"Habe vielleicht nur 499 Löwen getötet"

Benedikt Treuer
25. November 201511:04
Dante spielte drei Jahre beim FC Bayern, bevor er in diesem Sommer nach Wolfsburg wechseltegetty
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Tagelange Busreisen, Verzicht auf Spielsachen, Hoffnung auf ein besseres Leben für seine Familie: Dante setzte früh alles auf die Karte Fußball - und schaffte den Durchbruch. Ein Gespräch über seinen emotionalen Aufstieg, seine neue Rolle als Comic-Held, den Konkurrenzkampf beim FCB, Dieter Hecking und Fußball mit Herz.

SPOX: Dante, Sie sind ein sehr emotionaler Mensch. Auch wenn Sie in Paris und beim Länderspiel in Hannover nicht direkt beteiligt waren: Wie haben Sie die Ereignisse erlebt?

Dante: Wir waren alle sehr betroffen und traurig über die Vorkommnisse. Unsere Gedanken sind bei allen Opfern und deren Angehörigen.

SPOX: "Immer positiv bleiben": Sie haben oft betont, dass das Ihr Lebensmotto ist. Wie schwer fällt Ihnen das aktuell?

Dante: Einfach ist es auf keinen Fall. Trotzdem müssen wir zumindest versuchen, normal weiter zu leben. Wir dürfen nicht nur darüber nachdenken, was passieren könnte, denn ansonsten würden wir in permanenter Angst leben.

SPOX: Hatten Sie am Wochenende vor dem Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen dennoch Bedenken?

Dante: Alle haben bestimmt mal darüber nachgedacht. Diese Anschläge ändern natürlich das öffentliche Bewusstsein. Aber Deutschland ist nach meinem Befinden ein sehr strukturiertes und sicheres Land. Wir haben Fußball gespielt und auf dem Platz versucht, alles zu geben und den Fans Freude zu bereiten.

SPOX: Seit einigen Tagen tun Sie das nicht nur auf dem Platz. Es gibt Sie nun auch als Comic-Held. Wie gefallen Sie sich in der neuen Rolle?

SPOX-Redakteur Benedikt Treuer traf Dante in Wolfsburg zum Interviewspox

Dante: Sehr gut. (lacht) Nein, im Ernst: Ich finde diese Aktion wirklich super. Denn Comics verbindet man in erster Linie mit der Kindheit und es macht mich wirklich glücklich, Kinder zum Lachen zu bringen. Von daher hat es mir auch großen Spaß gemacht, an diesem Comic mitzuarbeiten.

SPOX: Ihre eigenen Comics und Spielsachen haben Sie in Ihrer Jugend aber aufgegeben - für den Fußball.

Dante: Das stimmt. Ich musste sie verkaufen.

SPOX: Um ein Busticket für ein 1200 Kilometer entferntes Probetraining finanzieren zu können.

Dante: Das klingt vielleicht verrückt, es war aber wirklich so. Ich war 52 Stunden mit dem Bus unterwegs.

SPOX: Das alles für Ihren großen Traum, Profifußballer zu werden?

Dante: Jeder brasilianische Junge träumt davon, Profi zu werden und eines Tages in der Selecao zu spielen. Meine Eltern hatten nicht genug Geld, um mir solche Reisen zu finanzieren. Also habe ich unter anderem meine Spielekonsole verkauft, um mir ein Ticket leisten zu können.

SPOX: Sie haben den Sprung geschafft, viele andere Ihrer Freunde aber nicht. Spürt man gerade in ärmeren Gegenden oft auch Neid?

Dante: Ich glaube nicht, dass es auf der Welt ein Land gibt, in dem pro Familie mehr Menschen Fußball spielen als in Brasilien. Entsprechend gibt es auch mehr Jungen und Mädchen, die den großen Durchbruch nicht schaffen. Natürlich kommt es da auch mal vor, dass manche etwas neidisch sind. Das kann man aber nicht verallgemeinern. Fast jeder gönnt dem Anderen den Erfolg.

SPOX: Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es nicht mit dem Fußball geklappt hätte?

Dante: Sicher wäre ich erst einmal enttäuscht gewesen. Ich kann mich aber glücklich schätzen, dass ich ein guter Schüler war. Ich hätte gerne studiert - in welche Richtung weiß ich gar nicht. Was mir schon immer am wichtigsten war, noch wichtiger als der Traum vom Fußballprofi, war die Hoffnung, meiner Familie helfen zu können. Ich wollte genug Geld verdienen, um sie zu unterstützen. Ich habe früh gelernt, dass das Leben nicht immer einfach ist.

SPOX: Sie haben heute ganz andere Möglichkeiten.

Dante: Dafür bin ich auch wirklich sehr dankbar.

SPOX: Gibt es denn schon Pläne für die Zeit nach Ihrer aktiven Karriere?

Dante: Ich kann mir sehr gut vorstellen, in Deutschland zu bleiben. Erst einmal hoffe ich aber, dass 2018 noch nicht Schluss ist und ich noch ein paar Jahre dranhängen kann. Ein Karriereende in Wolfsburg wäre auch super.

SPOX: Macht Ihre Familie da mit?

Dante: Meine beiden Kinder haben sich in Deutschland gut eingelebt und fühlen sich auch richtig wohl. Zudem sprechen sie schon sehr gut Deutsch. Das gilt auch für meine Frau. Aber man wird sehen, wie sich alles entwickelt. Ich hätte aber schon genug Ideen für die Zeit nach der Spielerkarriere.

SPOX: Welche zum Beispiel?

Dante: Ich würde gerne einen Trainerschein machen. Am einfachsten wäre es sicherlich, erst einmal in Deutschland weiterzuarbeiten. Wo mich die Zukunft aber hinführt, weiß ich noch nicht. Vielleicht öffnet sich hier eine neue Tür, vielleicht in Brasilien. Ich freue mich aber auf jede Herausforderung.

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SPOX: So wie 2012 bei Ihrem Wechsel zum FC Bayern. Ihr Vater sagte Ihnen damals: "Du musst mehr als 500 Löwen am Tag töten" - symbolisch für die harte Arbeit, die Ihnen bevorstand. Haben Sie am Ende Ihrer Zeit in München nur noch 499 geschafft?

Dante: (lacht) Vielleicht habe ich nur 499 getötet, aber ich habe in jedem Fall versucht, auch den 500. zu erwischen. Ich habe jeden Tag alles gegeben, worauf ich auch sehr stolz bin. Vielleicht sind mir mal Fehler unterlaufen, aber ich war immer gewillt, das Beste aus mir rauszuholen. Im Fußball kann nicht jeden Tag alles passen. Es gibt immer Kleinigkeiten, an denen man etwas aussetzen kann.

SPOX: Fühlten Sie sich am Ende in der Öffentlichkeit aber zu kritisch wahrgenommen?

Dante: Nein, überhaupt nicht. In den Medien wurde manchmal zu viel interpretiert. Plötzlich ging es um Dinge, die für mich oder die Mannschaft überhaupt nie ein Thema waren. Das ist manchmal schade, denn wir Spieler stehen hauptsächlich auf dem Platz und werden fast nur anhand dieser Leistungen wahrgenommen. Den Charakter und die Gefühlswelt eines Spielers kennen die meisten gar nicht.

SPOX: Stört Sie diese Unnahbarkeit am Fußballer-Dasein?

Dante: Man kann leider nicht jeden persönlich kennen. Insgesamt denke ich aber, dass mich viele Leute in München positiv in Erinnerung behalten werden. Das ist mir wichtig. Deswegen bin ich auch glücklich, nach München gegangen zu sein. Genauso war es der richtige Schritt, im Sommer nach Wolfsburg zu kommen.

SPOX: Haben Naldo und Luiz Gustavo Ihnen beim Eingewöhnen geholfen?

Dante: Natürlich haben sie mich sehr unterstützt. Für einen Brasilianer ist das aber auch Pflicht. (lacht) Das gilt jedoch für die ganze Mannschaft. Insgesamt ist es eine tolle Truppe: Eine gute Mischung aus Erfahrung und jungen Spielern, die sehr viel Energie ausstrahlen.

SPOX: Mit Dieter Hecking haben Sie hier einen ganz anderen Trainer als Pep Guardiola. In welchem Punkt haben Sie die Umstellung am deutlichsten gemerkt?

Dante: Bei der deutschen Mentalität. (lacht) Ich weiß, dass die Leute hier sehr fleißig und pünktlich sind. Unter Dieter Hecking merkt man jedoch noch einmal mehr, wie wichtig es ist, hart zu arbeiten. Er ist aber auch ein sehr kommunikativer Trainer und kann Dinge gut erklären. Das schätze ich an ihm.

SPOX: Trotzdem fehlt dem VfL in dieser Saison bislang noch die Konstanz. Überzeugenden Siegen wie dem gegen Werder stehen empfindliche Niederlagen wie die in Mainz oder Eindhoven gegenüber.

Dante: Nach einer so guten Saison wie der letzten ist es nie einfach, die Leistungen direkt wieder zu bestätigen. Das hat auch die Vergangenheit gezeigt: Außer den Bayern hat es in den letzten Jahren kaum eine Mannschaft geschafft, zwei Jahre in Folge auf einem konstant hohen Level zu spielen. Das ist zuletzt dem BVB 2011 und 2012 gelungen. Die Erwartungshaltung ist viel höher geworden, alle müssen noch mehr arbeiten und noch konzentrierter sein. Das hängt auch damit zusammen, dass die Gegner uns anders wahrnehmen.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comSPOX: Inwiefern?

Dante: Man spielt nun viel defensiver gegen uns. Letztes Jahr sind die Mannschaften gegen Wolfsburg mutig nach vorne gerannt. Jetzt stehen fast alle deutlich tiefer und nehmen weniger aktiv am Spiel teil. Das soll aber keine Ausrede sein. Nach dem Kaderumbruch im Sommer sehe ich uns ohnehin auf einem guten Weg.

SPOX: Führt Sie Ihr persönlicher noch einmal zurück in die Selecao?

Dante: Darüber mache ich mir aktuell keine Gedanken. Ich konzentriere mich voll und ganz auf den VfL, zumal es die logische Konsequenz war, dass nach der enttäuschenden WM ein neuer Trainer kommt, der erst einmal auf andere Spieler setzt. Außerdem haben wir in Brasilien richtig gute Jungs, die auch deutlich jünger sind als ich. Letztlich ist es auch nicht so wichtig, wer spielt, denn wir spielen alle mit unserem Herzen.

SPOX: Diesen letzten Satz haben Sie auch nach dem 1:7 bei der WM gegen Deutschland gesagt, jedoch mit dem Zusatz: "Ich glaube, viele Leute verstehen immer noch nicht so richtig, was es heißt, wenn wir Brasilianer das sagen." Versuchen Sie es zu erklären.

Dante: Wenn wir sagen, wir spielen mit Herz, soll das nicht heißen, dass andere Nationen nicht immer 100 Prozent geben. Im Gegenteil, ich bin mir sicher, dass jede Mannschaft immer alles gibt. Ich denke aber, dass der Fußball uns noch einmal stärker verbindet als es vielleicht andernorts der Fall ist.

SPOX: Warum ist das so? SPOX

Dante: Das fängt bei den Erlebnissen in unserer Kindheit an und geht über unsere Kultur und Philosophie bis hin zur gesamten Familie. Sie bleibt auch - und gerade wegen des Fußballs - der Mittelpunkt in unserem Leben. Ich spiele nicht nur für mich und meine Eltern, sondern auch für meine Tanten, Onkel, Cousinen oder Cousins. Das ist ein großer Kreis. Wenn ich mich vor einem Spiel noch etwas mehr motivieren will, denke ich daran zurück, wo ich vor zwölf oder dreizehn Jahren war und ich merke: An dem Punkt, an dem ich jetzt bin, könnte ich nicht glücklicher sein. So geht es uns allen in der Selecao.

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Dante im Steckbrief