereinander und man befindet sich in einem permanenten Prozess der Weiterentwicklung - bis hinunter in die Jugend-Nationalmannschaften. Als Nationalspieler hätte ich eine solch zentrale Anlaufstelle auf jeden Fall super gefunden und ich habe auch jetzt nichts dagegen. Mal sehen, wie sich der DFB entscheiden wird.
Für immer BVB: Lars Ricken im Steckbrief