Ein Spiel, vier Tore und ein leidenschaftlicher Kommentator machten ihn zur Legende. Edgar "Euro-Eddy" Schmitt war der personifizierte Alptraum für Valencia. Im SPOX-Interview spricht der frühere KSC-Stürmer über seinen ungewöhnlichen Einstieg bei der Eintracht, die magische Nacht im Wildpark und die Schwierigkeiten des normalen Lebens.
SPOX: Herr Schmitt, Kommentator Jörg Dahlmann taufte Sie beim Wunder vom Wildpark Looping-Schmitt, da Sie in der Woche vorher einen heftigen Autounfall hatten. Nach Ihren vier Toren nannte er Sie "Euro-Eddy". Gefällt Ihnen der Spitzname überhaupt?
Schmitt: Den schweren Unfall hatte ich dank meiner physischen Stärke so gut wie unverletzt überstanden. Auf das Spiel selbst hatte der Unfall keine Auswirkungen. Ich habe den Unfall schnell verkraftet und auch verarbeitet. Es besteht also, nicht wie viele Medien behaupteten, kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Spiel gegen den FC Valencia. Auf meinen Spitznamen "Euro-Eddy" bin ich wirklich stolz. Wann gibt es das schon einmal, dass ein so historisches Spiel wie das UEFA-Cup-Spiel gegen Valencia mit einem Spieler assoziiert wird und ich ab diesem Zeitpunkt diesen Spitznamen habe. Dass ich ein Teil dieser fantastischen Mannschaft sein durfte, macht mich aber mindestens genau so stolz.
SPOX: Sie wurden durch ein Spiel zur Legende. Werden Sie oft darauf angesprochen?
Schmitt: Ja, klar. Diese tolle Zeit mit allen UEFA-Cup-Spielen war für mich und auch für den Verein einmalig und bleibt unvergessen. Ich bin immer noch ergriffen, wie viele Menschen mich erkennen und auf das Spiel gegen Valencia ansprechen. Schließlich bin ich erst mit 28 Jahren Profi geworden und habe auch nie in der Nationalmannschaft gespielt.
SPOX: Weshalb ist das Wunder vom Wildpark noch immer so präsent in den Köpfen der Menschen?
Schmitt: Weil es ein außergewöhnliches Spiel war. Es war natürlich auch eine günstige Konstellation, dort der übermächtige Spitzenverein aus Spanien und hier der Underdog aus Deutschland. Der KSC durfte erstmals in der Vereinsgeschichte im europäischen Wettbewerb teilnehmen und galt, bis aufs Halbfinale, immer als krasser Außenseiter. Auch wurde zu dieser Zeit nicht so viel Fußball konsumiert wie in der heutigen Zeit. Heute kann man jeden Tag ein Fußballspiel live im TV verfolgen. Die Menschen haben keine Zeit mehr, ein gutes Fußballspiel zu reflektieren. Das ist ein Teil unserer schnelllebigen Zeit.
SPOX: Dabei wäre es beinahe nicht zu "Euro-Eddy" gekommen. Erst mit 28 Jahren haben Sie den Sprung in die Bundesliga geschafft. Wie kam es, dass Sie so spät Profi wurden?
Schmitt: Auch zu dieser Zeit war es sehr ungewöhnlich, dass ein Fußballspieler mit 28 Jahren in den Profibereich wechselte und dann noch zu einem deutschen Top-Verein wie Eintracht Frankfurt. Durch meine sehr guten Leistungen bei Eintracht Trier in der damaligen Oberliga Südwest bin ich in den Fokus des Profifußballs gerückt. Obwohl ich mehrere Angebote aus der Bundesliga hatte, entschied ich mich letztendlich, wegen den führenden Personen Bernd Hölzenbein und Dragoslav Stepanovic, für Frankfurt.
SPOX: Auf einen Schlag spielten Sie mit Stars wie Yeboah, Möller oder Stein zusammen. Damit ging sicherlich ein Traum in Erfüllung, oder?
Schmitt: Eher nicht. Es war eher so, dass ich mir die Frage stellte, warum ich gerade jetzt bei der vielleicht besten Mannschaft Deutschlands spielen sollte und nicht schon viel früher entdeckt wurde.
SPOX: Wie ging es bei der Eintracht weiter?
Schmitt: Der Start bei meinem neuen Verein war unglaublich schwer. Obwohl ich ein herausragender Spieler in der höchsten Amateurklasse war, war der Unterschied zu den gestellten Anforderungen in der Bundesliga enorm. War ich bei Eintracht Trier noch der Führungsspieler schlechthin, musste ich mich bei der Eintracht erstmal hinten anstellen. Über ein Jahr habe ich gebraucht, um mich an das hohe Tempo der Bundesliga zu gewöhnen. In der Rückrunde der zweiten Saison hatte ich mir nicht nur einen Stammplatz erkämpft, sondern war auch mit zehn Toren in den letzten 16 Spielen sehr erfolgreich.
SPOX: Mit dem Wechsel zum KSC begann Ihre größte Zeit. Die Spiele gegen Valencia haben Ihren Ruf begründet. Dabei wurde der KSC im Hinspiel teilweise vorgeführt, bis Sie kurz vor dem Ende das 1:3 erzielten.
Schmitt: Wie schon gesagt, die Konstellation David gegen Goliath hat dieses Spiel zu dem gemacht, was es bis heute ist. Valencia war zu diesem Zeitpunkt ungeschlagen und souveräner Tabellenführer der Primera Division. Das Hinspiel in Valencia war eine Lektion und das Ergebnis schmeichelhaft. Wäre Oliver Kahn, der wie so oft überragend hielt, nicht in Weltklasseform gewesen, wäre unsere UEFA-Cup-Reise schon zu diesem Zeitpunkt zu Ende gewesen. Mit unserem Tor in der 81. Minute hatte sich die Ausgangslage schlagartig verändert. Für Valencia war es ein unerwartetes Negativerlebnis und wir wussten: Jetzt sind wir dran - wir werden sie schlagen.
SPOX: Es war für Sie vollkommen klar, dass Sie Valencia noch rauswerfen würden?
Schmitt: Ja, seit der 81. Minute in Valencia war mir klar: Wir werden in Karlsruhe gewinnen. Dass es ein bis heute unvergessliches historisches Spiel werden würde, damit hat keiner gerechnet.
SPOX: Vor dem Rückspiel wurde Trainer Winnie Schäfer von der UEFA gesperrt. Er hätte vor dem Spiel nicht in die Kabine gedurft, war aber trotzdem dort. Als ein UEFA-Kontrolleur kam, soll er sich angeblich unter einer Jacke hinter der Tür versteckt haben. Stimmt das?
Schmitt: Es war im Nachhinein definitiv eine lustige Szene. Winnie wusste natürlich um die Konsequenzen, wenn der UEFA-Spielbeobachter ihn erwischt hätte. Unser Trainer wollte unbedingt noch einmal vor dem Spiel zu seinem Team und wenn man das Ergebnis sieht, hatte es auch nicht geschadet.
SPOX: Schon der Beginn der Partie war Sinnbild für die folgenden 90 Minuten. Der Anstoß von Valencia musste wiederholt werden, da bereits drei Karlsruher in der gegnerischen Hälfte waren. Welche Rolle spielte dabei Schäfer?
Schmitt: Winnie hat sich natürlich über Emotionen definiert. Danach hat er sich auch immer seine Mannschaft zusammengestellt. Wir waren ein außergewöhnliches Team mit einer klaren Hierarchie, mit vielen mutigen und vor allem mit sehr guten Spielern. Wir haben damals, vergleichbar mit Werder Bremen, für das größte Spektakel, nicht nur im europäischen Fußball sondern auch in der Bundesliga gesorgt. Gegen Valencia war es von Anfang an ein sehr intensives Spiel mit einem offenen Schlagabtausch. Bis zum 1:0, was den Spaniern das Genick gebrochen hat, hat uns wie so oft Oliver Kahn vor einem Rückstand bewahrt.
SPOX: Sie zerstörten die hohe Spielkunst der Spanier mit den klassischen deutschen Tugenden.
Schmitt: Wie viele technisch versierte Mannschaften war auch Valencia bei starkem Pressing labil. Es war von beiden Seiten ein unheimlich hart geführtes Spiel, mit vielen grenzwertigen Fouls. Und als tatsächlich das Tor für uns fiel, war allen klar, dass Valencia an diesem Tag nichts mehr gewinnen konnte. Sie hatten unserer physischen und mentalen Kraft nichts mehr entgegenzusetzen.
SPOX: Und Sie avancierten mit vier Toren zur Gallionsfigur in diesem Spiel...
Schmitt: Von der Dramaturgie her ist das Spiel gegen Valencia vielleicht noch höher zu bewerten als das fantastische 7:1 unserer Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Brasilien. Spätestens nach dem 4:0 wusste man: Deutschland steht im Finale. Bei dem Spiel gegen Valencia war selbst nach dem 5:0, durch die Regelung der auswärts geschossenen Tore, noch nicht klar, dass wir durch sind.
SPOX: Während dieser wundersamen Reise durch Europa schalteten Sie unter anderem Größen wie Girondins Bordeaux mit Zinedine Zidane und Bixente Lizarazu oder Valencia mit Predrag Mijatovic aus. Was war das Erfolgsgeheimnis dieser Truppe? Der große Star im Team war ja nicht vorhanden.
Schmitt: Sie sind es dann später geworden. Oliver Kahn hat eine Weltkarriere hingelegt und Slaven Bilic war in England sehr erfolgreich. Eines der Erfolgsgeheimnisse war der Teamspirit. Des Weiteren hatte diese Mannschaft eine hohe fußballerische Qualität. Die Mischung war schlicht perfekt. All das machte die vielleicht beste KSC-Mannschaft aus.
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SPOX: Sie haben gerade Oliver Kahn erwähnt. Wie musste man sich den 24-jährigen Kahn vorstellen?
Schmitt: Oliver Kahn war ein absoluter Führungsspieler, ohne große Reden zu halten. Er war der vorbildlichste Profi, den es gab, konnte sich auf den Punkt fokussieren wie kein anderer und war ein Teamplayer. Kurz und knapp - er war einfach der Beste.
SPOX: Bis zum Halbfinale waren Sie in jeder Runde krasser Außenseiter. Dort wartete dann Salzburg. Auf einmal lag die Favoritenrolle auf Seiten des KSC. War das der Knackpunkt?
Schmitt: Psychologisch hat es sicher eine Rolle gespielt, zum ersten Mal Favorit zu sein. Das torlose Unentschieden in Wien war für uns ein ganz gefährliches Ergebnis. Uns war klar: Schießt Salzburg ein Tor, dann müssen wir schon zwei schießen. Und so kam es dann auch im Rückspiel. In Karlsruhe waren wir an diesem Tag nicht in der Lage, Austria Salzburg zu schlagen. Man muss aber auch erwähnen, dass Austria Salzburg eine richtig gute Mannschaft hatte. Immerhin hatten sie im Achtelfinale Sporting Lissabon und im Viertelfinale Eintracht Frankfurt ausgeschaltet.
SPOX: Im Finale hätte Inter Mailand gewartet. Trauert man einer solchen Gelegenheit nach?
Schmitt: Nachtrauern will ich so direkt nicht sagen. Wir haben die große Chance verpasst, das Endspiel nicht nur zu bestreiten, sondern es sogar zu gewinnen. Inter Mailand spielte keine gute Saison und war am Ende der Saison in der Liga auf dem 14. Tabellenplatz.
SPOX: In den folgenden Spielzeiten spielten Sie noch ordentlich, konnten aber nicht mehr an die damalige Saison anknüpfen.
Schmitt: Das kann man so nicht sagen. Ich habe mich am Ende der Saison 93/94 gegen Bayern München schwer verletzt. Es war fraglich, ob ich überhaupt wieder Fußball spielen konnte. In der Saison 94/95 bestritt ich dann auch nur 14 Bundesligaspiele, jedoch mit der traumhaften Torquote von 11 Toren.
SPOX: Mit 34 Jahren verließen Sie den KSC und spielten zwei weitere Jahre für Fortuna Köln. Mit 36 beendeten Sie dann Ihre Karriere. Wie ging es für Sie dann nach der Laufbahn als Profi weiter?
Schmitt: Mit mittlerweile 34 Jahren habe ich gemerkt, dass ich dem Hochleistungssport wegen meiner vielen und schweren Verletzungen nicht mehr gewachsen war. Obwohl die Zeit bei Fortuna Köln schön und spannend war, hätte ich mir dieses Engagement ersparen müssen.
SPOX: In einem Interview im "aktuellen Sportstudio" im Dezember 2013 haben Sie von Schwierigkeiten gesprochen, von denen fast alle Profisportler nach ihrem Karriereende betroffen sind.
Schmitt: Als Fußballprofi bewegst du dich im Mikrokosmos der Fußballszene und hast mit der realen Welt aus den verschiedensten Gründen nicht so viel zu tun. Für mich war es nach der Karriere unheimlich schwer, wieder den Lebensrhythmus des normalen Lebens anzunehmen. Gerade der Umgang mit den Menschen war kompliziert. Auf der einen Seite die sportliche Vergangenheit und auf der anderen Seite die unbekannte neue Zukunft, mit all ihren Herausforderungen. Gerade mit wirtschaftlichen Abläufen habe ich mich wegen mangelnden Fachwissens sehr schwer getan. Das Agieren auf Augenhöhe mit den Mitmenschen ist oftmals nicht möglich.
SPOX: Wie viel Zeit haben Sie benötigt und was haben Sie unternommen?
Schmitt: Ein paar Jahre hat es schon gedauert. Entscheidend für mich war, wie so oft in meiner Karriere als Fußballprofi, der unbedingte Wille des Lernens und des Weiterkommens. Da das Fußballbusiness immer komplexer und anspruchsvoller wird, war für mich klar, dass es ohne Weiterbildung nicht geht. Deshalb absolvierte ich 2005 die Ausbildung zum Fußballlehrer und studierte anschließend Sportökonomie. Für dieses Studium entschied ich mich, weil die Studieninhalte einen sehr engen Bezug zum Fußball haben, was man zum Beispiel an dem Thema meiner Abschluss-Arbeit, "Nachwuchsförderung im deutschen Fußball und die Rolle der Trainer", erkennen kann.
SPOX: Dieses Fachwissen weisen viele ehemalige Fußballer nicht auf. Trotzdem sind sie Manager oder Sportdirektoren bei Profivereinen.
Schmitt: Stimmt, man sollte diese Aussage aber nicht pauschalisieren. Es gibt viele ehemalige Fußballprofis, die sehr gute Sportmanager sind und kein besonderes Fachwissen im Bereich Wirtschaft haben. Für den Beruf des Fußballmanagers ist das fußballspezifische Fachwissen von großer Bedeutung. In diesem Bereich haben die ehemaligen Fußballprofis ein Fachwissen, was sich Außenstehende oftmals nicht aneignen können. Aber es gibt im umgekehrten Fall auch viele gute Manager, die niemals Profispieler waren. Im Bereich Fußball bin ich ein absoluter Fachmann und trotzdem war es für mich von Anfang an klar, dass ich nach der Ausbildung zum Fußballlehrer das Studium beginne.
SPOX: Und haben den Sprung zurück in den Fußball geschafft.
Schmitt: Momentan arbeite ich bei dem Sportrechtevermarkter "Sportfive" in Karlsruhe. Es ist ein schöner Job mit einem starken Bezug zum Profifußball. Wenn man so will, hat sich der Kreis wieder geschlossen.
SPOX: 2005 haben sie den Trainerschein gemacht. Danach folgten Trainerstationen beim VfR Aalen und bei den Stuttgarter Kickers. Sieht man Sie eines Tages wieder im Trainergeschäft?
Schmitt: Auf jeden Fall! Ich schaue mir jedes Wochenende Spiele aus der 1. und 2. Bundesliga an und bin bestens informiert. Das Thema meiner Abschlussarbeit fokussiert das Thema Nachwuchsförderung im deutschen Fußball und die Rolle der Trainer. Wie man sieht, lässt der Fußball mich nicht los. Man muss im schlimmsten Fall davon ausgehen, dass ich wieder an die Außenlinie zurückkehre. (lacht)
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Der Kader des Karlsruher SC