SPOX: Sie selbst haben noch versucht, Lok im Jahr 2004 eine neue Richtung zu geben und wurden irgendwann als Notvorstand eingesetzt. Was für eine Situation haben Sie damals vorgefunden?
Kracht: Da wurde ich ein bisschen ins kalte Wasser geworfen. Ich bin damals noch als Spieler bewusst zu meinem Ex-Verein gewechselt, weil ich an einen neuen Weg geglaubt und diesem Verein viel zu verdanken habe. Also sollte ich zunächst als Spieler und anschließend in einer Management-Funktion etwas aufbauen. Das Konzept war da, ebenso wie eine vielversprechende Mannschaft. Doch wie tief der Verein tatsächlich in den Schulden stecke, darüber wurde ich lange Zeit im Unklaren gelassen. Bis ich dann zum Notvorstand berufen wurde, weil so angeblich wieder Geld hätte da sein sollen. Also hab ich mich zum Teil 16 Stunden am Tag reingekniet. Jedoch kann es grundsätzlich nicht sein, dass dann in den Sitzungen Entscheidungen bei zwei, drei Bier gefällt werden - so funktioniert das heutzutage nicht mehr. Am Ende ist es vor allem den Fans zu verdanken, dass der Verein bis heute weiterlebt.
SPOX: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Engagement von Mario Basler, der bei Lok eine Funktion als Sportvorstand inne hatte?
Kracht: Ich finde Mario ganz lustig mit seinen Kommentaren und seinem Auftreten, aber das ist ja das, was ich sage: Es hilft vielleicht, bekannte Namen vor den Karren zu spannen, aber langfristig überzeugt nur ein Konzept mit engagierten Partnern an der Seite. Mit Heiko Scholz ist eine Person da, die sich für diesen Verein täglich reinhängt und mit dem Regionalliga-Aufstieg seine Qualitäten bewiesen hat. Das alleine reicht aber nicht aus. Auch Drumherum muss viel passieren, um sich auf diesem Niveau zu etablieren.
SPOX: Sie gehörten zu den letzten Spielern, die ein Länderspiel für die DDR bestritten haben. Im Nachhinein kritisierte der damalige Nationalcoach Ede Geyer, dass einige Spieler unter fadenscheinigen Gründen der Partie fernblieben, um mit Westvereinen zu verhandeln. Sie dagegen spielten. Gab es für Sie keine Angebote?
Kracht: Natürlich, aber das war eine Situation, die kann man gar nicht beschreiben. Hinter jeder Ecke gab es nach der Wiedervereinigung irgendwelche Leute, die sich als Spielerberater ausgaben. Das war eine verrückte Zeit. Ich selbst habe es als meine Pflicht gesehen, dieses letzte Spiel zu bestreiten, verfalle jetzt aber auch nicht in missmutige Nostalgie. Ich bewerte die Situation alleine unter den Umständen der Wiedervereinigung. Das war das Wichtigste zu diesem Zeitpunkt. Da musste sich jeder neu orientieren.
SPOX: Trotzdem gab es während Ihrer Zeit in Frankfurt einen netten Satz der Marketing-Abteilung: "Die einen werden als Abzocker, Heulsusen oder Arbeitsverweigerer geboren, andere kommen als Torsten Kracht zur Welt" - haben Sie sich auch so gesehen?
Kracht: Irgendwie schon. (lacht) Das war Gott sei Dank zu einer Zeit, in der wir recht erfolgreich waren. Wenig später gab es für Horst Heldt ein Plakat mit der Aufschrift: "Jede Mannschaft braucht ihren Heldt". Nur hatten wir zu dieser Zeit einige Spiele verloren. Das kam dann nicht ganz so gut an. Ich selbst wollte immer meinen Job machen, mich nicht verstellen und habe auch in Interviews kein Blatt vor den Mund genommen. Das fehlt mir heutzutage. Ich freue mich richtig über ehrliche Ansagen, wie beispielsweise das "Eistonnen-Interview" von Per Mertesacker. Auch Gegenwind darf einen dann nicht gleich verschrecken. Wenn ein Spieler etwa ein Angebot annimmt, weil es finanziell deutlich attraktiver ist, sollte er das auch so kommunizieren. Es ist ja nicht so, als könnte die Öffentlichkeit das nicht nachvollziehen. In der freien Wirtschaft ist das schließlich auch ein völlig normaler Schritt.
SPOX: Ihren größten sportlichen Erfolg hatten Sie in Bochum, spielten sogar im UEFA-Cup. Selbst mit Spielern wie Dariusz Wosz oder Tomasz Waldoch ein unfassbarer Erfolg.
Kracht: Das lag vor allem an Klaus Topmöller. Ich hatte mich schon vor dem Bochum-Abstieg für den VfL entschieden, hätte dann sogar zu einem anderen Verein gehen können, wollte aber zu meinem Wort stehen und war von der Idee des Fußballs ohnehin total fasziniert. Toppmöller hat dann wirklich eine Kultur-Revolution beim VfL durchgesetzt. Wir waren eine der ersten Mannschaften in Deutschland, die mit Viererkette gespielt hat. Wir kamen hauptsächlich über Kurzpassspiel und waren bei den Passstatistiken sicherlich ganz vorne mit dabei. Uns wurden lange Bälle fast komplett verboten. Dann hatte Toppmöller noch das perfekte Händchen bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Das war eine Truppe, die man so sicherlich nur selten vorfindet.
SPOX: Diese Zeit wird vielen Fußball-Fans aber nicht nur wegen dem Fußball in Erinnerung bleiben. Wie haben Ihnen eigentlich die damaligen "Regenbogen"-Trikots gefallen?
Kracht: Das war noch so ein Highlight! (lacht) Die Werbung, die auf die Brust geflockt war, war hart wie ein Brett. Wenn man da versucht hat, den Ball zu stoppen, flog der gerne noch mal fünf Meter weiter. Ansonsten war das Trikot sicherlich eine der größten Geschmacksverirrungen, die es jemals gegeben hat. Die Aufmerksamkeit war uns sicher, nur wir Spieler waren von diesem Outfit nicht wirklich begeistert.
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