"Ob es technisch reicht, erscheint mir fraglich"

Andreas LehnerMarcus BlumbergJochen RabeStefan Petri
16. November 201718:19
Sandro Wagner könnte zum FC Bayern München zurückkehrengetty
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Kehrt Sandro Wagner zum FC Bayern München zurück? Der Rekordmeister sucht einen Stürmer und will den Nationalspieler aus Hoffenheim holen. Aber würde Wagner überhaupt zum FCB passen? Sollte Wagner diesen Schritt wagen oder riskiert er damit seine WM-Teilnahme? Und was macht dann 1899 Hoffenheim?

Braucht der FC Bayern überhaupt einen Backup für Lewandowski?

Andreas Lehner: Im Sommer waren sich die meisten Beobachter einig, dass die Situation ohne Lewandowski-Ersatz kritisch ist, nur Rummenigge, Hoeneß und Ancelotti wiegelten ab. Die meinten: Lewandowski ist nie verletzt, Müller reicht als Ersatz (Rummenigge) und für Gerd Müller gab's damals auch keinen Ersatz (Hoeneß). Die Bayern hätten aus der Vorsaison lernen müssen, haben aber nicht die richtigen Lehren gezogen.

Marcus Blumberg: Der FC Bayern will turnusgemäß auf drei Hochzeiten bis zum Ende tanzen. Im Vorjahr wurde einer dieser Tänze auch durch den Ausfall von Lewandowski im CL-Viertelfinale gegen Real Madrid vorzeitig beendet. Insofern braucht der FC Bayern definitiv einen Backup für Lewandowski. Nicht unbedingt, um ihn in der CL zu ersetzen, aber um dem Polen wenigstens in der Bundesliga dann und wann eine Verschnaufpause zu geben.

Jochen Rabe: Moment, worüber diskutieren wir hier eigentlich? Es war ja bereits im Sommer schwierig, die Argumente gegen die Verpflichtung eines Backups nachzuvollziehen. Nun hat die jüngere Vergangenheit mit den Verletzungen von Lewandowski und Müller die Skeptiker bestätigt. Lewandowski selbst fordert es, Heynckes fordert es - insofern ein klares Ja.

Stefan Petri: Definitiv. Spätestens seitdem sich alle einig sind, dass Thomas Müller nicht den Aushilfs-Stoßstürmer geben sollte, klafft hinter Lewandowski eine Lücke. Die Tatsache, dass der Pole selbst Ersatz gefordert hat, muss Rummenigge und Hoeneß zu denken geben - welcher Stürmer gibt schon öffentlich zu Protokoll, nicht alle Spiele machen zu wollen? In englischen Wochen und nach anstrengenden Länderspielen muss auch mal rotiert werden. Und sei es nur gegen Freiburg und Bremen.

Ist Wagner der richtige Stürmertyp für den FC Bayern?

Andreas Lehner: Wagner hat in den letzten beiden Saisons in der Bundesliga zweistellig getroffen, er hat internationale Erfahrung gesammelt und ist Nationalspieler. Er ist körperlich stark, kann Bälle behaupten und er bringt die richtige Mentalität mit. Das sind gute Voraussetzungen, um es auch bei Bayern zu packen.

Marcus Blumberg: Was für einen Stürmertyp brauchen denn die Bayern? Den Typ Lewandowski gibt es jetzt nicht in Massenproduktion, er ist nahezu einzigartig. Ein Backup muss zwangsläufig ein anderer Typ sein. Wagner verkörpert für mich die Option Brechstange mit seinen 1,94 Metern Körpergröße. Er könnte der Abnehmer der Flanken werden, die derzeit oft ziellos durch den Strafraum segeln. Ob es technisch reicht, erscheint mir jedoch fraglich. Den Ball abschirmen kann er - und torgefährlich ist er zweifelsohne auch.

Jochen Rabe: Bayern braucht vor allem einen Typen: einen Qualitätsspieler. Und zu dem hat sich Wagner in den letzten Jahren entwickelt. Natürlich wäre es absolut perfekt, einen Angreifer zu bekommen, der auch mal auf den ebenfalls dünn besetzten Außen rankönnte. Aber wenn ein reiner Mittelstürmer zu haben wäre, der abschlussstark, robust und selbstbewusst ist, den Wechsel trotz der bekannten Vorzeichen aber gerne machen würde, muss man zugreifen. Dann ist er der Richtige.

Stefan Petri: In seinem ersten Aufenthalt bei den Bayern war Wagner durchaus umstritten, am Ball oft einfach zu hölzern und unbeholfen. Die Stärken, die er mitbringt, stehen dem derzeitigen FCB aber durchaus gut zu Gesicht: körperlich stark, eine enorme Präsenz im Strafraum, gutes Kopfballspiel. Er wird nicht für schnelle Konter geholt, sondern auch für die letzten 15 Minuten, wenn die Bayern aus einem 1:1 noch ein 2:1 machen wollen. In solchen Situationen würde er auch gut als zweiter Mann neben Lewy passen.

Wäre der FC Bayern überhaupt der richtige Schritt für Wagner?

Andreas Lehner: Hier sehe ich den größten Stolperstein. Wagner ist in der Bundesliga etabliert, er hat zwar ähnlich wie Hummels eine persönliche Verbindung nach München, aber soll sich Wagner als bald 30-Jähriger mit einer Rolle als Backup zufrieden geben? Lewandowski hat zwar selbst einen Ersatz gefordert, aber er will weiterhin nur "15 bis 20 Minuten" Spielzeit abgeben. Und in den großen Spielen ist die Hierarchie ohnehin klar.

Marcus Blumberg: Sachlich betrachtet ja! Nicht wenige Fußballer bauen ihre Karrieren stufenweise auf. Wagner ging von der Hertha zu Darmstadt, schaffte dort den Durchbruch und bestätigte selbigen in Hoffenheim. Will er also einen weiteren Schritt nach oben machen, bleiben außer Bayern in Deutschland kaum noch Stationen. Das Problem ist allerdings, dass er sich damit von vornherein auf deutlich weniger Spielzeit einstellen muss. Sportlich geht es bergauf, karrieretechnisch vielleicht in die andere Richtung.

Sandro Wagner (2.v.r.) im Training des FC Bayern 2007getty

Jochen Rabe: Von seinem Selbstverständnis und Selbstvertrauen her traut sich Wagner diesen Schritt zu, sonst hätte er nicht um seine Freigabe gebeten. Und ich traue ihm den auch zu. Für mich stellt sich schon die Frage, ob man nicht lieber in einem Starensemble trainiert, spielt und Titel einfährt, als Stamm- und Führungsspieler bei einem Klub zwei Kategorien darunter zu sein. Warum denn eigentlich nicht? Zumal ich nicht glaube, dass er so wenig spielen würde, wie ihr jetzt vorzeichnet.

Stefan Petri: Er wird sich keine Illusionen darüber machen, wie seine Rolle in München aussehen wird: Im Idealfall (für den FCB) wird er nicht wahnsinnig viele Minuten sehen. Aber: Wenn jemand Spielzeit für mehr Lebensqualität - seine Familie lebt ja in München - und (hoffentlich) Titel opfert, dann wohl ein Typ Marke Sandro Wagner. Er ist jetzt fast 30, sollte er in zwei Jahren feststellen, dass das Gesamtpaket in dieser Form doch nicht passt, kann er immer noch für einen kleineren Klub aufschlagen.

Könnte Hoffenheim einen Abschied Wagners im Winter kompensieren?

Andreas Lehner: Hoffenheim ist ligaweit im Sturm am besten besetzt. Auch wenn Wagner die Nummer eins ist, stehen mit Uth, Kramaric und Szalai hochkarätige Alternativen zur Verfügung. Sportlich könnte die TSG den Abschied wohl verkraften, als Persönlichkeit würde er mehr fehlen. Und: Hoffenheim ist bei einem Vertrag bis 2020 nicht gezwungen, hier im Winter Kohle zu machen.

Marcus Blumberg: Die TSG verfügt im Sturm über diverse Alternativen. Darunter Andrej Kramaric, Adam Szalai und Mark Uth. Und Robin Hack ist auch gerade dabei, sich aus der eigenen Jugend in die erste Mannschaft zu spielen. Insofern müsste es möglich sein, Wagner zu ersetzen.

Jochen Rabe: Sportlich ginge das schon irgendwie, da habt ihr Recht. Aber: Die Komponente Persönlichkeit, die Andreas angesprochen hat, steht für mich hier ganz klar im Mittelpunkt. Wagner ist mit Abstand der charismatischste Spieler im Hoffenheimer Kader. Einer, den man nicht unbedingt mögen muss und den viele gegnerische Fans auch nicht mögen, aber deswegen eben auch einer, der Hoffenheims Profil schärft. Wagner hebt Hoffenheim aus der Graumäusigkeit heraus. Diese Facette zu verlieren, täte weh und wäre im Winter nur schwerlich zu kompensieren.

Stefan Petri: Hoffe spielt ums internationale Geschäft mit, vielleicht sogar um die Königsklasse. Da lässt man einen Stammspieler eigentlich nicht gehen, denn darauf zu bauen, dass man in der gleichen Transferperiode einen ähnlich guten und bezahlbaren Mann findet, wäre fahrlässig. Man darf Wagner also nur gehen lassen, wenn Nagelsmann ohnehin mittelfristig auf eine erste Elf ohne ihn setzen würde, vielleicht mit einem System ohne echten Stoßstürmer. Oder Bayerns Angebot ist einfach zu gut - aber das bezweifle ich.

Was würde ein Wechsel für Wagners WM-Chancen bedeuten?

Andreas Lehner: Löw hat erst kürzlich einen deutlichen Appell an alle WM-Kandidaten gesendet. Wagner muss sich gut überlegen, ob er seinen Stammplatz in Hoffenheim gegen die Rolle als Ersatzmann in München eintauschen will - und mehr suchen die Bayern nunmal nicht. Zehn Tore für 1899 in der Rückrunde würden ihm für das WM-Ticket mehr bringen als vereinzelte Spiele und ein paar Kurzeinsätze in der CL-K.o.-Phase in München.

Marcus Blumberg: Löw will Stammspieler mit zur WM nehmen, hat er gesagt. Zudem ist die DFB-Elf im Sturm so breit aufgestellt wie lange nicht mehr. Und wenn 2014 irgendein Indikator ist, dann wird Löw auch dieses Mal nicht allzu viele Stoßstürmer mitnehmen. Ginge Wagner also nach München, würden seine Chancen auf Russland schlagartig signifikant schrumpfen, denn so ein großes Standing hat Wagner jetzt auch noch nicht bei Löw.

Jochen Rabe: Puh, überschätzt mir da mal nicht die Aussagen. Ich glaube, dass Löw ganz genau weiß, was er an Wagner als Spieler, aber auch als Typ hat. Er wird zwar logischerweise aktuelle Form und Einsatzzeiten berücksichtigen. Aber Wagner bringt Dinge mit, die nur wenige andere dem WM-Kader geben können. Wenn Löw diese gerne in Russland dabei haben möchte, bezweifle ich, dass ein halbes Jahr nur jedes zweite oder dritte Spiel bei den Bayern zu machen, diese Chance komplett torpediert.

Stefan Petri: Nicht viel, glaube ich. Die ganz großen Alternativen sehe ich eigentlich nicht: Werner ist gesetzt, Stindl nur ein Backup, Müller spielt außen, Gomez ist auch schon 32 und wird es ganz schwer haben. Wenn Wagner bei den Bayern beweist, dass er auch gegen hochkarätige Gegner in der Schlussviertelstunde eines Champions-League-Spiels etwas reißen kann, wäre das doch genau die Rolle, die er bei Jogi auch einnehmen würde. Eng wird es für ihn, wenn Spieler wie Reus, Götze, Gündogan etc. zur WM alle fit und in Topform sind. Aber das unabhängig von seinen Spielminuten bei den Bayern.