BVB im Kampf um die Champions-League-Qualifikation: Giftiges Saisonende

Wurden in dieser Saison kritischer beäugt: BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Manager Michael Zorc.
© getty

Wie im Vorjahr kämpft Borussia Dortmund im Saisonendspurt um die Qualifikation für die Champions League. Die BVB-Verantwortlichen haben die Zeichen der Zeit erkannt und forcieren auf der Suche nach einer neuen Identität einen Umbruch im Sommer. Der wird aber Zeit benötigen.

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Das Ding ist durch, würde man wohl Jürgen Klopp entgegnen, wenn der noch Trainer von Borussia Dortmund wäre. Das ist er aber nicht mehr und will man ganz romantisch analysieren, fangen an diesem Punkt die Probleme des BVB bereits an.

Die aktuell angespannte Gemengelage rund um die Schwarzgelben ist Gift für das Saisonende, das jetzt nur noch sechs Bundesligaspiele entfernt liegt. Sie ist gewissermaßen sogar mit dem Schlussakkord der vergangenen Spielzeit zu vergleichen.

Damals kämpfte der BVB wie in diesem Jahr um die Qualifikation für die Champions League. Auf die Mannschaft wurde ein Anschlag verübt, wenig später gab Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sein brisantes Dissens-Interview und ein unwürdiges Schauspiel zwischen Ex-Coach Thomas Tuchel und den Vereinsoberen bahnte sich seinen Weg.

Matthias Sammer kehrt zum BVB zurück

Wie heute galt vor einem Jahr: Alle sehnten das letzte Spiel herbei, allen war klar, was dann personell geschehen wird - und erst in den letzten Spielminuten der Saison machte die Borussia unter Tuchel die Königsklasse klar.

All dies hat man nun in ähnlicher Form wieder. Das Ende von Trainer Peter Stöger ist besiegelt, Watzke verkündete mit Berater Matthias Sammer und Lizenzspielerchef Sebastian Kehl zwei essentielle Personalentscheidungen und in ein paar Wochen - noch vor Saisonschluss - wird wohl der neue Übungsleiter bekannt gegeben.

Hinzu kommen die Befragungen vor Gericht, die die innerhalb der Mannschaft ohnehin noch gegenwärtige Bus-Attacke wieder stärker aufleben lassen. Die Aussagen der bislang geladenen Spieler - am 25. April äußern sich acht weitere Akteure im Zeugenstand - führten deutlich vor Augen, wie wenig das Geschehene bisher verarbeitet werden konnte.

BVB-Saison in allen Belangen eine Katastrophe

Dieser 11. April 2017, der sich kommende Woche das erste Mal jährt, steht sinnbildlich für die Komplexität der Dortmunder Situation. Denn: Wie soll man schwache sportliche Leistungen und bröckelnden mannschaftlichen Zusammenhalt bewerten, wenn die Mehrzahl der Mitglieder einer Gruppe von einem Trauma begleitet wird?

Geht man vom wohl sowieso zum Scheitern verurteilten Versuch einer tiefenpsychologischen Analyse weg, ist die Saison des BVB natürlich jetzt schon in allen Belangen eine Katastrophe. Bald folgt das Derby gegen die besser platzierten Schalker und geht auch das in die Hose, könnte es das Fass in Dortmund endgültig zum Überlaufen bringen - mitten im Kampf um den letzten verbliebenen Strohhalm namens Champions League.

Die Platzierungen des BVB in den vergangenen fünf Spielzeiten

SaisonPlatzPunkteRückstand auf Bayern
2016/1736418 Punkte
2015/1627810 Punkte
2014/1574633 Punkte
2013/1427119 Punkte
2012/1326625 Punkte

Bereits jetzt bestehen tiefe Gräben zwischen Publikum und dem schwarzgelben Team. Die sich vollzogene Entfremdung ist ein schleichender Prozess, der schon vor dem Anschlag begonnen und vielschichtige Gründe hat.

BVB-Vereinsmotto "Echte Liebe" scheint tot

Das geringe Ausmaß an Identifikation, das die Angestellten derzeit vom Rasen Richtung Tribünen senden, könnte bei einer Derby-Niederlage womöglich in beidseitige Gleichgültigkeit münden. Von den Fans kamen in den letzten Wochen nach den mäßigen Leistungen, vor allem nach der 0:6-Blamage in München, vermehrt Unmutsbekundungen. Das Vereinsmotto "Echte Liebe" scheint tot, mindestens aber konterkariert.

Für die Besprechung der Dortmunder Saison erscheint es gar unerheblich, ob die Teilnahme an der CL klargemacht wird oder nicht. Sollte auch noch das letzte verbliebene Saisonziel verpasst werden, dürfte die Kritik nicht besonders lauter oder umfangreicher ausfallen als ohnehin schon.

Das Restprogramm des BVB

DatumGegner
08.04.2018VfB Stuttgart (H)
15.04.2018FC Schalke 04 (A)
21.04.2018Bayer Leverkusen (H)
29.04.2018Werder Bremen (A)
05.05.20181. FSV Mainz 05 (H)
12.05.2018TSG Hoffenheim (A)

Dies sind mehr als nur Anzeichen für den kritischen Zustand, in dem sich der BVB der Gegenwart befindet. Watzkes Ausführungen der letzten Woche belegen jedoch, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden. Man will, man wird und man muss entgegen steuern.

Dortmunds Umbruch wird Zeit benötigen

Das große Problem dabei: Zeit. Und die, fragen Sie exemplarisch nach bei allen Bundesligatrainern der letzten drei Jahre, gibt es im Fußball bekanntlich nicht. Dortmunds angekündigter Umbruch, ganz egal, wie groß gerade auch die Einschnitte im Kader ausfallen werden, wird dennoch ausreichend Zeit benötigen. Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, man müsse nur Personal austauschen und plötzlich drehe sich der Wind von selbst.

Vor allem wird es darum gehen, dass sich unter den veränderten Voraussetzungen die auf dem Platz verschütt gegangene BVB-Identität wieder neu herausbildet oder zumindest einem grundlegenden Update unterzogen wird. Aus Watzkes Aussagen lässt sich schließen, dass künftig mehr auf Erfahrung und Mentalität statt Talent gesetzt wird.

Der Kader des BVB in der Saison 2017/18

TorwartDefensiveMittelfeldOffensive
BürkiSokratisWeiglReus
WeidenfellerToprakSahinPhilipp
ReimannZagadouDahoudSchürrle
AkanjiCastroSancho
GuerreiroRodeGomez
SchmelzerGötzePulisic
ToljanKagawaYarmolenko
Piszczeck Batshuayi
Durm Isak

Der gesamte Ansatz des BVB in den letzten Jahren steht somit auf dem Prüfstand. Man sei von der rasanten Entwicklung hin zu einem vermeintlichen Big Player im Konzert der noch Größeren überrannt worden, sagte Watzke. Die durchdringende Dynamik des Anschlags tut bis heute ihr übriges.

Neuer BVB-Coach? Favre kann sich Deutschland-Rückkehr vorstellen

Nun soll mit Kehl ein Mann mitarbeiten, der Erfahrung, Mentalität und Identifikation auf sich vereint und es zumindest als Spieler gut verstand, in eine Mannschaft hineinzuhorchen. Sammer steht für Professionalität bis in den letzten Winkel, seine inhaltliche Penetranz wird der von Tuchel nicht unähnlich sein - allerdings in größeren Abständen. Mit neuen Regeln für das Team muss er sein Werk offenbar an der Basis beginnen.

Fehlt noch ein Trainer. Die Chancen stehen sehr gut, dass der Lucien Favre heißen wird. Wäre es nach den BVB-Entscheidern gegangen, stünde der Schweizer bereits seit einem Jahr in Dortmund an der Seitenlinie. Der Kontakt zwischen Watzke und Favre ist seitdem nicht abgerissen, Interesse an einer Rückkehr nach Deutschland besteht beim Gladbacher Ex-Coach nach wie vor - und diesmal scheint Favres Klub Nizza in der Lage, rechtzeitig einen Nachfolger zu finden.

Die Besetzung des Trainerpostens wird Dortmunds wichtigste Entscheidung, sie muss sitzen. Favre scheint ein geeigneter Kandidat: Er ist weniger Systemtrainer als angenommen, taktische Anpassungsfähigkeit und Variabilität sind seine größten Stärken.

Champions League nur mit Willen und Entschlossenheit

"Das ist das speziellste Fußballspiel der ganzen Saison und ihr habt keine Frage dazu?", entfuhr es Klopp im Oktober 2013, als er auf einer Pressekonferenz nicht auf den kommenden Gegner Mönchengladbach angesprochen wurde.

Auch in den Partien zuvor brachte Klopp Favres Teams immer größten Respekt entgegen, da sie so schwer auszurechnende Alleskönner waren.

Das wären keine so schlechten Bausteine in Dortmunds aktueller Lage. Aus der müssen nun aber erst einmal der Wille und die Geschlossenheit entstehen, um sich auch für die nächste Saison für das Konzert der Großen zu qualifizieren. Ganz durch ist das Ding nämlich doch noch nicht.

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