Seit Saisonbeginn ist Jonas Boldt Manager Sport bei Bayer Leverkusen - und mit 32 Jahren der Jüngste seiner Zunft in der Bundesliga. Der ehemaliger Leiter der Leverkusener Scoutingabteilung spricht im Interview über die Nachfolge von Manager-Urgestein Michael Reschke, "Ex-Konkurrent" Borussia Dortmund, das gewaltige Potential von RB Leipzig sowie die Personalien Joshua Kimmich, Martin Ödegaard und Kevin Kampl.
SPOX: Herr Boldt, beim letzten Interview mit SPOX ging es noch um Ihre Arbeit als Leiter der Leverkusener Scoutingabteilung. Seit Saisonbeginn fungieren Sie nach dem Abgang von Michael Reschke zum FC Bayern als Manager Sport und sind der jüngste Vertreter Ihrer Art in der Bundesliga. Bleibt da noch Zeit für eines der zahlreichen Online-Managerspiele?
Jonas Boldt: Wir hatten mal eine Liga innerhalb der Scoutingabteilung, aber mittlerweile fehlt mir dafür schlichtweg die Zeit. Ich mache jetzt sozusagen Managerspiel in echt (lacht). Ich weiß aber noch, wie ich 2006 die Comunio-Liga unter meinen Freunden mit 20 Mann am letzten Spieltag gewonnen habe. Und zwar mit einem Punkt Vorsprung, weil Miroslav Klose für mein Team getroffen hat. Tim Borowski verschoss nach Kloses Tor noch einen Elfmeter. Wenn der reingegangen wäre, hätte einer meiner Kumpels gewonnen.
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SPOX: Man wusste von Ihren Absichten, einmal einen Posten im Management übernehmen zu wollen. War Ihnen nach Reschkes Wechsel klar, dass man Sie fragen würde?
Boldt: Ich bin zumindest schwer davon ausgegangen. Auch der Verein wusste, dass ich in diese Richtung gehen mochte. Ich kenne den Klub seit Jahren, die Zusammenarbeit mit Rudi Völler und Michael Reschke hat sehr gut funktioniert. Es war deshalb auch die logischste aller Entscheidungen. Vielleicht war sie für den einen oder anderen auf den ersten Blick nicht ganz selbstverständlich, wenn man nur mein Alter betrachtet.
SPOX: Das Ende von Reschke in Leverkusen kam ziemlich überraschend. Auch für Sie?
Boldt: Das kam aus dem Nichts, aber auch für ihn selbst. Er hat uns zunächst informiert, dass dieses Angebot vorliegen würde. Dann ging es für ihn darum, seine eigene Entscheidung zu treffen. Ungefähr zehn Tage später waren sein Abgang und meine Nachfolge durch. Letztlich ist eine Offerte von Bayern München natürlich noch einmal eine andere Hausnummer und Beweis der Wertschätzung, die er sich bei Bayer erarbeitet hat.
imagoSPOX: Wenn Reschke nicht gegangen und Sie nicht zum Manager aufgestiegen wären, hätten Sie dann noch die Geduld gehabt, auf diesen Posten zu warten?
Boldt: Als erstes möchte ich hier einmal klar stellen, dass für mich der Posten eigentlich nicht zur Disposition stand. Es war schließlich nahezu undenkbar, dass Michael Reschke Bayer Leverkusen verlässt und für mich nie die Intention, ihm etwas streitig zu machen. Diese Frage hat sich also nie gestellt. Natürlich macht man sich gelegentlich Gedanken um die eigene Zukunft, aber ungeduldig war ich nicht. Dies lag sicher auch daran, dass ich bereits in einem tollen Klub war und bin, die Arbeit insbesondere mit Rudi Völler und Reschke sehr viel Spaß gemacht hat und bereits sehr ambitioniert ist. Was also in Zukunft hätte sein können, ist mir zu hypothetisch. Am Ende ist es für alle Beteiligten super gelaufen, auch wenn es eben plötzlich und unerwartet, aber darum umso logischer kam.
SPOX: Hätten Sie die Möglichkeit gehabt, mit ihm nach München zu gehen?
Boldt: Rudi Völler sagte nach Reschkes Entscheidung zu mir: Komm' bloß nicht auf den Gedanken, mitgehen zu wollen (lacht). Ich glaube schon, dass er mich gerne mitgenommen hätte. Er wusste aber von meinen Zukunftsplänen. Deshalb war ihm auch klar, dass dies für mich nicht der richtige Schritt gewesen wäre.
SPOX: Bedenkzeit haben Sie dann letztlich gar nicht benötigt, oder?
Boldt: Nein, wir waren uns sehr schnell einig. Wir haben ein paar Gespräche geführt, um hauptsächlich meine konkreten Aufgaben zu definieren. Mich hat das von der ersten Sekunde an sehr gereizt, zumal ich schon einige Zeit bei Bayer 04 bin und meine, den Verein gut zu kennen.
SPOX: Ihre erste Manager-Saison neigt sich dem Ende entgegen. Ist der Job zeitintensiver als zuvor die Arbeit im Scouting?
Boldt: Er war bereits zeitintensiv. Ich bin ständig 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche eingespannt. So definiere ich mein Arbeitsprofil aber auch selbst. Die Verantwortung ist jetzt natürlich noch einmal größer geworden. Nach Reschkes Abgang arbeite ich nun in erster Linie mit Rudi Völler eng zusammen und muss Themen vorantreiben, die zuvor noch final über Michaels Schreibtisch gingen. Da gehören dann auch so Dinge dazu wie die Erneuerung des Rasens, mit der ich zuvor überhaupt nichts zu tun hatte. Doch dieses Mehr an ganzheitlichen Themen ist ja genau das, was ich wollte. Es macht mir sehr viel Spaß.
SPOX: Wie sieht die Arbeitsteilung mit Rudi Völler aus: sind manche Verantwortlichkeitsbereiche strikt voneinander getrennt oder versucht man, alles sinnvoll aufzuteilen?
Boldt: Wir treffen uns meist morgens im Büro bei einer Tasse Kaffee und besprechen den Tag. Es gibt keine feste Terminregelung im Haus. Natürlich haben wir auch turnusmäßige Sitzungen mit den einzelnen Abteilungen, um die aktuellsten Entwicklungen abzufragen oder Planungen voranzutreiben. Doch die Gespräche mit den Scouts, den Jugendtrainern oder dem Chefcoach ergeben sich vor allem aus dem Alltag. Rudi ist als das Gesicht des Vereins der Entscheider. Er weiß über alles Bescheid, lässt mir aber natürlich auch meine Freiheiten.
SPOX: Zu Völlers Zeiten als Spieler und Bundestrainer waren Sie noch ein junger Bursche. Wie haben Sie ihn damals eigentlich wahrgenommen - und wie jetzt?
Boldt: Seine Zeit als Bundestrainer ist mir noch deutlich präsenter. Er war ja aber schon als Spieler gewissermaßen eine Legende. Ich habe ihn kennengelernt, als er in Leverkusen Interimstrainer war. Schon damals hatte ich den Eindruck, dass er ein absolut bodenständiger Typ ist. Je länger ich ihn kenne, umso mehr bestätigt sich das. Er ist bei allem, was er erreicht hat, immer auf dem Boden und ein ganz normaler Mensch geblieben.
SPOX: Was Ihnen an Reschke besonders gefiel, war wie Sie sagen die "Schnellboot-Mentalität" - frühzeitig und vor der Konkurrenz da zu sein, um beispielsweise Talente abzugreifen. Wie groß ist in diesem Bereich der Kampf mit konkurrierenden Klubs wie Dortmund oder Schalke wirklich?
Boldt: Man trifft sich in dieser Branche sehr, sehr oft. Dortmund beispielsweise war aber die letzten Jahre kein klassischer Konkurrent mehr, weil der BVB höhere Anforderungen und Mittel zu haben schien als wir. Lassen wir die etwas atypisch verlaufene Saison des BVB mal außen vor und nehmen die großen Erfolge der letzten Jahre, dann hat sich daraus natürlich eine gewisse Power abgeleitet. Heißt: Wenn wir zeitgleich mit Dortmund ins Boot gestiegen sind, hatten wir oftmals schlechtere Chancen. Da dort wiederum die Messlatte höher gelegt wurde, hatten wir in manchen Fällen doch die Möglichkeit, früher einzusteigen.
SPOX: Und der FC Bayern schwebt - jetzt mit Ihrem Ziehvater Reschke - in unerreichbaren Sphären?
Boldt: Mit ihnen werden wir in der Talentfrage sicherlich ein paar Berührungspunkte haben. Michael Reschke hat ja Wissen aus Leverkusen mitnehmen können und wird für die Bayern künftig aggressiver auftreten als zuletzt. Das ist aber unproblematisch, denn wenn es für einen Spieler um die sportliche Entwicklung geht, wird Bayer Leverkusen immer eine andere Rolle spielen als Bayern München. Die Perspektive in Richtung Profifußball ist gerade für die Talente, die an der Schwelle zum Seniorenbereich stehen, bei uns besser als in München.
SPOX: Auf wen trifft Bayer denn dann hauptsächlich?
Boldt: Neben Mönchengladbach, deren gute Arbeit über die letzten Jahre jetzt Früchte zu tragen scheint, ist und wird RB Leipzig einer unserer größten Widersacher. Wir haben zwar aktuell den sportlichen Aspekt - Bundesligazugehörigkeit und Teilnahme am internationalen Wettbewerb - auf unserer Seite. Doch was das Kennen der Spieler und das Ansprechen der Berater angeht, verfügt Leipzig über großes Wissen.
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SPOX: Hängt das damit zusammen, dass Leipzig vor zweieinhalb Jahren Frieder Schrof und Thomas Albeck, die lange Zeit sehr erfolgreich in der Jugendabteilung des VfB Stuttgart arbeiteten, zu sich geholt hat?
Boldt: Das kann ich nicht final beurteilen, da dürfte sicherlich etwas dran sein. Leipzig ist für mich aber in erster Linie Ralf Rangnick. Er ist clever genug, nicht nur Spieler, sondern auch Mitarbeiter an Land zu ziehen, die einfach Qualität haben. Ganz unabhängig davon, dass man zu diesem Projekt stehen kann, wie man möchte: Es ist Fakt, dass dort sehr gute und sehr strukturierte Arbeit geleistet wird.
SPOX: Wie stehen Sie zum Projekt RB Leipzig?
Boldt: Lassen Sie es mich so sagen: Mir persönlich gefällt es nicht, dass Leipzig so gut arbeitet. Man kann mit viel Geld auch nicht gut arbeiten, doch das ist in Leipzig ganz und gar nicht der Fall. Sie arbeiten mit System und Strategie und kaufen sich nicht blind eine Mannschaft zusammen. Da steckt schon etwas dahinter.
SPOX: Das heißt, sobald Leipzig in der Bundesliga spielt, könnte der Klub beim Thema Spielerakquise Vereinen wie Leverkusen davon ziehen?
Boldt: Dann wird es zumindest eng, das merkt man bereits jetzt. Leipzig geht schon jetzt an Spieler heran, die jederzeit in der Bundesliga spielen könnten oder es wie im Falle von Davie Selke schon tun. Sollten sie eines Tages auch noch in Richtung internationale Plätze vordringen, wird es mit den Mitteln, die sie zur Verfügung haben und der Arbeit, die sie leisten, eine große Herausforderung - und zwar für alle.
SPOX: Auch für Bayern München?
Boldt: Auch für Bayern München.
SPOX: Gab es schon einen Fall, bei dem Sie sehen mussten, dass Reschke vor Ihnen dran war - zum Beispiel bei Joshua Kimmich?
Boldt: Natürlich vermute ich, an welchen Spielern Michael dran ist. Das ist aber auch kein dramatischer Wissensvorsprung, weil es in diesem Geschäft erstens nichts Ungewöhnliches ist und zweitens wie gesagt ein Unterschied zwischen Leverkusen und dem FC Bayern besteht. Kimmich war in der Tat auch bei uns ein Thema - aber eben nicht zu der Summe zu dem Zeitpunkt. Deshalb haben wir kein Angebot abgegeben, obwohl ich glaube, dass das ein richtig guter Spieler wird.
SPOX: Wie äußert sich der angesprochene Unterschied denn konkret in Verhandlungen?
Boldt: Nehmen wir das Beispiel Martin Ödegaard. An ihm waren dutzende Klubs dran, natürlich auch wir. Doch irgendwann war eben klar, dass wir keine Rolle mehr spielen würden. Wenn es für ihn in sportlicher Hinsicht darum gegangen wäre, Kaderspieler bei den Profis zu werden, dann wären wir oder Vereine wie beispielsweise Ajax Amsterdam im Rennen gewesen. Wenn es aber auch um Geld, Glamour und solche Dinge gehen soll, dann spricht man mit Bayern München oder Real Madrid.
SPOX: Erklären Sie doch bitte einmal am Beispiel Kevin Kampl, den Leverkusen sehr gerne verpflichtet hätte und der im Winter stattdessen nach Dortmund ging, wie solche Verhandlungen verlaufen können?
Boldt: Dass er der Wunschspieler unseres Trainers war, ist bekannt. Wir haben auch große Anstrengungen unternommen, um ihn zu uns zu holen. Wir wollten aber nicht die Summe bezahlen, die Dortmund letztlich bezahlt hat. Das wäre mit der teuerste Transfer unserer Vereinsgeschichte gewesen - und das war uns einfach zu viel Geld.
SPOX: Stattdessen war Ihr Plan, Kampl für ein halbes Jahr zu RB Leipzig auszuleihen, damit er dort beim Kampf um den Aufstieg mithilft und anschließend günstiger zu Bayer wechselt.
Boldt: Genau, dahingehend haben wir auch ein Angebot gemacht. Dieses Szenario hätte gut für uns gepasst, da uns am Saisonende beispielsweise in Simon Rolfes und Stefan Reinartz zwei Mittelfeldspieler verlassen werden. Wir konnten uns aber bei der Ablösesumme für den Sommer nicht mit Red Bull einigen, Kevin Kampl wollte nicht länger warten. Plötzlich war Dortmund auch sein Wunschverein.
SPOX: Waren Sie überrascht davon, dass auf einmal der BVB mitbot?
Boldt: Nein, dass sie Interesse haben, war klar. Ich war höchstens überrascht davon, dass es nach dem letzten Spieltag der Hinrunde so schnell über die Bühne ging.
SPOX: Wie ärgerlich ist es, wenn man sich wochenlang bemüht und damit beschäftigt, am Ende aber doch nicht zusammenkommt?
Boldt: Das muss man in diesem Business emotionslos sehen. Der BVB hat uns den Spieler nicht weggeschnappt. Dass es nicht funktioniert hat, ist nicht problematisch. Die Frage ist, ob Kevin letztlich die richtige Entscheidung getroffen hat. Mal findet man eine für alle Seiten befriedigende Lösung, mal erzielt man keine Einigung. 2013 waren wir beispielsweise kurz davor, Sokratis zu verpflichten. Das hat nicht geklappt, also haben wir die nächste Möglichkeit geprüft und letztlich einen anderen Spieler geholt. Man sollte auf diesem Terrain nicht in Kategorien wie Sieg oder Niederlage denken.
SPOX: Trotz Ihrer erst 32 Jahre sind Sie schon eine lange Zeit in diesem Geschäft tätig. Sie haben Ihr Hobby zum Beruf gemacht, der Sie wiederum sehr geschäftig macht. Können Sie überhaupt einmal vernünftig abschalten?
Boldt: Ich war in der vergangenen Länderspielpause für drei Tage beim Skifahren. Im Freundeskreis höre ich schon manchmal die Bemerkung: Jetzt mach' mal dein Handy aus. (lacht) Ich finde schon meine Wege, um auch mal zur Ruhe zu kommen. Es ist auch eine Frage der Gestaltung seines Arbeitstages, dann bleibt auch Zeit, um sich mal abends mit Freunden auf ein Bierchen zu treffen. Dieser Beruf ist für mich aber keine Belastung, auch wenn der Druck nun temporär höher geworden ist. Wenn ich morgens aufstehe, freue ich mich auf meine Arbeit. Deshalb lehne ich es ab, darüber zu meckern.
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