SPOX: Wie sah Ihre Reiseroute aus?
Meyer: Auf einen detaillierten Reisebericht sollten wir hier verzichten. Mit Südamerika, Australien, der Antarktis und Afrika gab es auf der fantastisch organisierten Tour unglaublich viel Interessantes zu verarbeiten.
SPOX: Gibt es die eine große Erkenntnis, mit der Sie von der Reise zurückgekehrt sind?
Meyer: Im Alter um die 70 halten sich die großen Erkenntnisse sicher in Grenzen. Dank meiner Partnerin waren wir auf alle Etappen sehr gut vorbereitet, auch literarisch. Wenn man zumindest zu einem Drittel die Weltreisen von Charles Darwin nachverfolgen kann oder in der Antarktis die Biographien von Scott und Amundsen liest, dann ist das unglaublich erhaben und ein schöner Nebeneffekt. Um zu erfahren, dass es Menschen in der Welt gibt, die auf der Sonnenseite und welche - übrigens deutlich mehr -, die zum Teil im sehr dunklen Schatten leben, hätte ich nicht aufbrechen müssen.
SPOX: Ein Jahr später sind Sie 70 Jahre alt geworden. Welche Bedeutung hatte diese Zahl für Sie?
Meyer: Ich hatte mit dem Älterwerden nie ein Problem, bin aber schon Realist. Jetzt bin ich 74. Natürlich zwickt auch mal etwas und rechts wie links sterben Weggefährten oder Gleichaltrige weg. Darüber macht man sich erst in diesem Alter Gedanken. Es geht nun in eine Richtung, in der man den Wettlauf gegen Gevatter Tod bekanntermaßen nicht gewinnen kann. Natürlich denkt man nicht ständig daran, aber es wird häufiger.
SPOX: Wenn man Ihnen an Ihrem 50. Geburtstag prognostiziert hätte, was Sie 24 Jahre später einmal machen werden, wie hätten Sie reagiert?
Meyer: Dem Schicksal gedankt und dies vielleicht mit großzügigeren Spenden für Bedürftige untermauert. Ich hatte einfach Glück bei der Berufswahl. Natürlich habe ich auch selbst dazu beigetragen. Aber das, was ich selbst kann und weiß, kann keiner besser einschätzen als ich. Und das hätte auf keinem Gebiet für Außergewöhnliches gereicht. Ich habe zufälligerweise im Fußball Fuß gefasst. Er hat mir mehr als die normale Lebensbasis geboten und permanent Spaß gemacht. Das ist Hobby und Beruf in einem, zusätzlich hat es exorbitant viel Geld gebracht und ist von der Gesellschaft anerkannt worden. Nicht jeder kann in seinem Leben auf so positive Begleitumstände zurückgreifen.
SPOX: Nämlich diejenigen, die es nicht schaffen, ein Leben zu führen, das Ihnen genügt?
Meyer: Naja, was dem Einzelnen genügt ist natürlich subjektiv. Ein erfülltes Leben hat selbstverständlich auch mit dem eigenen Kopf, dem eigenen Willen und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch mit der Lebensplanung zu tun. Was mich stört ist allerdings die Verallgemeinerung, es könne jeder schaffen, solange er sich lediglich mehr anstrenge.
SPOX: Beziehen Sie das nur auf Deutschland oder auf die Allgemeinheit?
Meyer: Nehmen wir das Problem der Arbeitslosigkeit. Natürlich wird der kleinere Teil der Menschen, die unser Sozialsystem missbrauchen, benutzt, um vielen Betroffenen bitter unrecht zu tun. Da gibt es zehn oder 20 Jahre vor dem Rentenalter genügend Schicksale von Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben und auf einmal arbeitslos wurden. Versetzt man sich in die Lage jedes Einzelnen, ist es unzulässig, Pauschalurteile gegenüber Menschen zu fällen, die es in unserer Welt des Glanzes und des wirtschaftlichen Erfolgs nicht geschafft haben - was immer man darunter versteht.
SPOX: Sie standen als Trainer immer für eine sehr nüchterne Betrachtungsweise. Gab es auch mal Momente, bei denen Sie dachten, die Dinge zu wenig emotional zu sehen?
Meyer: Nein. Es mag Menschen geben, die meinen, ich sei deshalb arm dran. Ich persönlich habe es dagegen immer als großen Vorteil angesehen, dass mir mein Kopf nie etwas vorgegaukelt hat. Im Fußball wird man oft enttäuscht, aber ich konnte selten echt enttäuscht werden. Ich habe genügend Dinge erlebt, die für meine Ausprägung der Eitelkeit ausgereicht haben. Wenn mir zum Kotzen oder Heulen zumute war, brauchte ich das niemandem zu demonstrieren. Außenstehende müssen doch nicht wissen, wie es mir geht - engste Angehörige natürlich ausgenommen.
SPOX: Gibt man den Namen Hans Meyer bei Google ein, landet man schnell bei einer Auswahl Ihrer lustigsten Sprüche. Stört es Sie, dass Sie viele Menschen auch damit verbinden?
Meyer: Nein. Allerdings kann ich immer wieder nur betonen, dass viele davon nie so gefallen sind und einige auch aus dem Zusammenhang gerissen wurden. An zahlreiche meiner Sprüche kann ich mich überhaupt nicht erinnern, und es war auch nie etwas vorbereitet. Aber ich kann schon mal darüber lachen, wenn ich mit einem älteren Zitat konfrontiert werde. Zu diesem Thema würde ich ein Beispiel anbringen wollen.
SPOX: Sehr gerne.
Meyer: Ich war erst eine Woche lang Trainer in Nürnberg, da gab es in der ehemaligen Abendzeitung plötzlich eine Rubrik namens "Der Meyer des Tages". Das bedeutete ja dann, dass die Redaktion dafür jeden Tag einen neuen Inhalt benötigte. So viel Scheiß kann ich aber gar nicht erzählt haben. Da musste zwangsweise viel "Abfall" dabei sein.
SPOX: Woher kommen denn Ihr Witz, Ihr Sarkasmus, Ihre Schlagfertigkeit?
Meyer: Das ist doch wieder subjektiv. Ich kenne eine Menge Menschen, die bei mir Witz und Schlagfertigkeit vergeblich suchen. Der Sarkasmus allerdings war für mich schon immer eine Art Selbstschutz vor dem, was auf einen in diesem Geschäft so einprasselt. Ich bin überzeugt: Wenn man Ironie einstreut und auch über sich selbst lachen kann, kommt man besser durch die Welt.
SPOX: Sie wurden 1971 mit 28 Jahren Coach von Carl Zeiss Jena, 45 Jahre später wurde Julian Nagelsmann im selben Alter Trainer in Hoffenheim. Zwischenzeitlich wurden die Bewertungszeiträume gerade für Trainer jedoch deutlich kürzer. Welche Gründe hat das?
Meyer: Das Geschäft mag schnelllebiger sein als noch vor Jahren oder einem nur so vorkommen. Ich bin aber nicht der Meinung, dass sich für die Trainer generell etwas geändert hat. Früher war es nicht viel anders - und so wird es auch in der Zukunft bleiben. Schlagen Sie die Zeitungen vor 25 Jahren auf, vergleichen Sie die Inhalte über Fußball- und Trainerprobleme und Sie werden überrascht sein über die vielen Parallelen zu heute.