Freie Bahn für Achilles?

David Kreisl
17. August 201716:33
Der FC Bayern München geht einmal mehr als großer Favorit in die Saisongetty
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Der FC Bayern wird Meister, mal wieder, schon wieder. Trotz einer teilweise schauerlichen Vorbereitung zweifeln vor dem Bundesligasaisonauftakt gegen Bayer Leverkusen (Fr., 20.30 Uhr im LIVETICKER) wenige am sechsten Titel für den Rekordmeister in Folge. Dabei scheint der so verwundbar wie lange nicht.

Die Bundesliga hat noch nicht begonnen, und die Bayern haben schon den einen Titel in der Tasche; den Supercup, diesen Pokal, dessen Definition man je nach Gegner und Ergebnis spontan festlegt und entweder als ersten offiziellen Titel der Saison feiert oder als besseres Testspiel ad acta legt.

"Wenn wir nicht gewonnen hätten", gab Bayerns Thomas Müller ganz offen zu, "hätten wir gesagt: War nicht so wichtig, war nur der Supercup". Die Geschichtsschreiber notierten bekanntlich, dass es anders kam. Mit 5:4 nach Elfmeterschießen bezwangen die Bayern den amtierenden Pokalsieger Borussia Dortmund.

Per spontaner Definition also der erste Titel der Saison, ergo Anlass zur Freude, die in ihrer Intensität überraschend war. Über einen Titel, den man - hätte Joshua Kimmich in der 88. Minute den Ball inmitten eines realgewordenen Wimmelbilds nicht abgefälscht von zwei Dortmundern über die Linie geschubst und so erst das Elfmeterschießen erzwungen - ungebremst als verlorenes Testspiel in die Nichtigkeit durchgewunken hätte.

Bayerns Vorbereitung: Wie in der Geisterbahn

So durfte man sich beim FC Bayern aber freuen über ein Erfolgserlebnis, das gerade recht kam nach einer Vorbereitung, die so gar nicht Bayern-like war und eher an eine Geisterbahnfahrt erinnerte.

Einige Akteure genossen nach dem Confed Cup langen Urlaub, andere laborierten noch an Verletzungen aus der vergangenen Saison, für den Rest ging es ohne viel Training zur berüchtigten Asienreise. Vier Spiele in zwölf Tagen gegen europäische Mittel- bis Schwergewichte, das alles bei subtropischen Temperaturen, garniert mit zahllosen PR-Terminen, ein paar Tage nach der Rückkehr dann noch der Audi Cup.

Die Bilanz eines Unterfangens, dass von Coach Carlo Ancelotti als "nicht einfach", von anderen als Irrsinn betitelt wurde: Glückliche Fans in Asien, fünf teils krachende Pleiten bei einem knappen Sieg und ungewohnt ernste Worte, die man im Klubumfeld vernehmen konnte.

Die Mannschaft machte in diesen Wochen in der Tat einen grotesken Eindruck, und Führungsspieler wie Mats Hummels wollten das nicht nur auf die strapaziöse Reise schieben. "Für viele Dinge kann man die Vorbereitung nicht als Alibi hernehmen", sagte der Verteidiger vor dem Supercup, kurz danach meinte derselbe Hummels dann: "Wir hecheln jetzt nicht mehr von Spiel zu Spiel, wir haben jetzt einfach eine vernünftige Vorbereitung."

Für die Situation der Münchner vor dem Bundesligaauftakt gegen Bayer Leverkusen lässt sich also festhalten, dass auch ein schlingernder FC Bayern immer noch der FC Bayern ist und seine Spiele gewinnt, sei das im Supercup vor 81.000 Zuschauern gegen Borussia Dortmund oder im DFB-Pokal vor 15.000 Zuschauern beim Chemnitzer FC. Das ist für all die, die sich mehr Spannung in der Liga wünschen keine gute, aber auch keine neue Nachricht.

Bayern mit großen Verletzungsproblemen

Die Gefahr für die Münchner lauert später in der Saison. Im Münchner Umfeld ist es ja fast schon zum Mantra geworden, dieses "Wenn alle mal fit sind, dann...". Da ist es jetzt natürlich wenig hilfreich, dass vor dem ersten Bundesligaanpfiff schon wieder eine halbe Mannschaft verschlissen ist.

Der unersetzliche Thiago verletzte sich sogar doppelt, zunächst auf der Asienreise und dann im Audi Cup, Juan Bernat (Asienreise), James Rodriguez (Audi Cup) und Javi Martinez (Supercup) gesellten sich zu den Langzeitverletzten in den Krankenstand. Sprich: Die Bayern starten bereits voll belastet in die Saison, mit einem Kader, der nicht gerade bekannt dafür ist, in den entscheidenden Wochen zum Saisonende fit und verletzungsfrei zu sein. Was schlecht ist für einen Verein, für den es erst dann etwas zu gewinnen gibt.

Wie moderiert Ancelotti Bayerns Umbruch?

Dazu befindet sich das Team von Coach Ancelotti im größten Umbruch der jüngeren Vergangenheit. An manchen Stellen im Kader muss ein radikaler Schnitt kompensiert werden; mit Philipp Lahm und Xabi Alonso verließen zwei prägende Spieler den Verein. Die Neuzugänge müssen - im Fall von Sebastian Rudy und Niklas Süle - von überdurchschnittlich guten Bundesligaspielern zu Bayern-Spielern geformt werden, James Rodriguez, seines Zeichens bei Real Madrid zuletzt oft nicht mal Ersatz, muss als Leistungsträger ebenso in das bestehende Gebilde integriert werden wie Rekordeinkauf Corentin Tolisso.

Dann gibt es wiederum die Plätze im Kader, in denen sich die Situation nicht verändert, dafür zugespitzt hat: Franck Ribery, 34, und Arjen Robben, 33, sind weiterhin unersetzlich, werden weiterhin nicht jünger und nach wie vor ist kein adäquater Ersatz in Sicht.

Es ist die größte Aufgabe für Ancelotti in dieser Saison, seinem Ruf als Verwalter gerecht zu werden und trotzdem die Weichen für die Zukunft zu stellen. "Jetzt ist Carlo gefordert, diese Dinge unter einen Hut zu kriegen", sagte Präsident Uli Hoeneß am Sonntag bei Sky.

Ancelotti ruhig: "Alles ist im Plan"

Man möchte meinen, dass der große FCB ins Wanken geraten könnte, angesichts all der Umstände. Dass Achilles' Ferse blank liegt. So wirklich aufkommen will dieses Gefühl aber nicht.

"Alles ist im Plan", gab sich Ancelotti vor dem Bundesligaauftakt gewohnt gelassen. "Unser Rhythmus in diesem Moment ist gut." Auch Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge wischte mit dem Supercup-Triumph jegliche Krisenszenarien beiseite. Auch wenn es international anders aussieht, für die Liga ist der Kader der Münchner immer noch eine Nummer zu groß.

Zumal die Klubs, die den Münchnern die Schale streitig machen sollen, rar gesät und mit eigenen Problemen beschäftigt sind. Der BVB wäre da zu nennen, der selbst unter dem neuen Coach Peter Bosz noch in der Findungsphase ist, das hat die durchwachsene Vorbereitung gezeigt. Und RB Leipzig, der letztjährige Zweite, wird zeigen müssen, wie er mit der Champions-League-Belastung zurechtkommt, zumal die Topstars (Keita, Forsberg) der Leipziger den Verein am liebsten gleich verlassen hätten und für ordentlich Unruhe sorgten.

Es sieht also - mal wieder, schon wieder - alles andere als schlecht aus für die Bayern. "Das erste Spiel ist immer schwierig, aber ich denke, wir sind bereit für das Spiel und ich hoffe, wir können ein gutes Spiel machen", sagte Ancelotti vor dem Auftakt gegen Leverkusen, der der erste Schritt auf dem Weg zur sechsten Meisterschaft in Folge sein soll.

Wenn sich aber doch ein Paris finden würde, der die Ferse des Achilles trifft - der nichtbayerische Tel der Liga würde es sicherlich begrüßen.