Er hat gewiss keinen großen Namen - und trotzdem eilt ihm ein ganz besonderer Ruf voraus: Michael Reschkes Wechsel zu den Bayern hat überrascht. Viele fragen sich, was der Rekordmeister mit dem Transfer bezweckt. Dabei stößt man relativ schnell auf die entsprechenden Antworten. Eine Bestandsaufnahme.
Von Jorginho bis Ze Roberto hat Bayer Leverkusen in den letzten 20 Jahren eine halbe Mannschaft an hochkarätigen Spielern an den FC Bayern München verloren.
Jetzt haben sich die Bayern zum ersten Mal auch auf einer anderen Ebene bedient und mit Michael Reschke den Mann vom Werksklub an die Isar gelockt, der seit fast 35 Jahren hinter den zumeist klugen und ertragreichen Leverkusener Transfers steckt.
Der FC Bayern ist der Klub in Deutschland mit der größten Fußballkompetenz in den Führungsgremien, und auch in den unteren Managementsegmenten tummeln sich zahlreiche Ex-Profis.
Jetzt holen die Münchener ein in der breiten Öffentlichkeit kaum beschriebenes Blatt für eine hohe Stelle im sportlichen Bereich, Reschke hat weder eine Vita als ehemaliger Profi, noch den gewünschten Stallgeruch vorzuweisen.
Aber die Bayern stehen in naher Zukunft vor großen Herausforderungen und haben nach zwei Jahren der Bestandsaufnahme von und mit Matthias Sammer offenbar gemerkt, dass eine zusätzliche Kraft bei der Bewältigung derer einen großen Schritt nach vorne bedeutet.
Der Wechsel von Michael Reschke von Leverkusen nach München mag überraschend gekommen sein. Inhaltlich macht er aber für beide Seiten Sinn. Eine Bestandsaufnahme.
Der Angriff auf die Weltspitze
Die Bayern haben ihr Potenzial und die Gemengelage im Weltfußball erkannt. Die Dominanz des FC Barcelona hat gelitten, neureiche Klubs wie Paris St.-Germain oder Manchester City sind noch nicht so weit. Andere, wie die beiden Mailänder Klubs, der FC Liverpool oder Manchester United befinden sich nach einschneidenden Veränderungen noch in der Orientierungsphase.
Strukturell und wirtschaftlich ist der Rekordmeister einer der gesündesten Klubs der Welt, ein organisch gewachsenes Unternehmen, das gelernt hat, mit Rückschlägen umzugehen und daraus neue Ideen und Kraft zu schöpfen.
Vor zwei Jahren holten die Bayern mit Matthias Sammer den Sportdirektor des größten Sportfachverbandes der Welt. Ein halbes Jahr später den begehrtesten Trainer der Welt.
Im letzten Sommer vergrößerten die Münchener ihren Vorstand um einen weiteren Posten. Jörg Wacker kümmert sich seitdem um den Bereich Internationalisierung und Strategie. Und mit Michael Reschke kommt nun ein Mann, der im Schatten des Glamour in den letzten Jahrzehnten so gut war wie kaum ein anderer.
Es deutet einiges darauf hin, dass die nächsten Jahre des europäischen und damit auch des Weltfußballs von den Bayern und Real Madrid dominiert werden könnten, jetzt, wo Real endlich die Schallmauer La Decima durchbrochen hat. Unter anderem dafür müssen die Bayern gewappnet sein. Ganz oben an der Spitze kann es schließlich nur einen geben.
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Der anstehende Umbruch im Kader
Es wird für den Rekordmeister nicht darum gehen, einen Spieler wie Takashi Usami zu verpflichten, um einen Fuß auf den asiatischen Markt zu bekommen. Der FC Bayern ist kein Experimentierfeld. Absatzmärkte sind ein wichtiges strategisches Ziel, die Basis wirtschaftlichen Handelns wird aber immer der sportliche Erfolg bleiben.
Die ohnehin schon geballte Sportkompetenz an der Säbener Straße erfährt durch Reschkes Verpflichtung nochmal eine neue Qualität, das dürfte unbestritten sein. Die Bayern gehören momentan zu den drei, vier besten Mannschaften der Welt, der Klub bereitet auf anderen Ebenen den Angriff auf neue Geschäftsfelder vor.
Aber die Mannschaft ist in ihrer momentanen Komposition vielleicht noch maximal zwei Jahre fähig, auf absolutem Top-Level Leistungen zu erbringen. Schlüsselspieler wie Dante, Lahm, bald Schweinsteiger, Ribery und Robben sind 30 Jahre alt oder älter. Auf die Bayern wird ein Umbruch zukommen. Und um den so reibungslos und geschmeidig wie nur möglich zu gestalten, bedarf es auch kluger Transfers unterhalb des gewöhnlichen Radars.
Die Umstrukturierung der Nachwuchsabteilung
Die Zeiten, da die Bayern einen Spieler wie Mats Hummels erst selbst ausbilden, um ihn dann für vergleichsweise kleines Geld ziehen zu lassen und kurze Zeit später einen Spieler wie Jerome Boateng für dieselbe Position für teuer Geld aus England holen, müssen selbst beim Krösus vorbei sein. Auch den ganz Großen werden Fehleinschätzungen dieser Art nicht mehr im Gros verziehen.
Dafür ist der Markt zu umkämpft. Wenn früher ein paar Späher beim DFB-Länderturnier in Duisburg auf der Tribüne saßen, sind es mittlerweile mehrere Dutzend aus dem In- und Ausland. Die Nachwuchsleistungszentren sprießen nur so aus dem Boden und sind mittlerweile mit hervorragend ausgebildeten Trainern, Pädagogen, Psychologen, Athletikcoaches besetzt. Die Zahl der überdurchschnittlich guten Spieler wird sich nicht signifikant verändern. Aber deren Leistungsniveau wird nochmals auf eine andere Stufe gehoben.
In der Spitze werden die Talente immer jünger immer besser ausgebildet sein, der Durchbruch von Spielern wie Timo Werner oder Julian Brandt mit ihren 17 Jahren in der Bundesliga nicht mehr nur eine Ausnahmeerscheinung.
Der deutsche Markt rückt dabei verstärkt in den Fokus. Früher sind deutsche Jugendliche nach England, Italien oder in die Schweiz ausgewandert, um dort eine fundierte Ausbildung zu genießen. Derzeit ist das deutsche Ausbildungssystem längst auf Augenhöhe und an den meisten sogar schon vorbeigezogen.
"Die sportliche Qualität und charakterliche Eigenschaft des deutschen Fußballs ist sehr, sehr interessant für uns. Deshalb wird unser Fokus klar auf Deutschland liegen. Diese Strategie und Richtung wird sich nochmal verstärken", sagt Matthias Sammer. "Die Ausbildung der deutschen Nachwuchsspieler ist auf einem hohen Niveau. Deswegen sind diese Spieler sehr interessant für uns, weil sie uns bekannt sind."
Die Umstrukturierung der Jugendabteilung bei den Bayern ist eine dringliche Angelegenheit. Die wichtigsten U-Mannschaften haben den Anschluss sowohl sportlich als auch strukturell an drei, vier andere Klubs in Deutschland verpasst. Schalke, Wolfsburg, Stuttgart, Hoffenheim, womöglich bald auch RB Leipzig sind den Bayern voraus.
Die U 23 hat erneut den Aufstieg in die 3. Liga verpasst. Das mag für andere Klubs kein Problem darstellen, immerhin melden Vereine wie Leverkusen oder Frankfurt ihre Zweitvertretungen sogar ganz vom Spielbetrieb ab. Für die Bayern ist noch ein Jahr der zweiten Mannschaft in der sportlich fragwürdigen Regionalliga Bayern ein Rückschlag auf dem Weg, neue Talente auf Dauer an die Profis heranzuführen.
Es wird ein Kernbereich von Reschkes Arbeit werden, hier neue Ideen zu implementieren und - ganz lapidar - den dringend nötigen Umzug der Jugendmannschaften raus in den Norden der Stadt voranzutreiben. Die Säbener Straße jedenfalls platzt aus allen Nähten. Sehr wahrscheinlich werden in naher Zukunft nur noch die Profis auf dem jetzigen Trainingsgelände trainieren.
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Kluge Transfers abseits der Big Deals
Es wird auch darum gehen, die Vertragsgestaltung kreativer zu betreiben. Die Bayern sind traditionell nicht der Klub, der auf Rückkaufrechte oder Beteiligungen bei einem Weiterverkauf eines transferierten Spielers angewiesen sind. Bisher haben die Münchener - auch wegen Uli Hoeneß' Maßgaben - noch keinen Spieler entgegen dessen mit einem gültigen Vertrag vorzeitig weggeschickt.
Das wird wohl vorerst auch so bleiben. Auf der anderen Seite muss das Vertragswerk gerade mit Spielern, die nicht aus der eigenen Akademie kommen und bei den Bayern verwurzelt sind, in Zukunft vielleicht auch ein wenig angepasst werden. Zu verschenken haben auch die Bayern nichts.
Reschke kennt sich damit bestens aus, in Leverkusen musste er auf Grund der wirtschaftlichen Bedingungen und weil Bayer kein Magnet für Spieler ist wie der etwa Rekordmeister, immer noch einen Schritt pfiffiger sein. Von diesem Niveau ausgehend und mit den Rahmenbedingungen, wie sie die Bayern stellen können, ergibt sich daraus eine sehr interessante Mischung.
Bisher waren die Münchener nicht dafür bekannt, einen Spieler deutlich vor der Konkurrenz zu entdecken - weil sie es in den meisten Fällen auch nicht mussten. Die Geschichte von den Bayern, die plump die eigene Liga leerkaufen, hält sich nun schon seit drei Jahrzehnten. Das Geschäftsmodell passt nicht mehr in diese Zeit, zumal für große Qualität auch große Preise gezahlt werden mussten und trotzdem noch eine ganze Reihe von Flops darunter waren.
Michael Reschke kommt in Zukunft deshalb eine Schlüsselrolle bei allen Transferangelegenheiten zu. Mit Wolfgang Dremmler und Michael Tarnat wird es eine klare Aufgabenteilung geben, die Rolle Reschkes als Technischer Direktor neben, über oder unter Matthias Sammer wird sich mit der Zeit herauskristallisieren. Und ist für das operative Geschäft auch gar nicht so wichtig.
Dass es unter den vier Protagonisten und im Reporting an die sportliche Leitung der Lizenzspielerabteilung aber klare Absprachen geben muss, machte Reschke bereits deutlich.
"Das Zusammenspiel zwischen Management, Trainer und Scouting muss passen. Es muss in jeder Sitzung immer klare, verlässliche Aussagen hinsichtlich eines Spielers geben. Die feste Überzeugung muss dahinter stecken. Kein Wischiwaschi" sagte er dem "Kicker".
Dass sich Reschke auch erstmal wird einarbeiten müssen, ist nach 35 Jahren unterm Bayer-Kreuz und der ganz anderen Herausforderung in München auch klar. "Obwohl die Arbeitsfelder ähnlich sein werden, wird es ein ganz anderes Arbeiten", sagt er.
"Bei der Suche nach dem Rhythmus werden mich die Verantwortlichen in der Anfangsphase leiten, da bin ich ganz beruhigt. In Leverkusen war ich selbstbestimmt." Das wird sich im Münchener Umfeld der Großkopferten ab Juli definitiv ändern.