Thomas Linke im Interview: "Ralph hat die Entwicklung nicht gebremst"

Nino Duit
05. Dezember 201716:57
Thomas Linke übernahm am 10. November 2011 beim FC Ingolstadt den Posten des Sportdirektorsgetty
Werbung

Thomas Linke führte den FC Ingolstadt als Sportdirektor vom letzten Platz der 2. Liga bis in die Bundesliga. Jede Saison dort sei ein Geschenk, erzählt er im Interview. Ob es im kommenden Sommer wieder eines gibt, ist fraglich. Der FCI steckt im Abstiegskampf. Ein Gespräch über öffentliche Fehlbewertungen von Mannschaft und Trainer, über Traditionsvereine und solche, die vielleicht einmal welche werden und über Ingolstadts Alleinstellungsmerkmal.

SPOX: Herr Linke, wie erholsam waren Ihre Weihnachtsfeiertage?

Thomas Linke: Ich hatte eine sehr entspannte Zeit und war mit meiner Familie bei traumhaftem Wetter in Österreich Skifahren.

SPOX: Konnten Sie wirklich abschalten, oder hängt man als Sportdirektor nicht trotzdem immer am Telefon, um Transfers zu verhandeln?

Linke: Über Weihnachten und Neujahr passiert im deutschen Fußball nur sehr wenig. Da möchten Manager, Spieler und auch Berater ein paar ruhige Tage mit ihren Familien verbringen und nichts vom Fußball wissen. Ich war jedenfalls noch nie an einem Wechsel an Weihnachten beteiligt.

SPOX: Der letzte Transfertag ist dagegen wohl weniger entspannt.

Linke: Ja, dieser Tag und auch die zwei, drei davor sind in der Regel sehr hektisch, weil man da natürlich den Markt, der im Winter noch schwieriger ist als im Sommer, intensiv verfolgen muss. Wir haben es in den letzten Jahren aber immer geschafft, dass wir am 31. mit unseren Planungen fertig waren. Um Mitternacht bin ich dann aber schon immer sehr froh, dass alles vorbei ist, denn du hast immer die Problematik, dass vielleicht ein anderer Klub noch nach Verstärkungen sucht und einen Spieler deines Kaders verpflichten will.

SPOX: Spüren sie als Sportdirektor des FC Ingolstadt die Finanzkraft der chinesischen Vereine?

Linke: Direkt habe ich es bisher noch nicht gemerkt, weil bei uns noch keine Anfrage aus China eingetroffen ist. Am Markt selbst ist das aber schon spürbar und auf Sicht wird das natürlich auch uns betreffen. Selbst wenn kein Spieler des FCI nach China wechselt, werden sich andere Klubs, die Spieler nach China verlieren, nach Verstärkungen umsehen - sicher auch bei uns.

Thomas Linke übernahm am 10. November 2011 beim FC Ingolstadt den Posten des Sportdirektorsgetty

SPOX: Was ist die wichtigste Fähigkeit, die man als Sportdirektor haben sollte?

Linke: Ist eine funktionierende Scouting-Abteilung eine Fähigkeit? (lacht)

SPOX: Lassen wir mal so durchgehen.

Linke: Das ist jedenfalls das Allerwichtigste für eine erfolgreiche Arbeit als Sportdirektor, denn dann verfügt man über eine gute Marktkenntnis und ist über Entwicklungen und Situationen bei einzelnen Spielern und Klubs informiert.

SPOX: Und wie sieht es hinsichtlich persönlicher Fähigkeiten aus?

Linke: Die Überzeugung vom Weg, den man geht, ist sehr wichtig. Darüber hinaus natürlich auch ein ausgeprägtes Verhandlungsgeschick und ein gutes Auge für Spieler.

Erlebe die Bundesliga-Highlights auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

SPOX: Sie sind seit knapp fünf Jahren Sportdirektor des FCI. Worauf sind Sie besonders stolz?

Linke: Wir haben in den letzten fünf Jahren die Mannschaft deutlich verjüngt, unheimlich viele junge Spieler entdeckt und entwickelt. Gleichzeitig haben wir uns auch infrastrukturell enorm entwickelt. Das haben wir alles im Team erreicht.

SPOX: Mit welcher Zielvorgabe haben Sie den Posten des Sportdirektors 2011 übernommen?

Linke: Als mich Harald Gärtner damals zu den Schanzern holte, waren wir Letzter der 2. Liga und wollten den Klassenerhalt schaffen. Wir haben in unserem ruhigen Umfeld dann kontinuierlich gearbeitet und sind immer mehr zusammengewachsen.

SPOX-Redakteur Nino Duit traf Thomas Linke in Ingolstadt zum Interviewspox

SPOX: 2015 gelang der Aufstieg.

Linke: Mit unseren Voraussetzungen war das ein Wunder, eine absolute Sensation. Jedes Jahr, das der FCI in der Bundesliga spielt, ist für mich und unsere Fans ein riesen Geschenk.

SPOX: Der Aufstieg des FCI wird vor allem mit Ex-Trainer Ralph Hasenhüttl in Verbindung gebracht. Fühlen Sie sich öffentlich unterbewertet?

Linke: Überhaupt nicht, mich stört das nicht. Unrecht getan wird dagegen unserer Mannschaft, die ob des Hypes um Ralph nicht genug gewürdigt wurde und wird. Mein Empfinden ist, dass unsere Entwicklung zuallererst auf die Mannschaft zurückzuführen ist. Mit jedem Erfolgserlebnis hat sich der Mut der Mannschaft gesteigert und dann wollte sie immer mehr und mehr. Ralph hat ihre Entwicklung nicht gebremst.

SPOX: Wie beurteilen Sie Hasenhüttls Abschied?

Linke: Wir sind ein Verein, der dafür steht, Spieler zu entwickeln und ihnen auch die Möglichkeit zu geben, den nächsten Schritt zu machen, wenn ihre Entwicklung schneller geht als die des Vereins. Wir sind stolz darauf, dass jetzt auch ein Trainer diesen Schritt geschafft hat. Trotzdem hätten wir uns gewünscht, dass das ein Jahr später passiert, weil die Entwicklung noch nicht zu Ende war. Ralph hat das aber anders gesehen, das mussten wir akzeptieren.

SPOX: Kann es als Sportdirektor ermüdend sein, immer wieder neu anfangen zu müssen, wenn einem Spieler und Trainer abgeworben werden?

Linke: Ganz im Gegenteil! Es macht viel Spaß, immer wieder einen neuen Kader und ein entsprechendes Trainerteam zusammenzustellen.

SPOX: Was wollen Sie mit dem FCI in den kommenden Jahren erreichen?

Linke: Unser Ziel ist es, mit unseren Mitteln so viele Jahre wie möglich in der Bundesliga zu spielen.

SPOX: Wofür steht der FCI in Ihren Augen?

Linke: Wir sind ein offener, junger und toleranter Verein. Sportlich gesehen haben wir mit unserer selbst entwickelten Spielweise, dem aggressives Pressing, in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal.

SPOX: Ex-Trainer Markus Kauczinski wich gelegentlich von dieser Spielweise ab.

Linke: Bei seinem Amtsantritt lagen wir mit ihm hinsichtlich der Philosophie auf einer Wellenlänge, er wollte an der Grundausrichtung nicht viel ändern. Gleichzeitig wollte er jedoch unbedingt einen Plan B entwickeln, der leider nicht wie gewünscht geklappt hat. Nach dem Trainerwechsel sind wir dann wieder zu unserem Plan A und der alten Spielweise zurückgekehrt.

SPOX: Also ist Kauczinski letztlich an seiner Philosophie gescheitert?

Linke: Nein, er ist am fehlenden Spielglück gescheitert. Ein Trainer ist abhängig von Erfolgserlebnissen und die hatten wir unter Markus einfach zu selten. Wir waren unter ihm nie die schlechtere Mannschaft und mit jedem Gegner auf Augenhöhe. Gegen Dortmund und bei Bayern hätten wir gewinnen müssen, aber bei der Chancenverwertung haben ein, zwei Prozent gefehlt.

SPOX: Was waren nach Kauczinskis Entlassung die ausschlaggebenden Argumente für Maik Walpurgis?

Linke: Wir haben Gespräche mit verschiedensten Trainern geführt aber bei Maik den Eindruck, dass er authentisch den größten Glauben an unseren Kader und den Klassenerhalt hat.

SPOX: Hat Walpurgis bisher gehalten, was Sie sich von ihm versprochen haben?

Linke: Er hat das erste Spiel gewonnen und so den Glauben der Mannschaft neu erweckt. Froh bin ich aber vor allem, dass wir wieder so spielen wie in den vergangenen Jahren. Unsere Philosophie liegt der Mannschaft.

SPOX: Hasenhüttl begeistert mit dieser Philosophie derzeit mit seinem neuen Klub RB Leipzig.

Linke: RB spielt einen ähnlich aktiven, begeisternden Fußball wie wir. Bei uns war diese Entwicklung ein Wunder, bei RB ob der finanziellen Ressourcen absehbar. Was dort geleistet wird, ist trotzdem fantastisch und sie haben aus ihren immensen Möglichkeiten auch sehr viel gemacht.

SPOX: Sie haben 2011 selbst als Sportdirektor bei RB Leipzig gearbeitet. Nach knapp zehn Wochen wurde der Vertrag aber in beidseitigem Einverständnis aufgelöst. Warum?

Linke: Das hatte private Gründe.

SPOX: Davor waren Sie bereits bei RB Salzburg tätig. Was haben Sie von Ihrer Zeit bei RB mitgenommen?

Linke: Das war sehr lehrreich für mich, learning by doing. Während ich noch als Aktiver gespielt habe, durfte ich meine ersten Schritte in Management-Bereich machen und wichtige Erfahrungen sammeln.

SPOX: Ähnlich wie die RB-Klubs ist auch Ingolstadt kein Traditionsverein. Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie die Leute in der Region zu emotionalisieren?

Linke: Vorab: In Ingolstadt herrscht seit vielen Jahrzehnten Fußballtradition. Der FC Ingolstadt 04 ist aus zwei sehr alten Ingolstädter Vereinen entstanden. Wir wollen jedenfalls mit unserer attraktiven Spielweise stetig mehr Publikum anlocken. Zudem versuchen wir, junge Menschen anzusprechen und dieses dann auch durch unsere im Jahre 2009 gegründeten Fußballschule - die größte Deutschlands - langfristig an uns zu binden. Das ist ein guter Weg, um die Kinder auf uns aufmerksam zu machen und zu begeistern. Und da die Kinder heutzutage ohnehin bestimmen, was die Erwachsenen machen, erreichen wir diese ebenfalls. So können wir unsere eigene Vision der Schanzer selbst bauen.

SPOX: Welche Vision haben Sie mit dem FCI?

Linke: Wir wollen trotz aller Erfolge volksnah bleiben und nie ein Verein werden, der sich abschottet. Wir wollen Talente ausbilden, Spieler entwickeln und Familien mit Kindern an Spieltagen ein Fest bieten.

SPOX: Weil Ingolstadt ein recht junger Verein ist, verfügt er über keine allzu breite, aktive Fanszene. Sind Sie über dieses ruhige Umfeld als Sportdirektor manchmal sogar dankbar? SPOX

Linke: Ja, das hat schon positive Effekte. Aber wir haben einen konstruktiven Austausch mit unseren Fans und sogar einen Fanvertreter im erweiterten Vorstand. Unsere Anhänger sind wichtig für die Entwicklung des Vereins.

SPOX: Vereinen wie Ingolstadt wird gerne vorgeworfen, dass sie Traditionsklubs einen Bundesliga-Platz wegnehmen.

Linke: Die Vereine, die besser arbeiten, bekommen die Plätze. Wir stehen alle in Konkurrenz untereinander, ob es sich dabei um junge Klubs oder Traditionsvereine handelt, ist unerheblich.

SPOX: Sie haben für diese Anschuldigung also gar kein Verständnis?

Linke: Nein, überhaupt nicht, denn jeder Verein war mal jung und jeder Verein muss die Chance bekommen, zu wachsen und seinen Weg zu gehen. Die von Ihnen angesprochenen Traditionsvereine sollten sich eher fragen, warum sie aktuell hinter uns stehen, obwohl sie wirtschaftlich über wesentlich größere Möglichkeiten verfügen.

SPOX: Über allen thront natürlich weiterhin der FC Bayern, der bekanntlich immer gerne Ex-Spieler, wie Sie einer sind, in den Führungsreihen haben. Wenn die Bayern anrufen würden ...

Linke: ... dann würde ich absagen, weil ich mich hier wohlfühle und glücklich bin. Ich bleibe in Ingolstadt.

Alles zum FC Ingolstadt