Eigentlich war die Stimmung bei Jannik Vestergaard gedämpft. Tags zuvor war er noch als Abwehrchef 90 Minuten auf dem Platz gestanden um mitanzusehen, wie Dänemarks U21 vom DFB-Team mehrmals auskombiniert worden war. Das EM-Gruppenspiel gegen Deutschland endete für Vestergaard mit einer 0:3-Klatsche.
Am Folgetag traf ihn SPOX vor dem Mannschaftstraining. Nach der verbalen Aufarbeitung der Niederlage huschte plötzlich ein Lachen über sein Gesicht, als er nach seinem Spitznamen gefragt wird. Ob er die Fotomontage kenne, die ein Werder-Fan gebastelt hat? Sein breit grinsendes Gesicht auf David Hasselhoffs Körper, dazu der Schriftzug: "Werder Bremens Abwehr wieder sicher dank WESERGUARD".
Natürlich kennt er das Kunstwerk. "Ich finde das sehr kreativ, das gefällt mir." Der 22-Jährige hat sich innerhalb kürzester Zeit in die Herzen der Bremer Anhänger gespielt. Im Winter aus Hoffenheim gekommen überzeugte er mit zuverlässigen Auftritten in der Innenverteidigung.
Dementsprechend anerkennend fiel das Feedback der Fans aus - zur Überraschung Vestergaards: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so positiv aufgenommen werde. Man ist im Vorfeld immer ein wenig nervös", erzählt er im Gespräch mit SPOX und gibt das Lob umgehend zurück: "Die Unterstützung ist großartig. Ich habe mich vom ersten Moment an richtig wohl gefühlt. Daran haben die Fans großen Anteil."
"Habe gar nicht mehr gespielt"
Der Hauptgrund für Vestergaards Wohlbefinden liegt jedoch woanders. In Bremen erhält er endlich wieder, was ihm bei 1899 zuletzt komplett verwehrt blieb: Spielpraxis. Einst galt er noch als Hoffenheims Vorzeigetalent. Er hatte den Durchbruch in einer Zeit geschafft, als der Verein den eigenen Nachwuchs nur in Einzelfällen bei den Profis ordentlich zu integrieren vermochte.
Doch nach zweieinhalb Jahren als Quasi-Stammspieler fand er in der zurückliegenden Saison plötzlich kaum noch Beachtung. "Zum Ende hin habe ich gar nicht mehr gespielt", beschwert sich der Verteidiger. Tatsächlich kam er in der Hinrunde auf lediglich 155 Einsatzminuten für Hoffenheim.
Schon länger hatte er seinen Wechsel geplant. "Dann kam das Angebot aus Bremen, das hat perfekt gepasst", so Vestergaard rückblickend. Dort gilt seit dem 18. Spieltag die Maxime: Wenn Vestergaard fit ist, spielt er.
Wacklige Bremer Abwehr stabilisiert
In Bremen half er, die dramatisch wacklige Abwehr zu stabilisieren. Kassierte Werder in der Hinserie durchschnittlich noch 2,3 Gegentore pro Spiel, waren es in der zweiten Saisonhälfte "nur" noch 1,5. Besonders mit dem Spanier Galvez an seiner Seite harmonierte Vestergaard hervorragend. Aus den drei Spielen, in denen das Duo gemeinsam auflief, holte Bremen neun Punkte.
Der Däne glänzte dabei als resoluter, cleverer Zweikämpfer. Mit 63,2 Prozent gewonnener Duelle gehört er zu den Top 20 aller Bundesliga-Spieler und trieb den ein oder anderen Stürmer zur Weißglut. Sein Erfolgsgeheimnis ist ebenso simpel wie herausfordernd: "Ich versuche gegnerischen Stürmern das Leben schwer zu machen, das ganze Spiel über. Wenn sich ein Stürmer wohl fühlt, funktionieren Dinge, die sonst nicht klappen würden. Deshalb muss man ihm so wenig Luft wie möglich lassen."
Das wusste Vestergaard mit seinem guten Stellungsspiel umzusetzen. Doch er tat sich auch in anderen Bereichen hervor. Seine Spieleröffnung ist ein erfrischender Fortschritt im Vergleich zu Assani Lukimya, im Kopfballspiel ist der 1,99-Meter-Hüne nur schwer zu bezwingen. Und selbst der ein oder andere Lucio-ähnliche Vorstoß am Ball gehört zu Vestergaards Repertoire.
Im Fokus anderer Vereine
Seine starke Rückrunde hat er bei der U21-EM in Tschechien nochmal veredelt. Zwar schied Dänemark im Halbfinale gegen Schweden aus, doch zeigte Vestergaard als Kapitän ansprechende Auftritte. Nicht zu Unrecht wurde er als einziger Däne in die Elf des Turniers gewählt.
Zwar hat sich Vestergaard spätestens dadurch in den Fokus anderer Vereine gespielt, ein Problem ist das für Geschäftsführer Thomas Eichin jedoch keineswegs, wie er im Weser-Kurier verriet: "Das ist mir lieber, als wenn Vestergaard bei der U21-EM grottenschlecht gespielt hätte. Wir wollen lieber gute Spieler, die auch mal gehen, als schlechte, die immer bleiben."
Ohnehin habe man "nicht vor, Jannik abzugeben", wenngleich Eichin betonen muss, dass "kein Spieler unverkäuflich" sei. Ebenso klar ist: "Wenn jetzt ein Angebot zum Beispiel für Vestergaard kommen sollte, dann muss es ja schon richtig rappeln, damit wir darüber nachdenken."
Eine neue Rolle wartet
Der Spieler selbst hatte schon im Mai beteuert, dass er keinerlei Wechselabsichten hege. "Für mich ist das Wichtigste, dass ich spiele. Das ist hier der Fall. Deshalb werde ich auch nächstes Jahr hier sein", sagte er der Bild. Womöglich auch, weil er nach einem halben Jahr unter Viktor Skripnik bereits zu Höherem berufen ist.
Abwehrchef Sebastian Prödl beendete nach sieben Jahren das Kapitel Werder. Um auf der Innenverteidiger-Position hochkarätig nachzurüsten, fehlt dem Verein das Budget. Doch mit Vestergaard steht der passende Nachfolger ohnehin in den eigenen Reihen bereit.
Prödl zu beerben, sei tatsächlich "ein Ziel", so Vestergaard im Gespräch mit SPOX. "Ich würde die Rolle gerne einnehmen. Ich will mit guten Leistungen vorangehen und Verantwortung übernehmen." So könnte er auch künftig seinem Spitznamen alle Ehre machen.
Jannik Vestergaard im Steckbrief