Sebastian Langkamp ist Leistungsträger und Führungspersönlichkeit bei Hertha BSC. Im Interview spricht der 29-Jährige über seine Zeit in der Jugend des FC Bayern München, sein kurioses Bundesliga-Debüt für den Karlsruher SC, Vorzüge der Stadt Berlin und Borussia Dortmunds Heimvorteil vor der Südtribüne.
SPOX: Herr Langkamp, Ihr Bruder Matthias hat kürzlich im SPOX-Interview angedeutet, dass er Ihnen nach Ihrer theatralischen Einlage gegen Borussia Dortmunds Emre Mor die eine oder andere provokante SMS gesendet habe. Wollen Sie uns erhellen, welchen Inhalt diese hatten?
Sebastian Langkamp: Nun ja, drücken wir es mal so aus: Ich bin ja etwas größer und kräftiger als Emre Mor und Matthias war überrascht, dass ich die Kraftumsetzung in meinem Oberkörper nicht so ganz hinbekommen habe. (lacht)
SPOX: Sie haben sich selbst sofort nach dem Spiel entschuldigt, mussten dennoch mit der Häme Ihres Bruders leben. Wie war der Umgang im Mannschaftskreis?
Langkamp: Es gab eine Videoanimation davon. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Pogba-Jubel kennen...
SPOX: Klar!
Langkamp: In Anlehnung daran gab es eine Masche, dass man mich mit Tanzeinlagen nachgemacht hat. Darüber konnte ich selbst lachen, weil ich mir eingestanden habe, dass das völlig übertrieben war. Die Kollegen haben mich dafür zu Recht eine Woche lang auf den Arm genommen, aber dann wurde es irgendwann langweilig. In einer Mannschaft gibt es ja jeden Tag neue Themen, über die man lachen kann.
gettySPOX: Zurück zu Ihrem Bruder: Sie haben ein enges Verhältnis, Ihre Wege haben sich aber seit seinem Karriereende deutlich auseinander entwickelt. Wie beurteilen Sie sein Leben in den vergangenen Jahren?Langkamp: Er hat in Augsburg bei mir gewohnt und mit einem Trainer versucht, wieder fit zu werden. Irgendwann musste er sich aber eingestehen, dass es nicht mehr weitergeht. Wenn man zusammen wohnt, merkt man umso mehr, wie die Situation einen emotional belastet. Er hatte ja auch sein Hobby zum Beruf gemacht. Dann muss man seinen Lebensweg erst einmal finden.
SPOX: Das hat er getan.
Langkamp: Er wollte erst einmal abschalten und raus aus Deutschland und Europa. Vor seinem Weg muss ich den Hut ziehen. Ich glaube, dass es nicht leicht für Fußballer ist, nach einem abrupten Karriereende einen neuen Lebensinhalt zu finden. Die Zeit im Fußball will er nicht missen, aber er führt jetzt ein anderes Leben und ist glücklich. Ich glaube, er hat aus dieser schwierigen Phase viel mitgenommen.
SPOX: Gibt es Aspekte aus seinem Leben, um die Sie ihn beneiden?
Langkamp: Er ist viel gereist. Das ist etwas Wertvolles, was ich in dieser Länge, Vielfalt und Intensität noch nicht machen konnte und nach meiner aktiven Karriere nachholen möchte. Eine Weltreise ist für mich ein Traum. Neid ist das falsche Wort. Aber ich glaube, dass es einen weiterbringt, wenn man die äußeren Einflüsse mal völlig ausblendet.
SPOX: Stört Sie die ständige Erreichbarkeit in der heutigen Zeit?
Langkamp: In gewisser Weise schon. Mittlerweile haben wir alle diese Sucht, immer up to date zu sein. Ich bin einer der wenigen, der gar keine sozialen Medien hat. Das ist ein Schutz, den ich mir aufgebaut habe. Ich weiß ja schon so nicht, ob ich das Handy überhaupt noch weglegen kann.
SPOX: Schaffen Sie das denn im Urlaub?
Langkamp: Zehn bis zwölf Tage funktioniert das. Aber man hat immer das Gefühl, dass einem die dritte Hand fehlt. Es ist mittlerweile echt eine Kunst, das auszublenden. Deswegen hoffe ich, dass ich eines Tages mal wegfliegen und das alles hinter mir lassen kann.
SPOX: Eines früheren Tages sind Sie mit 17 Jahren von den B-Junioren des SC Preußen Münster zum FC Bayern München gewechselt. Wie kam damals der Kontakt zustande?
Langkamp: Der NRW-Scout von Bayern hat mich ein paar Mal beobachtet. Ich wusste davon nichts. Es waren immer so zehn Zuschauer da und er war wahrscheinlich einer davon.
SPOX: Wie ging es dann weiter?
Langkamp: Irgendwann kam ich im tiefsten Winter nach dem Training nach Hause und meine Eltern haben mich an der Türe schon angegrinst. Dann haben sie erzählt, dass ein Scout sich gemeldet und mich zum Probetraining beim FC Bayern eingeladen hätte. Ich hätte sterben können, ich konnte das gar nicht glauben. Ich war nicht so schlecht damals, aber ich hätte mich selbst nie so eingeschätzt, dass ich für Bayern attraktiv wäre.
SPOX: Wie nervös ist man als Jungspund, wenn diese große Chance bevorsteht?
Langkamp: Dazu gibt es eine witzige Anekdote. Ich bin mit meinem Vater hingeflogen. Als wir in München ankamen, war mein Koffer weg. Darin waren aber alle Utensilien, die ich für den Fußball brauche, vor allem meine Einlegesohlen mit Erhöhung. Die waren damals in meiner Wachstumsphase extrem wichtig, weil ich einen Beckenschiefstand hatte und ohne gar nicht spielen konnte.
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SPOX: Was haben Sie getan?
Langkamp: Ich habe das als Vorwand genommen, denn ich hatte richtig Bammel. (lacht) Dann haben sie zu mir gesagt: "Alles gut, Sie bekommen alles von uns, wir haben auch neue Einlegesohlen." Ich wollte aber unter keinen Umständen ohne meine eigenen Sohlen trainieren. Das kam mir in dem Moment gelegen, weil ich so aufgeregt war. Abends ist der Koffer dann wieder aufgetaucht und ich konnte am nächsten Tag auf den Platz.
SPOX: Hatte das dann den psychologischen Effekt, dass die Aufregung weg war?
Langkamp: Naja, die ersten fünf Minuten waren schon die Hölle. Ich habe mich nur darauf konzentriert, halbwegs den Ball zu treffen. Die Pässe sind dann beim Mitspieler angekommen und es hat sich gelegt. Danach hat alles super geklappt und ich wurde verpflichtet. Dem damaligen Trainer Kurt Niedermayer habe ich viel in meiner Karriere zu verdanken.
SPOX: Später waren Sie bei den A-Junioren sogar Kapitän in einer aus heutiger Sicht prominent besetzten Mannschaft. Hat man damals schon gemerkt, dass man mit künftigen Weltmeistern spielt?
Langkamp: Es war unterschiedlich. Toni Kroos war der absolute Ausnahmespieler. Da wusste man sofort, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er Profi bei Bayern wird. Mats Hummels wurde vorzeitig zu den Amateuren hochgezogen, Holger Badstuber auch. Das waren Spieler mit riesigem Potential. Thomas Müller genauso, wobei der meistens schon in der 70. Minute mit Wadenkrämpfen ausgewechselt werden musste. Da hätte ich nicht gedacht, dass er einmal zu den Besten der Welt gehört. (lacht) Für ihn freut es mich aber besonders, weil er immer noch der gleiche Spaßvogel von damals ist.
SPOX: Obwohl Sie in dieser Mannschaft Kapitän waren, ist Ihnen der Sprung bei den Bayern nicht gelungen. Wieso nicht?
Langkamp: Der erste Grund war, dass Hermann Gerland zu mir gesagt hat, ich werde es nicht zum Bundesligaprofi schaffen. Das war zwar hart, aber schon in Ordnung. Er war der Talenteförderer schlechthin und bekannt dafür, sich deutlich zu äußern. Später habe ich bei den Amateuren unter ihm gespielt. In dieser Zeit hat er seine Meinung geändert und wollte mich behalten. Für mich war aber auch ausschlaggebend, dass auf meiner Position Hummels, Badstuber oder Georg Niedermeier vor mir standen.
SPOX: Dann kam ein Angebot vom Hamburger SV.
Langkamp: Dort konnte ich einen Profivertrag unterschreiben und täglich in einer Klassemannschaft trainieren, unter anderem mit Kompany, de Jong oder van der Vaart. Das habe ich abgewägt und mich dafür entschieden. Beim HSV ging es auch nicht so wirklich weiter. Aber im Nachhinein habe ich alles richtig gemacht, denn in solchen Situationen wird immer ein anderer Weg frei. Ich bin dann nach Karlsruhe gewechselt.
SPOX: Beim KSC waren beiden Premieren - sowohl das erste Spiel als auch das erste Tor - etwas Besonderes. Ihr Bundesliga-Debüt war am 1. März 2009 im Derby gegen den VfB...
Langkamp: ...und das auch noch gegen den Top-Torjäger Mario Gomez. Sie müssen sich das so vorstellen: Ich war davor immer mal dabei, dann wieder nicht, habe bei den Amateuren gespielt. Am Morgen des Spieltags hatten wir ein lockeres Anschwitzen, Eckchen spielen und Spaß haben. Da kam Ede Becker zu mir und sagte: "Du spielst heute Abend." Ich hatte null damit gerechnet. In der 15. Minute hatte ich durch diese emotionale Anspannung schon meinen ersten Krampf. Ich habe gedacht, ich kann mich auf gar keinen Fall in meinem ersten Spiel so früh auswechseln lassen und habe mich irgendwie zusammengerissen. Aber danach war es schlimm.
SPOX: Inwiefern?
Langkamp: Die nächsten vier Tage konnte ich mich nicht bewegen. Mein ganzer Körper war in einem krampfartigen Zustand, ich hatte knüppelharte Beine. Selbst beim normalen Spazierengehen hatte ich Probleme.
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SPOX: Auch Ihr erstes Profitor war nicht von schlechten Eltern. Wie oft werden Sie darauf bis heute angesprochen? spox
Langkamp: Mittlerweile hat es sich gelegt. (lacht) Ich muss aber nach wie vor richtig lachen, wenn ich das sehe. Ich weiß nicht, was schlimmer war: zu sagen, dass es Absicht war oder der Torjubel danach, als ich gar nicht wusste, was abgeht und vogelwild durch die Gegend gelaufen bin. Das sind Erinnerungen, die du eines Tages deinen Kindern zeigen wirst. Aber ich gebe zu: Absicht war es nicht.
SPOX: Mussten Sie danach im Mannschaftskreis einen ausgeben?
Langkamp: Ja, ich habe etwas ausgegeben, aber nur eine Kleinigkeit, weil ich damals noch einen kleineren Profivertrag hatte. Ich habe bei Starbucks Muffins geholt und alle haben mich ausgelacht. Dabei waren es sogar die teuren Blueberry-Muffins.
SPOX: Mats Hummels hat kürzlich gesagt, für einen Verteidiger sei es das geilste Gefühl, ein Tor zu erzielen. Wie sehen Sie das?
Langkamp: Ich habe mal gesagt, dass ich es geiler finde, ein Tor zu verteidigen als eines zu schießen. Das war aber in einer Phase, in der ich kein Tor mehr geschossen habe. Natürlich ist es immer etwas Besonderes, weil man als Verteidiger häufig die Tore macht, die spielentscheidend sind.
SPOX: Seit 2013 spielen Sie nun in Berlin. Nach Ihrem Wechsel haben Sie gesagt, an Berlin reize Sie besonders "das abwechslungsreiche Leben und die sympathischen Menschen". Hat sich dieser Eindruck seitdem bestätigt?
Langkamp: Total. Ich wohne ja als einziger Hertha-Spieler in Berlin-Mitte. Ich habe mich damals gefragt: Willst du abseits vom Fußball dein eigenes Leben führen, in dem du inkognito bist? In Mitte kennt mich niemand, das muss ich ganz ehrlich sagen. Hier sind die Künstler und die alternative Szene zu Hause, die Hauptsprache ist Englisch. Ich kann in Bars und Restaurants gehen, in denen sich kein Mensch für Fußball interessiert. Das ist für mich eine wichtige Qualität, weil ich nicht rund um die Uhr angequatscht werde. Mittlerweile beneidet mich auch der eine oder andere Mitspieler.
SPOX: Ist der Vergleich zu anderen Wohnorten so extrem?
Langkamp: Auf jeden Fall. Wenn ich hier ins Gespräch komme und merke, dass die andere Person interessiert ist, erzähle ich auch, dass ich Fußball spiele. Und die Leute reagieren immer gleich.
SPOX: Wie denn?
Langkamp: Sie verdrehen die Augen und fragen: "Wie Fußball? Hauptberuflich oder was? Wo denn?" Dann sage ich: "Ja, bei Hertha." Und dann heißt es immer nur: "Hertha ist im Westen irgendwo, oder?"
SPOX: Für Sie persönlich ist das angenehm. Für die Hertha ist es aber auch eine Art Fluch, weil es schwierig ist, neue Zuschauer zu erreichen.
Langkamp: Ja, das ist bei uns im Verein ein großes Thema. Deswegen finde ich gut, dass es eine Marketingstrategie gibt, die ihre Früchte tragen wird. Bei manchen Heimspielen sind nur knapp 40.000 Zuschauer im Stadion - in einer Stadt, in der fast vier Millionen Menschen leben. Insofern kann ich verstehen, dass der Verein neue Wege gehen will. Das muss von uns Spielern natürlich mitgetragen werden. Ich laufe nicht im Hertha-Trikot durch Mitte, aber man unterstützt, wo man kann.
SPOX: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die ebenfalls aktuelle Stadion-Thematik? Wünscht man sich als Spieler ein kleineres Fußballstadion mit einer entsprechend höheren Auslastung?
Langkamp: Ich glaube, nicht nur wir Spieler würden davon profitieren. Ein Beispiel: Wenn Du 30.000 in Augsburg hast oder 40.000 in Berlin, ist es in Augsburg einfach lauter. So werden Stimmungen erzeugt und Einfluss aufs Spiel genommen. In Berlin hast du die imaginäre Grenze, dass du erst ab etwa 55.000 überhaupt einen Vorteil hast. Diese Auslastung haben wir leider bei wenigen Spielen. Bei den ausverkauften Topspielen macht es sehr viel Spaß, aber engere Stadien haben Vorteile für den Spieler. Und für den Verein ist es ohnehin reizvoll, wenn man eines Tages sein eigenes Stadion hat, keine Pacht zahlen, nichts von den Zuschauereinnahmen abdrücken muss oder Logenverkäufe besser vorantreiben kann.
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SPOX: Wie entscheidend ist der Faktor Publikum für einen Spieler wirklich, wenn man beispielsweise auswärts in Dortmund vor 80.000 spielt?
Langkamp: Der BVB hat zu Hause immer einen Vorteil, besonders mit der lauten Südtribüne. Da kommt schnell Hektik auf. Das beste Beispiel ist mein dummer Fauxpas gegen Emre Mor. Wenn das Stadion halbleer gewesen wäre, bezweifle ich, dass das passiert wäre.
SPOX: In der Vorsaison ist der Klub nach einer tollen Hinrunde im neuen Jahr eingebrochen. Was macht Sie zuversichtlich, dass das nicht mehr passiert?
Langkamp: Das Wichtigste ist die Erfahrung, die wir gesammelt haben, als es nicht mehr so lief. Jeder hat seine persönlichen Ziele aufgeschrieben, die man verfolgt, um die Mannschaftsziele zu erreichen. Und daran werden wir gemessen. Aber reden kann jeder, in der Rückrunde wird sich zeigen, ob wir daraus gelernt haben.
SPOX: Spielt in solch einer Situation die Berichterstattung eine Rolle?
Langkamp: In Berlin ist es so, dass eine Siegesserie honoriert wird, wenn du dann aber wieder verlierst, läufst du sofort Gefahr, in einen negativen Strudel zu kommen. Hier gibt es nun mal sieben oder acht Zeitungen, die jeden Tag etwas über die Hertha schreiben müssen. Ich verstehe, dass Medien von negativen Schlagzeilen leben. Aber dann muss man sich nicht wundern, wenn man immer wieder die gleichen Floskeln hört. Die sind ja auch nur ein Schutz der Spieler, um keine Zeilen zwischen den Zeilen zu ermöglichen. Das ist eine kultivierte Technik, nichts anderes. Ich muss immer darüber lachen, wenn ich selbst diese Floskeln nutze oder sie bei Kollegen höre.
Sebastian Langkamp im Steckbrief