Die Nebengeräusche werden etwas lauter rund um die Säbener Straße. Das Gemurmel über die in dieser Spielzeit noch nicht sehr attraktive Spielweise des Rekordmeisters wurde nach dem knappen 2:1-Erfolg in Freiburg glatt wieder aufgenommen. Und obendrein schreien Carlo Ancelottis Personalentscheidungen für manchen Fan nach einer zünftigen Reiberei.
Zumindest Letzteres hätte sich der Mister in dieser Woche ersparen können. Musste Arturo Vidal, der wegen einer Rippenprellung die komplette Woche nicht hatte trainieren können, im verfrorenen Breisgau wirklich von Anfang an spielen? Ja, entschied der Italiener. Nein, sagen viele - unter anderem Vidal selbst, der nach 55 Minuten unter Schmerzen ausgewechselt wurde.
"Ich musste wegen meiner Beschwerden raus, ich fühle mich schlecht und habe starke Schmerzen an der Rippe. Jetzt werde ich pausieren müssen, denn so kann ich nicht spielen", sagte der Chilene zu Wochenbeginn der tz: "Ich war ohnehin schon eine Woche nicht im Training, jetzt dürften es aber mindestens zwei, drei Wochen Pause sein."
Der mediale Aufschrei hielt sich am Montag noch in Grenzen. Stellt man sich vor, zu diesem Szenario wäre es unter Pep Guardiola gekommen - nach dessen Privat-Fehde mit Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt wären die Reaktionen sicher ganz andere gewesen.
Und jetzt Kimmich?
Die Bayern relativierten am Montagnachmittag auf ihrer Homepage doch recht deutlich: "Vidal wird auch in den nächsten Tagen etwas kürzer treten und von der medizinischen Abteilung des FCB behandelt werden. Über die Rückkehr ins Mannschaftstraining wird von Tag zu Tag in Absprache zwischen Trainer und Ärzten entschieden. Ein Einsatz am kommenden Wochenende gegen Werder Bremen ist noch offen, im Heimspiel gegen den FC Schalke 04 am 4. Februar wird Vidal auf jeden Fall wieder an Bord sein", hieß es dort.
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Nichtsdestotrotz lenkt Vidals vorübergehender Ausfall den Fokus nun unausweichlich auf eine Thematik, die sich in den letzten Monaten ohnehin schon mehr als nur unterschwellig aufdrängte: Ancelotti und Joshua Kimmich.
Der Trainer kam in der Vorrunde immer wieder drum herum, Kimmich in seinem System Verantwortung zu schenken. Zwar brachte es der Youngster immerhin auf 711 Spielminuten in der Bundesliga, was im Schnitt etwa 42 pro Spiel sind. Jedoch absolvierte Kimmich nicht einmal 450 derer auf seiner bevorzugten Position im zentralen Mittelfeld. Immer wieder musste der Nationalspieler rechts hinten ran oder war sogar mal wieder eine Notlösung für die Innenverteidigung. Die erste Saisonhälfte stand für ihn nicht unbedingt im Zeichen der Kontinuität.
Daten-Vergleich: Kimmich vs. Vidal in der Bundesliga-Hinrunde 2016/17
Ancelotti: jung = riskant?
Genau die ist für Kimmich, dessen nächster Schritt es ist, endgültig in die internationale Klasse aufzusteigen, zum jetzigen Zeitpunkt seiner Karriere aber extrem wichtig. Die jüngste Tendenz richtete sich jedoch in die entgegengesetzte Richtung: In den vergangenen fünf Pflichtspielen kam er zusammen gerade mal auf 68 Minuten Spielzeit.
Ancelottis Aufstellungen lassen den Schluss zu, dass der Trainer es als Risiko versteht, die jungen Kimmich und Renato Sanches anstelle der erfahrenen Vidal und Xabi Alonso aufzubieten. Dabei wurde gerade Kimmich von vielen Seiten seine - für sein Alter beispiellose - Qualität im Zentrum wie auf der Außenbahn bereits mehrfach attestiert. Zu Recht.
Auch in der Nationalmannschaft ist Kimmich seit Sommer über alle Zweifel erhaben, vor dem Beginn der Ära Ancelotti war er das unter Pep Guardiola eigentlich auch schon beim FC Bayern. Vom neuen Trainer wird er bis dato aber eher stiefmütterlich behandelt.
Interne Uneinigkeit
An Kimmichs Leistungen kann die verhaltene Berücksichtigung eigentlich nicht liegen. Das bestätigt auch seine Statistik im Vergleich mit Arturo Vidal. In Sachen Passquote (86,2 Prozent bei Kimmich, 89,2 bei Vidal) geben sich die beiden fast nichts. Beim Zweikampfwert hat sogar Kimmich leicht die Nase vorn (59,2 zu 53 Prozent). Auch Nebenmann Alonso ist längst nicht mehr fehlerfrei. Warum sollte Kimmich nicht an seiner Stelle spielen?
Sicher fehlen ihm in einigen Situationen noch die Abgebrühtheit, Ruhe und Durchsetzungskraft der älteren Kollegen, spielerisch und vor allem in Sachen Offensivdrang ist der 21-Jährige aber schon außergewöhnlich gut für sein Alter.
Vielmehr könnte das Problem aktuell aber sein, dass intern Uneinigkeit über Kimmichs künftige Position herrscht. Vor einigen Monaten erklärte Hermann Gerland doch sehr entschlossen, Kimmich komme wohl die Rolle des Lahm-Nachfolgers zu. Ganz exklusiv hatte er die Meinung im FCB-Trainerstab sicher nicht, sonst hätte Ancelottis Co wohl kaum so klare Worte gewählt.
Das Problem: Kimmich sieht seine Zukunft nach wie vor im Mittelfeldzentrum.
Zu jung gibt's nicht
Genau da wird er in den kommenden Wochen auch mehr Verantwortung und somit auch Vertrauen von Ancelotti erhalten müssen. Gleiches gilt für Sanches, der im Reifeprozess sicher noch hinter Kimmich steckt, natürlich aber auch geholt wurde, um langfristig Bestandteil des Zentrums zu werden und in die Weltklasse aufzusteigen.
Die beiden Jungspunde bringen schließlich die Eigenschaften mit, die dem Bayern-Spiel gerade abgehen: Kimmich deckt den spielerischen und offensiveren Bedarf, Sanches den physischen, sollten mal eher die klassischen Vidal-Werte gebraucht werden. Beide können im sich etablierten 4-2-3-1-System neben Alonso auf der Sechs agieren. Solange Thiago fehlt, ist Müller der erste Kandidat für die Zehn.
Vidal und Alonso werden in den wichtigen Spielen wohl auch weiterhin gesetzt sein. Ihre Klasse ist unbestritten, nicht selten hat vor allem Vidal in großen Duellen jüngst den Unterschied gemacht. Es wäre aber das falsche Signal, in den kommenden Ligaspielen gegen Werder, Schalke und Ingolstadt, die Vidal problemlos zur vollständigen Regeneration nutzen könnte, Lahm wieder ins Mittelfeld zu ziehen und auch Rafinha der designierten Zukunft vorzuziehen.
So viel Zutrauen muss Ancelotti in zwei Nationalspieler des FC Bayern einfach haben - und wenn sie noch so jung sind.
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