"Nur die Bayern investieren mehr"

Haruka Gruber
04. Februar 201412:18
Fredi Bobic wurde im Sommer 2010 Sportdirektor beim VfB Stuttgartgetty
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Die Profis ein Muster an Inkonstanz, der Nachwuchs aber einzigartig gut: Der VfB Stuttgart ist ein Mysterium. Sportdirektor Fredi Bobic im Interview über seine Supertalente, teure Jugendarbeit und die Konkurrenz mit RB Leipzig.

SPOX: Trotz teils ansprechender Leistung hat Stuttgart in Leverkusen das dritte Spiel nach der Winterpause mit 1:2 verloren. Wie gut oder wie schlecht ist der VfB?

Fredi Bobic: Die Tabelle lügt nicht. Die Hinrunde verlief sehr durchschnittlich, als wir ebenfalls mit drei Niederlagen anfingen. Danach folgte eine ordentliche Phase, bevor wir dann zu viele Unentschieden spielten, obwohl wir häufig besser waren. Und jetzt das. Wir sind zum Teil einfach nicht stabil genug und bringen uns selbst um den Lohn.

SPOX: Ist 2013/14 jetzt schon eine verschenkte Saison?

Bobic: In dieser Phase hilft kein Schönreden, allerdings darf gleichzeitig nicht alles schlecht gemacht werden. Wir haben in der Mannschaftsstruktur die Weichen neu ausgerichtet und uns deutlich verjüngt. Es sind einige junge Spieler dabei, die uns für die Zukunft Hoffnung machen.

SPOX: Was erstaunt: Der VfB zeigt sich in der Bundesliga seit Jahren wankelmütig und pendelt zwischen oberen Tabellendrittel und nichtssagendem Mittelmaß, in der Jugend hingegen bleibt Stuttgart die Referenz. Die A-Jugend führt die Bundesliga Süd/Südwest an, die B-Jugend ist Zweiter. Woher kommt die Beständigkeit?

Bobic: Die U 23 darf nicht vergessen werden, die sich als einzige Bundesliga-Zweitvertretung über einen langen Zeitraum fest in der 3. Liga etabliert hat. Mir war es extrem wichtig, in der Phase, als wir wirtschaftlich runterfahren mussten und in der Lizenzspieler-Abteilung zu vielen schmerzhaften Einschnitten gezwungen waren, das Level im Nachwuchsbereich zu halten. Nur die Bayern investieren in diesem Bereich mehr. Und Anfang Herbst wird der Bau des neuen Nachwuchsleitungszentrums hoffentlich abgeschlossen sein. Das sind ganz elementare Dinge, die für unsere Zukunft wichtig sind. Das bedeutet Nachhaltigkeit. Und das muss der Weg des VfB Stuttgart sein. Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, zogen wir unsere größte Stärke immer aus dem Nachwuchs. Sie ist unser Fundament.

SPOX: Neben Fußball-Talenten werden in Stuttgart augenscheinlich auch die Jugend-Trainer gefördert. Mainz-Chefcoach Thomas Tuchel fing beim VfB an, genauso Thomas Schneider, den Sie von der U 17 zu den Profis abzogen. Hannovers neuer Trainer Tayfun Korkut arbeitete ebenfalls im VfB-Nachwuchs.

Bobic: Ein Teil unserer Ausgaben fließt in die Qualifikation der Jugend-Trainer. Grundsätzlich sollen sie sich mit unserer Spielphilosophie identifizieren. Sie sollen den Fußball lieben, den wir uns vorstellen: offensiv, dominant, mutig. Gleichzeitig lassen wir den Trainern genug Freiraum, damit sie sich innerhalb dieses Korridors frei entfalten können. Und damit sie dafür das nötige Rüstzeug haben, bilden wir sie aus und unterstützen sie so gut es geht. Dementsprechend freut es uns, wenn jemand wie Tayfun eine Chance in der Bundesliga erhält.

SPOX: Gibt es für Trainer eine ähnliche Talentsichtung wie bei Jugendspielern?

Bobic: Natürlich. Wir haben es selbst erfahren, dass sich im Nachwuchsbereich genauso schnell etwas ändern kann wie im Senioren-Bereich. Die Fluktuation ist nicht gering. Einerseits, weil unsere Leute das Interesse von anderen Klubs wecken. Andererseits, weil wir jemanden wie Thomas Schneider selbst nach oben führen. Daher beobachten wir sehr genau den Markt nach Trainern, die die gleiche Art des Fußballs spielen lassen. Wir haben eine lange Liste an Kandidaten im Jugendbereich, die nicht einmal ansatzweise ahnen, dass wir sie im Blick haben. Es ist wichtig, auf den Fall X vorbereitet zu sein.

SPOX: Nachdem Sie Schneider vom erfolgreichen B-Jugend- zum Profi-Trainer umfunktionierten, bestimmten Sie dessen vorherigen Assistenten Domenico Tedesco zum Nachfolger. Eine überraschende Entscheidung für eine solch wichtige Position: Tedesco ist nicht einmal 30 Jahre alt und gänzlich unbekannt.

Bobic: Sollte das ein Argument sein, ihn nicht zu nehmen? Die U 17 ist eine gut funktionierende Einheit, weswegen wir keinen Externen holen wollten. Domenico hat sich die Chance verdient: Er ist im Klub absolut anerkannt und lebt die VfB-Philosophie. Es ist eine Freude zu sehen, wie jemand, der selbst nie professionell Fußball gespielt hat, auf dem Niveau Begeisterung entfachen und fachlich komplett begeistern kann.

SPOX: War es leicht, Tedesco zu überzeugen? Der studierte Wirtschaftsingenieur und Innovationsmanager gab eigens seine Festanstellung in einem Ingenieurbüro auf.

Bobic: Domenico ist einer der Fälle, wenn ein Fußballer, der zwar auf hohem Amateurlevel mithält, aber nicht das Können für die Profis mitbringt, sich früh neu orientiert. Das gibt ihm ein großes Maß an Unabhängigkeit und es ist sicher nicht schlecht, dass er weiß, über andere Alternativen zu verfügen als nur den Fußball. Dass er trotzdem das Risiko eingeht und sich voll auf uns einlässt, macht ihn mir sehr sympathisch. (lacht) SPOX

SPOX: Schneider sagt in der "Schwäbischen Zeitung", dass die aktuelle U 17 von Tedesco "vielleicht noch besser" ist als die Generation von Mario Gomez, Sami Khedira und Serdar Tasci. Stimmt das?

Bobic: Sie besitzt definitiv große Qualität. Manchmal hat die B-Jugend Ausreißer nach unten, dennoch sind sehr viele interessante Spieler mit hohem Entwicklungspotenzial dabei. Es wird spannend zu beobachten sein. Wir können uns auf einiges gefasst machen.

SPOX: Einer der Talentiertesten soll der 16-jährige Arianit Ferati sein. Ist er wirklich so gut, wie viele sagen?

Bobic: Im Winter-Trainingslager in Südafrika hat es Ari richtig stark gemacht. Er kann alle drei Positionen hinter der Spitze besetzen und sorgt mit seinen 16 Jahren schon in der A-Jugend für Furore. Bei den Profis hält er erstaunlich gut mit. Vorerst bleibt er bei der U 19 und trainiert gelegentlich oben mit, dann schauen wir im Sommer, wie wir weitervorgehen.

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SPOX: Timo Werner ist nur ein Jahr älter als Ferati und eine feste Größe bei den Profis. Nervt Sie die Aufregung um ihn?

Bobic: Der Hype stört mich weniger, das ist ja in solchen Fällen nichts Neues. Die Hauptsache ist, dass Timo damit cool umgeht. Er ist ein sehr geerdeter Junge, der extrem professionell arbeitet. Uns geht es vor allem darum, den Hype nicht weiter zu überhitzen und den Zirkus nicht mitzumachen. Der Rest wird sich beruhigen.

SPOX: In der Jugend war Werner eine Tormaschine, in der Bundesliga wiederum kommt er über die Flügel. Wie lässt er sich einordnen?

Bobic: Timo ist ein typischer zweiter Stürmer, der am besten mit einem großen Mittelstürmer harmoniert. Wobei er ebenfalls auf den Halbpositionen sehr gut klar kommt und es viel schneller erlernt hat als erwartet, sich in der Bundesliga defensiv gut zu verhalten. Die Position auf dem Flügel bringt ihm sehr viel, weil er dort gezwungen ist, sich taktisch in einer ungewohnten Rolle weiterzuentwickeln.

SPOX: Neben Werner einer der Gewinner: Antonio Rüdiger. Aber es fehlt der letzte Glaube, dass aus ihm ein verlässlicher Innenverteidiger wird. Verstehen Sie die Zweifel?

Bobic: Toni weiß selbst nur zu gut, was er verbessern muss. Er hat den einen oder anderen Aussetzer dabei. Dennoch sind wir felsenfest von ihm überzeugt. Wie er sich trotz der Rückschläge in der ersten Mannschaft festgespielt hat, ist überzeugend. Und ich glaube, dass nicht nur wir, sondern mittelfristig auch die Nationalmannschaft so einen Typen wie ihn gut gebrauchen kann. Jemanden wie ihn gibt es in Deutschland nur sehr selten. Toni kann sehr physisch arbeiten und körperlich sehr stark agieren. Solche Innenverteidiger fehlen uns, daher besitzt er eine tolle Perspektive. SPOX

SPOX: Im Gegensatz zu den Genannten verließ Joshua Kimmich den VfB im Sommer und ging für 500.000 Euro zu RB Leipzig, wo er starke Leistungen bringt. Stimmt es, dass Sie ihn 2015 für 750.000 Euro zurückkaufen können?

Bobic: Wir hatten im Sommer ein Überangebot im zentralen Mittelfeld, daher ergab es Sinn, dass er nach Leipzig wechselt. Er macht es dort hervorragend und hinterlässt derzeit einen sehr guten Eindruck. Ein herausragendes Talent, auf dessen Werdegang wir in den nächsten eineinhalb Jahren sehr gespannt sind. Wir beobachten ihn genau und dann werden wir sehen, was wir machen.

SPOX: Wie bewerten Sie die Anstrengungen von RB? Im Winter wurde mit Wolfsburgs Stürmer Federico Palacios-Martinez das nächste deutsche Top-Talent verpflichtet.

Bobic: Ich sehe Leipzig in einigen Jahren in der Bundesliga. Red Bull setzt alle Mittel ein, um das zu erreichen - und sie werden es erreichen. Wenn sie es mit dem Abwerben hier und da übertreiben und es too much wird, dann werde ich es auch zukünftig weiter laut ansprechen.

SPOX: Wäre es legitim, wenn Leipzig im Falle eines Aufstiegs von der DFL die Lizenz für die 2. Liga erhält?

Bobic: In der Frage sollten nicht die Vereine vorpreschen. Es ist die Aufgabe der DFL, sehr genau hinzuschauen, was in Leipzig vor sich geht.

SPOX: Wenn die DFL nichts beanstandet?

Bobic: Ich habe großes Vertrauen in die DFL.

SPOX: Im Gegensatz zu Leipzig gehört Stuttgart zu den Traditionsklubs. In den nächsten Monaten soll allerdings eine grundlegende Modernisierung der Vereinsstruktur eingeleitet werden mit der Ausgliederung des Lizenzspieler-Bereichs. Die Führung wird den Mitgliedern dies empfehlen. Haben Sie keine Befürchtungen, dass es im Chaos endet wie in Hamburg? SPOX

Bobic: Die Situation beim HSV wird mir zu negativ gesehen. Es ist doch schon mal positiv, dass sich die Basis auf ein Modell geeinigt hat. Obwohl man nicht sicher weiß, ob dieses Modell bei der finalen Abstimmung durchgeht, war es als Signal wichtig. Bei uns ist die Lage nicht vergleichbar. Wir möchten alle Empfehlungen in Ruhe vorbereiten und den Mitgliedern unsere Ideen vorstellen. Es bringt nichts, so eine wichtige Entscheidung über das Knie zu brechen.

SPOX: Obwohl die letzten Bundesliga-Ergebnisse Sorgen bereiten, strahlt der VfB eine gewisse Ruhe aus. Wie hat sich die Stimmung in der Geschäftsstelle geändert, nachdem mit Bernd Wahler als Präsident und Dr. Jochen Schmidt als Aufsichtsratsboss eine neue Spitze gefunden wurde?

Bobic: Die Atmosphäre ist sehr zielorientiert und sehr leistungsorientiert - aber zugleich sehr angenehm. Wir arbeiten gemeinsam daran, die Marke und den Wiedererkennungswert "VfB Stuttgart" wiederherzustellen. Auch wenn wir aktuell in einer schwierigen Situation stecken: Wir sind auf dem richtigen Weg.

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