Theoretisch spricht man in Österreich ja auch deutsch. In der Praxis sieht das aber ein bisschen anders aus. Die eine oder andere Feinheit hat die alpenländische Version der germanischen Sprachgruppe letztlich doch zu bieten. Ein Stürmer blickt nicht verzweifelt gen Himmel, wenn er den Pfosten trifft, sondern wenn er den Ball an die Stange knallt.
Mit einem erleichterten Grinser im Gesicht wird er gleichzeitig nicht vom gegnerischen Torhüter angeblickt. Das macht dann der Tormann. Und wenn dem Stürmer all diese Ungerechtigkeiten zu viel werden und er nach dem Abpfiff deshalb verbal etwas über die Stränge schlägt, dann reißt er nicht die Klappe auf, sondern die Bappn.
Letzteres kommt im heutigen Fußballgeschäft aber bekanntlich eher selten vor. Diese Vokabel ist für alle Freunde des runden Leders also eigentlich unbrauchbar. Nur keine Abweichungen vom Floskelgeschiebe; Rhetorikschulungen im präpubertären Alter sei Dank.
Jung und dumm
Als sich Gladbachs österreichischer Neuzugang Martin Hinteregger vergangene Woche bei der Borussia vorstellte, stand die Bappn dann aber plötzlich doch im Mittelpunkt. Hintereggers Bappn, um es genau zu nehmen. "Ich war früher öfter jung und dumm und hab zu viel und zu früh die Bappn aufgerissen", sagte Hinteregger, der zunächst bis zum Saisonende ausgeliehen wird und dann für knapp zwölf Millionen Euro fest verpflichtet werden könnte.
Demzufolge war Hinteregger wohl auch im vergangenen Herbst noch zu jung und zu dumm. Damals ging der 23-Jährige mit seiner Mannschaft und seinem Verein Red Bull Salzburg hart ins Gericht. "Wir hätten eine große Chance für Spiele in der Champions League und sind sang- und klanglos ausgeschieden", sagte Hinteregger nicht zu Unrecht und bezog sich damit auf das selbstverschuldete Playoff-Aus gegen Malmö FF. "Da wurde viel schöngeredet. Aber damit kommt man nicht weiter", legte er nach. Die Konsequenz: Trainer Peter Zeidler bescheinigte dem Innenverteidiger, dass er sich "nicht hundertprozentig auf die Trainingseinheiten konzentriere", und strich ihn aus dem Kader für das Spitzenspiel gegen Austria Wien.
Verkorkste Hinrunde
Diese Episode steht exemplarisch für die Hinrunde Martin Hintereggers. Sie war geprägt von Streitigkeiten mit dem Trainer und darüber hinaus drei kleineren Verletzungspausen. Seinem Kerngeschäft, dem professionellen Fußballsport, konnte Hinteregger deshalb naturgemäß eher selten nachgehen. Seit Ende August exakt vier Mal. Er absolvierte Bundesligaspiele gegen Altach, Sturm Graz und Grödig sowie eine Pokalpartie gegen Ried. Kurz gefasst: Eine Hinrunde zum Vergessen.
Kann mal passieren, könnte man sagen. Blöd nur, dass es sich dabei genau um die Hinrunde der Saison 2015/16 handelte. Am Ende der Rückrunde dieser Spielzeit steht nämlich ein nicht unbedeutendes, internationales Fußballturnier auf dem Programm: die Europameisterschaft in Frankreich. Das ist gleichzeitig die erste Europameisterschaft der Geschichte, für die sich Österreich aus eigener Kraft qualifizieren konnte.
Da wäre ein Martin Hinteregger natürlich nur zu gerne mit von der Partie. "Ob ich bei der EM dabei sein werde, wird das halbe Jahr entscheiden", weiß er und meint damit natürlich die vor ihm liegende Rückrunde, "das Wichtigste ist, dass ein Spieler spielt." Das tat Hinteregger zu Beginn der EM-Qualifikation auch in der Nationalmannschaft recht regelmäßig. In den abschließenden Spielen agierte aber Sebastian Prödl in der Innenverteidigung an der Seite von Aleksandar Dragovic.
"Der perfekte Verein für mich"
Der Transfer nach Mönchengladbach kommt Hinteregger nun in zweierlei Hinsicht entgegen. Mit dem Wechsel ins Ausland geht er den nächsten Karriereschritt und hat ob der verfahrenen Situation in Salzburg gleichzeitig wohl auch größere Chancen, Spielpraxis zu sammeln, um sich so für Nationaltrainer Marcel Koller zu empfehlen. Und Mönchengladbach bekommt in Hinteregger gleichzeitig einen äußerst talentierten Spieler, der mit der Innenverteidigung eine Position seine Heimat nennt, die bei der Borussia zuletzt chronisch unterbesetzt war. "Durch die Verletztenmisere ist dieser Transfer natürlich auch ein guter Vorgriff auf das, was sonst im Sommer nötig gewesen wäre", sagte Sportdirektor Max Eberl. Hinteregger und Gladbach profitieren gegenseitig voneinander.
Auf den ersten Blick wirkt der Wechsel wie ein klassischer Wintertransfer. Spontan, aus der beiderseitigen Not geboren und etwas überhastet. Davon kann aber keine Rede sein. "Wir haben Martin in den letzten sieben Jahren immer wieder beobachtet und kennen ihn daher schon lange und gut. Er passt sehr gut in das Profil, nach dem wir suchten", sagte Eberl. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. "Ich habe mich nach den ersten Gesprächen sofort mit der Spielweise und dem System identifizieren können. Gladbach ist der perfekte Verein für mich", sagte Hinteregger.
Womöglich ist die Borussia der perfekte, sicher aber der erst dritte Verein, dessen Wappen Hinteregger in seinem Leben auf der Brust trägt. Der Innenverteidiger wechselte mit 13 Jahren von seinem Kärntner Jugendklub SGA Sirnitz in die Nachwuchsabteilung von Red Bull Salzburg. Diese durchlief er konsequent und stieg 2010 schließlich zu den Profis auf. Dort etablierte sich Hinteregger umgehend als Stammspieler - was er bis zu dieser Spielzeit fünf Jahre lang blieb.
Jahre, die von nationalen Erfolgen und internationalen Enttäuschungen geprägt waren. Drei Meistertiteln und drei Pokalsiegen stehen vier unvollendete Champions-League-Qualifikations-Missionen gegenüber. Von Jahr zu Jahr wurden sie rätselhafter. Die öffentliche Meinung über das wiederholte Scheitern schwenkte mit der Zeit von Pech zu Unvermögen über.
An der Seite von Landsmann Stranzl
Im Alter von 23 Jahren will Hinteregger nun keine Zeit mehr verlieren. "Die Aussicht auf die Champions League ist in Gladbach sicher größer", sagte er und begründet so seinen Wechsel. Hinteregger sieht sich bereit, auf allerhöchstem Niveau zu reüssieren. Die Anlagen dazu hat der 1,84 Meter große Innenverteidiger zweifelsohne. Der Linksfuß ist schnell, zweikampfstark und auch gut in der Spieleröffnung. Über einen wuchtigen Kopfball verfügt er ebenfalls.
Fähigkeiten, die ihn in einer möglichen Innenverteidiger-Rotation in eine gute Stellung bringen. Die direkten Konkurrenten heißen Alvaro Dominguez, Andreas Christensen, Tony Jantschke und Nico Elvedi. Womöglich bildet Hinteregger auch mit Martin Stranzl ein österreichisches Abwehrduo. Stranzl war, anders als Hinteregger, schon sehr lange nicht mehr jung und dumm; Stranzl ist kampferprobt und hat schon viel erlebt. "Er ist in dem halben Jahr mit der Erfahrung, die er mitbringt, extrem wertvoll für mich", weiß Hinteregger schon jetzt.
Im Trainingslager in Belek teilten sich die Namensvettern und Landsmänner schon ein Hotelzimmer. Abends, wenn sie erschöpft ins Bett fielen, konnten die beiden Österreicher ihre Bappn sicherlich nach Lust und Laune aufmachen. Um etwa über krachende Stangenschüsse zu sprechen oder über unfassbare Paraden von genialen Tormännern. Dafür, dass Gladbachs Schlussmann Yann Sommer solche in der Rückrunde nicht zeigen muss, ist nun auch Hinteregger verantwortlich.
Martin Hinteregger im Steckbrief