Marco Reus startet mit Borussia Dortmund ins Trainingslager: Der BVB als Person

Jochen Tittmar
03. Januar 201817:24
Marco Reus erlitt im DFB-Pokalfinale einen Kreuzbandanrissgetty
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Mehrere Monate nach einem Kreuzbandanriss reist Marco Reus an diesem Mittwoch mit Borussia Dortmund ins Trainingslager nach Marbella. Der Nationalspieler wird nur wenig Zeit haben, um sich beim BVB in Form und zur WM nach Russland zu spielen.

Julian Weigl war auffälliger, aber auch nur, weil es bei ihm so offensichtlich war. Borussia Dortmund feierte Ende Mai auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Gewinn der Champions League 1997 den Pokalsieg mit dem üblichen Korso durch die Stadt.

Ganz vorne auf dem Jubel-Konvoi saß Weigl, der den ersten großen Titel seiner Karriere feierte. Allerdings auf Krücken und mit dick bandagiertem Fuß. Der Nationalspieler hatte sich kurz vor dem DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt das Sprunggelenk gebrochen, drehte beim Feiern aber trotzdem anständig durch.

Ein Stück hinter ihm stand Marco Reus. Ihm war es ähnlich wie Weigl ergangen: endlich der erste Titel im Sack, aber körperlich lädiert. Doch Reus, der im Endspiel zur Pause ausgewechselt werden musste, schien dies komplett egal zu sein. Reus eskalierte ebenfalls.

Nächste Hiobsbotschaft für Reus

Der angestaute Frust über die lange, titellose Durststrecke musste ja genauso raus wie die Freude über das Saisonende. Reus war bei der Feier rund um den Borsigplatz jedoch längst klar, dass nur kurz darauf die nächste Hiobsbotschaft für ihn folgen würde.

Drei Tage später beging er seinen 28. Geburtstag, die Diagnose erhielt Reus schon früher: Kreuzbandanriss, acht Monate Pause. Die Vorgeschichte ist bekannt: Ein Jahr zuvor hatte er mit einer Schambeinentzündung ein halbes Jahr pausiert und die EM verpasst. 2014 war die WM aufgrund eines Syndesmosebandanrisses flöten gegangen. Zu allem Überfluss riss er sich anschließend noch zweimal das Außenband im Sprunggelenk.

Marco Reus beim Korso des BVB nach dem DFB-Pokal-Gewinngetty

Mit diesen Geschichten im Kopf und der erneuten Verletzung im Knie stand Reus auf dem Truck. Den Schlusspfiff in Berlin als Spieler auf dem Platz zu erleben - geschenkt. Der Bann war gebrochen, der Fußballer Reus kann doch etwas gewinnen. Das war an diesem Sonntag die wichtigste Nachricht für ihn.

Reus reist mit dem BVB ins Winter-Trainingslager

Doch die Tränen, die schon im Olympiastadion flossen, kamen "zwei, drei Tage später, als ich alles Revue passieren ließ, noch einmal", wie er in einem Interview mit dem Magazin GQ offenbarte. Das ist nur allzu menschlich, wenn einem das Schicksal so mitspielt wie ihm, dem Dauerverletzten.

Und so hieß es eben mal wieder von Null anzufangen, fernab von den Teamkollegen, in der Isolation des Reha-Zentrums. Momente, die jeder langzeitverletzte Fußballer kennt und hasst. Kleine Schritte machen, die im jeweiligen Moment aber kaum den Eindruck großen Fortschritts erwecken. Für Reus abermals eine Probe für die ohnehin angeknackste Psyche.

Anfang November ging es für Reus wieder mit dem Laufen los, Mitte Dezember tat er das dann auch für jeden sichtbar auf dem BVB-Trainingsgelände - und sogar der Ball war dabei. Mit der Borussia bricht Reus an diesem Mittwoch nach Marbella auf, um Anlauf zu nehmen für die Herausforderungen 2018.

Reus hat vieles mit dem BVB gemein

Diesbezüglich hat Reus vieles mit dem BVB gemein. In den zwei Partien unter dem neuen Trainer Peter Stöger machten die Schwarzgelben ebenfalls kleine Schritte in Richtung Besserung.

Über den Berg ist der Verein aber noch längst nicht, auch wenn Platz drei zur Winterpause gut aussieht. Ohne das Last-Minute-Tor von Christian Pulisic am 17. Spieltag stünde der BVB jedoch auf Rang sieben - dann würden die Alarmglocken sicherlich schriller läuten.

Dortmund muss sich unter Stöger in jeglicher Hinsicht stabilisieren, vor allem defensiv und vor allem als gesamter Klub. Die Wiederholung eines wahnwitzigen Jahres wie 2017 gilt es zu vermeiden. Der erneute Weg in die Champions League ist allerdings noch ein weiter.

Stöger will vorsichtig mit Reus umgehen

Gleiches gilt für Reus, der in gewisser Weise der BVB als Person ist. Läuft wie bisher alles weiterhin nach Plan, ist seine Rückkehr auf den Platz für Februar geplant. Klappt dies, hat Reus lediglich drei Monate Zeit, um sich in Form und zur WM zu bringen. Es wäre nach den Rückschlägen 2014 und 2016 sein erstes großes Turnier.

Es bleibt demnach vieles unklar und zeitlich auf Kante genäht - für Reus und den BVB unter Stöger. Fest steht: Reus wird extrem behutsam an die Mannschaft herangeführt, um bloß keine Folgeverletzung zu riskieren.

"Ich bin da eher vorsichtig und niemand, der jemanden zu früh reinjagen möchte", sagt Stöger. Reus wird also wie in der Vergangenheit erst zurückkehren, wenn in allen wichtigen Bereichen die 100 Prozent sehr nah sind.

Reus-Rückkehr tut Dortmund gut

Dass Reus physisch zuletzt wieder deutlich enger an der Mannschaft dran war und nun mit nach Spanien reist, dürfte im ersten Schritt vor allem der Stimmung und der Chemie im Team guttun. Das sind Gebiete, die auch Stöger befrieden muss, um seine Truppe wieder konstant in die Spur zu bringen.

Reus ist in Dortmund ein wichtiger Bestandteil und Wortführer in der Kabine, selbst wenn er gar nicht spielen kann. Der Prototyp des Mentalitätsspielers, den man in der Hinrunde einige Male im Kader vermisste, ist aber auch er nicht.

Sobald Reus jedoch spielt, das war besonders bei seinem letzten Comeback unter Thomas Tuchel sichtbar, verschieben sich die Verantwortlichkeiten auf dem Feld und die Mitspieler agieren freier. Rücksicht wird man auf ihn nicht nehmen müssen, Reus übernimmt aus dem Stand Verantwortung.

Reus: "Das wäre dann mein letzter großer Vertrag"

Das sind Zutaten, die es aus Sicht der BVB-Verantwortlichen braucht, um die Ziele in der Rückrunde zu erreichen. Reus fehle "an allen Ecken und Enden", sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke kürzlich.

Ob man dies auch in fernerer Zukunft behaupten wird, dürfte spätestens mit Beginn der neuen Saison geklärt sein. Sollte Reus, Vertrag bis 2019, Lust auf eine Luftveränderung haben, müsste Dortmund vielleicht schon im Sommer verkaufen. Nur dann winkt eine marktgerechte Ablösesumme.

"Es gibt schon international vier, fünf Vereine, die mich reizen - das ist doch klar", sagt Reus. "Am 31. Mai 2019 werde ich 30 Jahre alt. Das wäre dann mein letzter großer Vertrag und meine letzte Möglichkeit, noch einmal etwas anderes auszuprobieren."

Dauerhafte Fitness ist dazu aber unerlässlich, seine meterlange Krankenakte dürfte diesen vier, fünf Klubs nicht entgangen sein. Egal, wie es letztlich kommen wird - für Reus und den BVB steht das nächste spannende Jahr ins Haus.