Mahmoud Dahoud bekommt den Ball im eigenen Strafraum. Auf einmal rauscht Bayerns Superstar Frank Ribery an. Zeit, den Ball wegzuschlagen. Eigentlich. Doch Dahoud lässt den Franzosen mit dem Zidane-Gedächtnistrick ins Leere laufen, blickt sich kurz um und spielt seelenruhig den geordneten Flachpass zum Mitspieler.
Wenige Minuten später lässt er im Mittelkreis Thiago mit einer einfachen Körpertäuschung ganz alt aussehen und sprintet mit dem Ball durchs Mittelfeld. Die Zuschauer sind fasziniert von dem jungen, schmächtigen Kerl im Gladbach-Trikot, der gänzlich furchtlos gegen die übermächtig erscheinenden Bayern aufspielt.
So präsentierte sich Mo Dahoud beim Telekom-Cup 2013. Die Öffentlichkeit hatte sofort ein weiteres deutsches Nachwuchs-Juwel auserkoren. Es schien, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Stern des Deutsch-Syrers in der Bundesliga aufgehen sollte. Zumal er mit Lucien Favre einen Trainer hat, der auf junge Talente setzt.
Lucien Favre: "Oh la la"
Wer den Schweizer kennt, der weiß, dass er Lob nicht gerade überschwänglich verteilt. Doch spricht Favre über seinen jungen Schützling, so gerät der Fußball-Lehrer ins Schwärmen. "Er hat das gewisse Etwas. Mo spielt intelligent und hat Übersicht, er ist einfach gut. Er zeigt Sachen, oh la la..."
Der nächste Schritt sollte bald folgen. Doch plötzlich wurde es still um den 17-Jährigen. In den samstäglichen Borussen-Kadern suchte man ihn vergeblich. So schnell er der Öffentlichkeit auffiel, so schnell geriet er wieder in Vergessenheit. So ist es nun mal in diesem vermaledeiten Profigeschäft.
Als wäre jemand auf die Wiederholungstaste der Fernbedienung gekommen, sieht man beim Telekom Cup 2014 plötzlich wieder den schmächtig wirkenden Jungen über das Spielfeld sprinten. Gleiche Eleganz, selbe Ruhe und Übersicht wie im vergangen Jahr. Da stellt sich die Frage: Kann Mo Dahoud nur Telekom-Cup oder startet er nun mit einem Jahr Verspätung durch?
Der Körper streikt
Ein Blick hinter die Kulissen bringt Licht ins Dunkel. Die Antwort liefert sein Körper, der ihm einen Strich durch die Bundesliga-Rechnung machte. Dahoud verkraftete die Umstellung von Jugend- auf Profitraining nicht. Sein Körper streikte. Beide Sprunggelenke entzündeten sich, dazu eine Schleimbeutelentzündung, die ihn lange außer Gefecht setzte. War er im Kopf bereits bereit für die Bundesliga, so war es sein Körper mitnichten.
Anstatt auf dem Rasen die Götzes, Draxlers und Robbens dieser Welt auszutanzen, dribbelte er einzig zwischen Reha und Ärztezimmern hin und her. Der Youngster fiel in ein Loch, gerade mental. "Das war extrem schwer für mich. Vor allem vom Kopf her. Ich konnte keinen Reha-Raum mehr sehen. Aber da musste ich durch - es scheint sich gelohnt zu haben."
Der nächste Anlauf
Die Belohnung war der Telekom-Cup 2014. Doch Dahoud will mehr. Er möchte Teil des Profikaders sein und seine Chance auf einen Stammplatz nutzen. Die Voraussetzungen sind gut, sein Körper spielt bisher mit. Die gesamte Vorbereitung konnte er absolvieren.
In Abwesenheit des Weltmeisters Christoph Kramer und des WM-Fahrers Granit Xhaka will er sich Favre anbieten. So bekleidete Dahoud mit Havard Nordtveit die Doppel-Sechs im Test gegen 1860. Auch wenn er mit seiner Leistung alles andere als zufrieden war: " Ich war zu hektisch, wollte wohl zu viel. Ich brauche eine gute Aktion, dann kommt alles wieder."
Als Vertrauensbeweis von Seiten der Fohlen bekam er die Trikotnummer 6. Durchaus als aussagekräftiges Statement zu werten. Der Youngster war sichtlich erfreut über die Aktion. "Diese Rückennummer bedeutet mir sehr viel."
Nicht nur die Trikotnummer im Visier
Die Trikotnummer seiner Position hat Dahoud schon mal. Den Konkurrenzkampf muss er trotz zweier WM-Fahrer nicht scheuen. Granit Xhaka durchlebt in Gladbach immer mal wieder Täler, gefolgt von etwaigen Höhen. Wirklich warm ist er mit Favre sowieso nicht.
Havard Nordtveit ist ein solider 6er, doch plant Favre ihn auch für die Innenverteidigung ein. Bliebe Weltmeister Christoph Kramer übrig. Unbestritten, Kramer hat Qualitäten. Er spult ein unglaubliches Laufpensum herab, grätscht um sein Leben und wirft sich in jeden Zweikampf. Doch ein Feingeist, die bei Favre unter Artenschutz stehen, ist er nicht. Zudem ist sein Offensivspiel ausbaufähig.
Bereiche, in denen Mo Dahoud, seinen Kontrahenten überlegen ist. Der mittlerweile 18-Jährige, der mit zehn Monaten mit seinen Eltern aus Syrien nach Deutschland kam, überzeugt mit seiner feinen Technik, seinem Auge für die Mitspieler und seinem Drang, sich in die Offensive einzuschalten.
Der Gladbacher Gündogan
Sieht man Dahoud spielen, so weckt er in seinem ganzen Bewegungsablauf Erinnerungen an einen anderen Borussen. Jedoch aus Dortmund. Der Deutsch-Syrer bewegt sich und dribbelt wie Ilkay Gündogan. Wendige Bewegungen, enge Ballmitnahme und clevere Zweikampfführung trotz eher kleiner Körpergröße.
Zudem besticht das Mittelfeldtalent durch eine Ruhe am Ball, die man einem 18-Jährigen so nicht zutraut. Dahoud spielt auf dem Platz wie ein alter Hase. Bemerkenswert auch seine Spielübersicht, die er seinem U-17-Trainer zu verdanken hat. "Das hat mir unser U-17-Trainer Thomas Flath beigebracht. Er hat mir gesagt, ich soll immer den Schulterblick machen, bevor ich den Ball bekomme."
Bewährungsprobe DFB-Pokal
Am Wochenende steht die erste Runde im DFB-Pokal an und Dahoud hat gute Karten, von Beginn an ran zu dürfen. Kramer und Xhaka sind erst verspätet ins Training dazu gestoßen. Somit sollte der Weg frei sein für die erste Elf. Es ist die Chance, weiter Eigenwerbung für sich zu betreiben.
Dahoud ist gewillt, sie zu nutzen. Ein weiteres Jahr Reserve-Team oder Rehazimmer will er unter allen Umständen vermeiden. Er will ins Dribbling gehen, gegen die Götzes, Draxlers und Robbens dieser Welt. Und zwar in der Bundesliga. Samstag für Samstag. Und nicht nur beim Telekom Cup 2015.
Mahmoud Dahoud im Steckbrief