"Man fühlt sich wie beim Referat"

Daniel Reimann
03. Juli 201510:36
Patrick Weiser arbeitete beim 1. FC Köln als Co-Trainer unter Stale Solbakkenimago
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Patrick Weiser analysierte im Zuge seiner Ausbildung zum Fußballlehrer die Teams bei der U21-EM in Tschechien. Der Vater von Mitchell Weiser über die Parallelen zur Schulzeit, sein Verhätlnis zu Stale Solbakken und den Wechsel seines Sohnes zu Hertha BSC.

SPOX: Herr Weiser, Sie haben Anfang Juni den Fußballlehrer begonnen. Wie fühlt es sich an, wieder die Schulbank zu drücken als jemand, der sonst als Trainer selbst in einer lehrenden Position ist?

Patrick Weiser: Ich sehe mich generell nicht als Lehrmeister. So viel Erfahrung habe ich nun auch noch nicht gesammelt. Zumal wir nicht so viel Zeit auf der "Schulbank" verbracht haben. Es ging bisher hauptsächlich darum, den Umgang mit diversen Programmen zu lernen. Powerpoint, Schneideprogramme und so weiter. All das brauchen wir für die weitere Zeit im Lehrgang.

SPOX: Für den Fußballlehrer haben Sie sogar Ihre Position als Cheftrainer beim Oberligisten Bonner SC an den Nagel gehängt.

Weiser: Ich will mich voll auf den Lehrgang konzentrieren, deshalb habe ich dort aufgehört. Ich wollte nicht Gefahr laufen, meiner Mannschaft nach nur drei Monaten mitteilen zu müssen, dass es doch zu viel Aufwand ist. Zwar ist es schade, dass mir dadurch Praxiserfahrung abhanden geht. Aber es gibt im Zuge des Fußballlehrers drei Praktikumszeiten.

SPOX: Zuletzt waren Sie mit dem kompletten Fußballlehrerjahrgang bei der U21-EM in Tschechien, um dort Scouting-Szenarien zu simulieren. Der DFB rief diese Idee vor Jahren bereits als Pilotprojekt ins Leben. Wie genau lief das ab?

Weiser: Die 25 Teilnehmer wurden in Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe wurde einer Mannschaft zugewiesen, die sie dann am Spieltag analysieren musste. Ich war beispielsweise mit Katja Greulich und Oliver Zapel in einer Gruppe. Gemeinsam haben wir Gastgeber Tschechien analysiert. Konkret heißt das: Wir mussten eine Dokumentation zu zentralen Auffälligkeiten der Mannschaft erstellen, also die Spiele selbst aufnehmen, um hinterher die wichtigsten Sequenzen zu schneiden.

SPOX: Haben Sie denn das Spiel in der kompletten Breite gefilmt, analog zur üblichen Fernseh-Perspektive? Oder wurden auch einzelne Spieler in den Fokus gerückt, um beispielsweise deren taktische Rolle genauer zu erläutern?

Weiser: Einzelne Spieler konnte man auch erst später beim Schneiden herausheben. Aber es blieb der Gruppe selbst überlassen, ob sie taktische Sequenzen in Defensive oder Offensive stärker beleuchten oder gar Einzelspieler in den Fokus stellen wollte. Die wichtigsten Clips haben wir dann im Abschluss in eine Präsentation eingebaut, die den jeweils anderen Gruppen vorgestellt wurde. So konnten wir uns gegenseitig Feedback geben.

SPOX: Welche inhaltlichen Vorgaben gab es für die Analyse? Lag der Fokus eher auf dem gesamt-taktischen Konstrukt oder stärker auf individuellen Rollen der Spieler?

Weiser: Man betrachtet in erster Linie das gesamte Spektrum. Das beinhaltet taktische Grundformation, Merkmale in Defensive und Offensive, Umschaltspiel - eben all das, was eine Mannschaft auszeichnet. Wir mussten Stärken und Schwächen herausfiltern und hinterher passende Szenen dazu präsentieren.

SPOX: Kam es denn innerhalb der Gruppen auch zu größeren Meinungsverschiedenheiten? Fußball-Analyse ist ja auch stets eine subjektive Angelegenheit, die verschiedene Perspektiven hervorbringt. Aber am Ende mussten Sie ja ein gemeinsames Projekt vorstellen.

Weiser: Natürlich kam das vor. Jeder hat andere Ansichten, es gibt viele Wege zum Erfolg. Oft wurden bestimmte Detailsituationen unterschiedlich bewertet. Wir haben viel diskutiert, bis wir auf einen Nenner kamen. Man muss immer eine Lösung finden, denn am Ende mussten wir die Präsentation als Gruppe vorstellen. Das Feedback bekamen wir dann von einem anderen Team.

SPOX: Worauf nahm das Feedback Bezug? Ging es darin auch schon viel um inhaltliche Dinge, wenn zum Beispiel jemand die taktische Ausrichtung einer Mannschaft ganz anders gesehen haben will? Oder standen hauptsächlich Arbeitsweise und Aufbereitung im Fokus? SPOX

Weiser: Es gab schon die Möglichkeit zu sagen: Das habe ich im Spiel vollkommen anders gesehen. Aber in erster Linie ging es darum, den Umgang mit den verschiedenen Programmen, den Videoschnitt und so weiter zu lernen. Es spielt viel Computerarbeit mit rein, die sehr zeitintensiv ist. Und dann musste es in entsprechend ordentlicher Form vor der Gruppe vorgetragen werden.

SPOX: Wie fühlten Sie sich denn beim Vortrag?

Weiser: Das war schon sehr ungewohnt. Man fühlt sich beobachtet. Es ist etwas anderes, als vor der eigenen Mannschaft zu sprechen. Denn die kennt man gut, da ist es einfacher. Hier im Lehrgang hat man ein Zeitlimit, muss mit Laptop, Leinwand und Laserpointer arbeiten und dabei die Dinge, die man herausgearbeitet hat, noch sprachlich adäquat rüberbringen.

SPOX: Klingt wie damals in der Schule...

Weiser: Genauso ist es. Man fühlt sich wie beim Referat.

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SPOX: Die fertigen Dokumentationen wurden anschließend ausgetauscht und Sie wechselten die Rolle. Mit der Präsentation einer anderen Gruppe sollten Sie sich ein Spiel von deren Team als "Cheftrainer" ansehen. War das Teil des gegenseitigen Feedback-Prozesses?

Weiser: Richtig. Unsere Gruppe hat beispielsweise mit der Präsentation eines anderen Teams im Hinterkopf ein Spiel von England analysiert. Es ging darum zu dokumentieren, ob wir in der Rolle als Cheftrainer den Erkenntnissen unserer Scouts zustimmen oder ob wir anderer Meinung waren.

SPOX: Sie selbst kennen die Trainerrolle ja bereits, waren als Co-Trainer in Köln und bei Wolverhampton unter Stale Solbakken tätig. Gaben diese Jahre als Assistent letztlich den Ausschlag für Ihre Entscheidung, selbst den Fußballlehrer zu machen?

Weiser: Den Fußballlehrer wollte ich ohnehin machen, das erweitert in diesem Berufsfeld einfach die Arbeitsmöglichkeiten. Die Zeit als Cheftrainer beim Bonner SC hat mir gezeigt, dass mir diese Rolle Spaß macht. Gleichzeitig habe ich gemerkt, was ich noch lernen und ändern muss.

SPOX: Wie schwer traf Sie im Jahr 2012 der Rauswurf beim FC, für den Sie einst über 100 Liga-Spiele absolviert hatten?

Weiser: Ich wurde ja zunächst nur beurlaubt, weil man am Trainerteam Änderungen vornehmen wollte. Mein Vertrag wurde erst gekündigt, als der Wechsel meines Sohnes Mitchell zum FC Bayern bekanntgegeben wurde. Ich fand es schade, dass das von Seiten des Vereins in Verbindung gebracht wurde, da ich mich diesbezüglich immer zurückgehalten habe. Aber ich bin da nicht nachtragend, denn dadurch haben sich andere Möglichkeiten ergeben.

SPOX: So kamen Sie letztendlich zu Wolverhampton, wo Sie erneut Solbakkens Assistent wurden. Was haben Sie als zentrale Erfahrung aus dieser Zeit mitgenommen?

Weiser: Ich musste von 0 auf 100 Trainingseinheiten auf Englisch durchführen. Das war anfangs ein wenig ungewohnt, am Ende hat es unheimlich Spaß gemacht. Auch die Art und Weise, wie der Fußball dort gesehen wird, imponiert mir. Ich habe ja als Aktiver auch in Frankreich gespielt. In beiden Ländern wird den Fußballern sehr viel Respekt entgegengebracht. Die Menschen sind Sportlern gegenüber unglaublich freundlich.

SPOX: Wie kam es denn nach der Entlassung bei den Wolves dazu, dass sich die Wege von Solbakken und Weiser trennten? Solbakken ging ohne sie nach Kopenhagen...

Weiser: Das hatte familiäre Gründe. In Wolverhampton war ich ein halbes Jahr von meiner Familie getrennt. Deshalb wollte ich ihr wieder näher sein. Mit Solbakken habe ich immer noch sehr engen Kontakt. Wir wollen auch eines Tages wieder zusammenarbeiten, wenn sich die Möglichkeit ergeben sollte. Aber Kopenhagen war keine Option, zumal ich kaum Dänisch spreche.

SPOX: Stichwort Familie: Drei Jahre nach seinem Wechsel nach München verlässt Ihr Sohn Mitchell den FC Bayern wieder und geht nach Berlin. Haben Sie sich über die Nachricht gefreut?

Weiser: Er wollte das so. Und wenn das sein Wunsch ist, freue ich mich für ihn, dass es geklappt hat. Ich würde mich nie als Vater einmischen und ihn fragen: Weshalb bis du nicht da geblieben oder dorthin gegangen? Es ist wichtig, dass er die Entscheidungen für sein Leben selbst trifft.

SPOX: Trotzdem: Von außen betrachtet kam der Wechsel ein wenig überraschend, vor dem Hintergrund, dass Mitchell in der Winterpause noch ausdrückliches Lob von Matthias Sammer erhalten hatte.

Weiser: Mag sein. Aber man kennt die Personalsituation beim FC Bayern. Wenn man bedenkt, was es für ihn bedeutet, wenn einmal alle Spieler fit sind...

SPOX: Hat ihm die Perspektive gefehlt?

Weiser: Sie können sich ja denken, was ihm in dieser Situation wichtig war.

SPOX: Spielpraxis?

Weiser: Ganz genau. Für ihn es wichtig, dass er spielt, deshalb finde ich seine Entscheidung toll. Was die Zukunft bringt, wird man sehen. Aber es ist wichtig, dass man seine eigenen Entscheidungen trifft. Dann fällt es einem auch leichter, mit negativen Erlebnissen umzugehen.

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