SPOX: Wie sehr bereitet sich denn Ihr Bruder aktuell schon auf das Leben nach der Karriere vor - und wann soll es losgehen?
Sahin: Ich glaube, dass er noch bis 32 oder 33 spielt. Er macht sich schon seit längerer Zeit viele Notizen, er hat ja auch einige unterschiedliche Trainer erlebt. Fest steht: Sollte er Trainer werden, wird Nuri ein Ballbesitztrainer. So spielen wir auch mit dem RSV, er liebt den Fußball von Pep Guardiola. Wenn die Saison beendet ist, werden wir gemeinsam zu einem viertägigen Trainerseminar nach Los Angeles fliegen.
SPOX: Nach dem Blick in die Zukunft auch ein Blick in die Vergangenheit: Wie verlief Ihre eigene Spielerkarriere im Jugendbereich und ab wann war Ihnen klar, dass Sie einen anderen Weg gehen werden als Ihr Bruder?
Sahin: Als Jugendlicher war ich schon sehr gut unterwegs und habe es auch versucht, bis nach oben zu kommen. Letztlich war es einfach nicht mein Ding, sich total professionell verhalten zu müssen. Ich habe mit der Zeit die Lust daran verloren. Ich denke, ich wäre ungefähr auf Zweitliganiveau gekommen, wenn ich mich richtig reingehängt hätte.
SPOX: Gab es damals einen bestimmten Knackpunkt?
Sahin: Ja, das war ein Probetraining im Seniorenbereich beim damaligen Zweitligisten MVV Maastricht in der Niederlande. Zu dieser Zeit spielte ich in der ersten Mannschaft des SC Plettenberg in der Landesliga. Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass ich mich ziemlich ordentlich präsentiert habe. Sie haben mich aber nicht genommen und ich wusste nicht genau warum. Das war der Punkt, an dem für mich klar war, dass das Streben nach ganz oben nun beendet ist. Dann kam noch meine Freundin ins Spiel und seitdem habe ich nur noch in meiner Heimat gekickt.
SPOX: Wie sind Gegenspieler und Zuschauer mit Ihnen umgegangen?
Sahin: Jeder wusste natürlich, dass ich Nuris Bruder bin. Da hat es schon mal ein paar Sprüche gehagelt. Ich war aber auch kein braver oder netter Spieler. Geliebt wurde ich nicht. (lacht) Das war allerdings alles im Rahmen und in Ordnung. Ich bin ein lockerer Typ und habe mir da eher einen Spaß daraus gemacht.
Nuri Sahin: Die Stationen seiner Karriere
Jahre | Verein |
seit 2013 | Borussia Dortmund |
2012 - 2013 | FC Liverpool (Leihe) |
2011 - 2012 | Real Madrid |
2008 - 2011 | Borussia Dortmund |
2007 - 2008 | Feyenoord Rotterdam (Leihe) |
2005 - 2007 | Borussia Dortmund |
SPOX: Ihr Bruder wechselte bereits mit zwölf Jahren in die Jugendabteilung des BVB. Haben Sie einmal gegen ihn gespielt?
Sahin: Ein einziges Mal. Ich kickte bei den Sportfreunden Oestrich-Iserlohn in der Westfalenliga, in der auch die B2-Jugend von Borussia spielte. Nuri wurde damals von der C- in die B2-Jugend hochgezogen. Wir haben 5:3 gewonnen. Das weiß ich noch genau, denn das war in unserer Meistersaison, nach der wir in die B-Jugend-Bundesliga aufgestiegen sind.
SPOX: Sie sind zweieinhalb Jahre älter als Nuri. Wie oft haben Sie in Meinerzhagen in einem Team gespielt, weil er hochgezogen wurde?
Sahin: Sechs Mal, nämlich in der C-Jugend. Nuri stieß aus der D-Jugend für die Aufstiegsspiele zu uns. Ich war Kapitän und Nuri hat auf der Zehn direkt hinter mir gespielt. Durch unsere jahrelange Zeit auf dem Bolzplatz nahe unseres Elternhauses waren wir natürlich sehr gut aufeinander abgestimmt. Er hat mir viele Tore aufgelegt - ein echtes Traumduo eben. (lacht) Um in die Westfalenliga aufzusteigen, mussten wir das letzte Spiel unbedingt gewinnen. Kurz vor Schluss stand es noch 0:0. Und dann hat Nuri mal schnell einen Freistoß aus 30 Minuten zum Sieg verwandelt.
SPOX: Der Bolzplatz beim Elternhaus - wie hat damals alles begonnen?
Sahin: Ich kann mich kaum erinnern, dass wir von klein auf jemals etwas anderes als Fußball gespielt hätten. Ob in unseren Zimmer, in der Küche oder selbst im Wohnzimmer um die Eltern herum. Mein Opa war derjenige, der mich mit fünf Jahren bei den Bambinis des RSV angemeldet hat. Er hat mich auch überall hingefahren.
SPOX: Und eines Tages hat dann der Opa gesagt, dass Ihr Bruder mal mitkommen soll?
Sahin: Genau, dabei war Nuri noch nicht mal im Bambini-Alter. Er hat dann einfach am Spielfeldrand vor sich hin gekickt. Mein Trainer meinte anschließend: Ufuk, dein Bruder ist ja richtig gut! Kurz darauf spielte auch Nuri beim RSV, da war ich aber schon in der F-Jugend. Er hat damals alles in Grund und Boden geschossen und erzielte als Stürmer 80 bis 100 Tore in einer Saison. Er kam nach den Spielen immer nach Hause und erzählte dann: Heute habe ich acht Tore geschossen! Am nächsten Wochenende waren es dann fünf, dann wieder sieben. So ging das los.
SPOX: Nuri hat einmal gesagt: "Mein Bruder ist eigentlich der talentiertere Fußballer." Was sagen Sie?
Sahin: Eine vollkommen korrekte Aussage! (lacht) Das haben wir früher schon so gesagt, daher denke ich, dass da schon etwas dran ist. Ab der B-Jugend hat sich das dann extrem verändert. Da war Nuri ein Jahr beim BVB und ich hatte ich keine Chance mehr gegen ihn. Die Ausbildung in Dortmund hat ihn sehr weit nach vorne gebracht, er hat in taktischer und läuferischer Hinsicht riesige Sprünge gemacht. Sein Talent hat sich letztlich verdientermaßen durchgesetzt.
SPOX: Wie erging es Ihnen, als Ihr Bruder nach Dortmund in ein winziges Zimmer ins Jugendheim zog?
Sahin: Schön war es nicht. Wir waren jahrelang tagtäglich zusammen und auf einmal war er weg. Er hat mir und seinen Freunden damals schon ziemlich gefehlt. Wenn er mal kein Spiel hatte, war er ab und an am Wochenende da oder wir haben ihm dort zugeschaut. Nuri war eben als Kind schon sehr ehrgeizig. Unsere Familie wusste ganz genau: Wenn er diesen Weg gehen will, dann geht er ihn auch. Daher hat sich auch niemand Sorgen gemacht, dass er es selbst in dieser Anfangszeit beim BVB nicht packen würde.
SPOX: Im August 2005 wurde er mit 16 Jahren und 335 Tagen zum jüngste Bundesligaspieler aller Zeiten. Thomas Doll setzte anschließend aber nicht auf ihn. Der Hype, der um ihn entstanden war, ebbte merklich ab. Wie haben Sie das damals erlebt?
Sahin: Ich war von ihm immer überzeugt, denn sein Talent stand ja außer Frage. Jeder Fußballer fällt einmal in ein Loch. Nuri war nur sehr jung, so dass es bei ihm sozusagen früher kam. Natürlich hat er sich zu dieser Zeit die Frage gestellt, woher das jetzt kommt und wie er nun genau vorgehen soll, um wieder in Form zu kommen. Als er zu Feyenoord Rotterdam ausgeliehen wurde, haben viele gesagt, dass er in Dortmund keine Zukunft mehr haben würde. Natürlich hätte es auch sein können, dass die ganze Sache nach hinten losgeht. Das Risiko dieses Wechsels war uns schon bewusst.
SPOX: Bei Feyenoord traf er immerhin auf Bert van Marwijk, der ihn in Dortmund stark gefördert hat.
Sahin: Das stimmt, van Marwijk war wie ein Vater für ihn. Er hat Nuri enorm unterstützt. Die Zeit in Holland war trotzdem nicht einfach. Wir haben Feyenoord auch nur als Zwischenstopp gesehen. Das Ziel war immer, in Dortmund echter Bestandteil der Profimannschaft zu werden. Nichts anderes hat gezählt, denn Nuri hing sehr am BVB. Es war daher von Anfang an klar, dass er zurückkommen würde und es dann allen zeigen will. Deshalb kamen auch die Angebote von Arsenal und den ganzen großen Klubs, die er in jungen Jahren erhielt, nie in Frage. Zum Glück hat es letztlich geklappt, dass er sich diesen Traum erfüllt.