Der 1. Oktober des vergangenen Jahres ist für Achraf Hakimi "ein Tag, den ich nie wieder vergessen werde." Eigentlich war Daniel Carvajal fest eingeplant für das Spiel am Sonntagabend gegen Espanyol Barcelona, doch der Rechtsverteidiger plagte sich seit Tagen mit einer Viruserkrankung herum. Die Ärzte rieten Zinedine Zidane dringend von einem Einsatz ab. Die Gefahr, dass sich Carvajal eine Herzmuskelentzündung in der Folge der Erkrankung zuziehen könnte, war schlichtweg zu groß.
"Der Trainer hat mich gestern angerufen und mir gesagt, dass ich heute spielen werde", sagte Hakimi anschließend über sein unverhofftes Pflichtspieldebüt beim "größten Klub der Welt". Plötzlich hieß es für den in Spanien geborenen Marokkaner, der seit seinem achten Lebensjahr für die Königlichen spielt, Primera Division statt Segunda Division B, Estadio Santiago Bernabeu statt Estadio Alfredo Di Stefano. Dort kickte er normalerweise mit der zweiten Garde der Königlichen gegen Gegner wie Burgos, Fuenlabrada oder Coruxo.
Achraf Hakimi bei Real Madrid: Zwischen Bernabeu und Di Stefano
Doch so ganz ohne Vorwarnung kam das erste Pflichtspiel für den damals noch 18-Jährigen dann doch nicht. Nachdem er bereits die Nordamerika-Tour der Königlichen im Sommer mit den Profis absolviert hatte und gegen namhafte Testspielgegner wie Paris Saint-Germain auf dem Platz stand, wurde er vor seinem persönlichen "Tag für die Ewigkeit" schon dreimal in den Profikader berufen, blieb aber ohne Einsatz.
Dass er überhaupt so schnell ins Profiteam der Königlichen gerutscht war, hatte Hakimi indirekt Danilo zu verdanken. Der brasilianischen Nationalspieler hatte es satt, hinter dem gesetzten Carvajal nur die zweite Geige auf der rechten Seite zu spielen und einen Wechsel zu Manchester City forciert. Hakimi, der eigentlich im Sommer auf Leihbasis zu Deportivo Alaves wechseln sollte, um Spielpraxis in La Liga zu sammeln, blieb und nahm Danilos Platz als Carvajal-Backup im Team von Zidane ein.
Hakimi überzeugte auf Anhieb und pendelte in der Folge immer wieder zwischen der zweiten Mannschaft und den Profis hin und her, gab gegen die Spurs sogar sein Champions-League-Debüt und erzielte im Dezember gegen den FC Sevilla sein erstes Pflichtspieltor für die Königlichen. Den unangefochtenen Posten als Carvajal-Vertreter Nummer eins hatte er indes nicht.
Zidane setzte im weiteren Saisonverlauf eher auf den polyvalenten Nacho Fernandez und brachte Hakimi nur unregelmäßig. Zwar kam Hakimi insgesamt auf 17 Pflichtspiele für Real in der abgelaufenen Spielzeit, doch angesichts der großen Konkurrenz und der Verpflichtung von Alvaro Odriozola stellte sich für Hakimi nach der Saison die Zukunftsfrage. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht", sagte der Rechtsverteidiger nach dem Ausscheiden Marokkos bei der WM und kündigte an, nach seinem Urlaub mit Trainer Julen Lopetegui sprechen zu wollen.
Zuvor kamen bereits Gerüchte über einen Wechsel Hakimis auf. Ein langfristiger Abschied stand jedoch nie zur Debatte, wie Hakimis Berater Alejandro Camano erst vor kurzem verdeutlichte: "Real will ihn nicht verkaufen, höchstens für ein paar Jahre ausleihen."
BVB holt Achraf Hakimi: Die Piszczek-Problematik
Die Aussagen Camanos waren ein Fingerzeig und eine Reaktion auf ein Statement aus der Bundesliga. Dort hatte BVB-Sportdirektor Michael Zorc gegenüber dem kicker die Sinnhaftigkeit einer Hakimi-Verpflichtung verdeutlicht und damit indirekt einen tiefergehenden Kontakt zwischen beiden Klubs in der Personalie Hakimi bestätigt. Der Handlungsbedarf des BVB auf der rechten Seite ist nicht erst seit dieser Saison immens.
Dort schleppt sich Lukasz Piszczek seit Jahren mehr schlecht als recht durch die Spielzeiten und fällt immer wieder für mehrere Wochen aus. 19 Pflichtspiele verpasste der polnische Nationalspieler in der vergangenen Saison verletzungsbedingt. Der BVB kalkulierte Piszczeks Verletzungsanfälligkeit in der Kaderplanung bereits im vergangenen Jahr ein und verpflichtete Jeremy Toljan von der TSG 1899 Hoffenheim.
Dieser entwickelte sich jedoch nicht zu der verlässlichen Piszczek-Alternative, die sich die Dortmunder vom U21-Europameister versprochen hatten. Toljan fiel in der Rückwärtsbewegung und im Zweikampfverhalten immer wieder mit Unzulänglichkeiten auf, die Fragen nach seiner Qualität als designierter Piszczek-Nachfolger nach sich zogen. Ein Wechsel noch in diesem Sommer ist angesichts der Hakimi-Verpflichtung mehr als wahrscheinlich. Piszczek hatte hingegen aller Verletzungen und deutlichen Leistungsschwankungen zum Trotz den Status des Unersetzbaren in der Dortmunder Viererkette.
Die Verpflichtung von Hakimi auf Leihbasis soll diese Problematik nun kostengünstig beseitigen oder besser gesagt aufschieben. Denn eine langfristige Lösung ist dessen Ankunft in Dortmund nicht. Auf maximal zwei Jahre soll das Leihgeschäft zwischen Real Madrid und dem BVB ausgelegt sein. Dass der BVB tatsächlich Chancen auf eine feste Verpflichtung hat, gilt als "eher unwahrscheinlich", wie REAL TOTAL gegenüber SPOX bestätigte.
Hakimi-Wechsel zum BVB: Erinnerungen an Daniel Carvajal
Nichts deute auf einen langfristigen Verbleib Hakimis beim BVB hin, weil er einerseits in Madrid geboren ist, dort auch noch Familie habe und Real sich andererseits bei Leihgeschäften mit talentierten Nachwuchskräften alle Optionen offen hält. So erinnert der Transfer eher an den Deal, den Bayer Leverkusen vor Jahren mit den Königlichen und Daniel Carvajal schlossen.
Diesen hatten sich die Leverkusener für rund fünf Millionen Euro im Juli 2012 aus der zweiten Mannschaft der Madrilenen geholt. Carvajal spielte eine herausragende Saison, machte sich bei Bayer 04 unverzichtbar und wurde dank einer Rückkaufoption für 6,5 Millionen Euro zurück zu den Königlichen transferiert.
Ähnliches könnte auch Hakimi schaffen, dem als gelernter Flügelspieler mit seinem hohen Tempo besonders offensive Qualitäten zugesprochen werden. Diesen Eindruck bestätigte Hakimi mit 17 Torbeteiligungen (Real Madrid, Real Madrid Castilla, Real Madrid U19) in der vergangenen Saison. Allerdings hat er nach Angaben von REAL TOTAL auch Probleme im Stellungsspiel.
Hakimis Leistungsdaten bei Real Madrid 2017/18
Mannschaft | Spiele | Tore | Torvorlagen |
Real Madrid | 17 | 2 | 1 |
Real Madrid Castilla | 28 | 1 | 8 |
Real Madrid U19 Youth League | 16 | 3 | 2 |
Oft seien seine Leistungen gut gewesen, aber man sehe auch immer noch "Licht und Schatten" in seinem Spiel. Der BVB wird sich darüber im Klaren sein, dass er in Hakimi keinen "fertigen", aber einen überaus talentierten Außenverteidiger bekommt, den es zu formen gilt. Gelingt das, könnte Hakimi der erste echte Konkurrent für Piszczek auf der rechten Seite werden und seinen Status als Unersetzbaren in Frage stellen.
Eine ernsthafte Wachablösung für den alternden Rechtsverteidiger ist er allerdings nicht, schließlich hat Hakimis Aufenthalt beim BVB ein sicheres Ablaufdatum. Sollte er tatsächlich einschlagen, drohen dem BVB in zwei Jahren hingegen erneut große Personalsorgen. Dann wäre Piszczek 35 Jahre alt und Hakimi wäre wieder zurück bei Real. Zwar macht die Verpflichtung "von der grundsätzlichen Überlegung her" Sinn, wie Zorc selbst sagte, doch sie birgt auch gewisse Gefahren für die langfristige Planung und Entwicklung des Kaders.