"Es war eine sehr schwierige Entscheidung, weil mich ein Klub mit einem sehr großen Namen wollte. Auf der anderen Seite gab es ein Angebot, das ich im Hinblick auf die Zukunft meiner Familie einfach nicht ausschlagen konnte." Kaum ein Zitat beschreibt den Zwiespalt, der sich wie ein roter Faden durch die Karriere von Axel Witsel zieht, treffender.
Bereits mehrfach versuchten internationale Top-Klubs wie Real Madrid oder Juventus Turin den heute 29 Jahre alten Mittelfeldspieler zu verpflichten. "Verschiedene Gründe", wie Witsel selbst erklärte, verhinderten jedoch einen Wechsel zu einem europäischen Spitzenklub. Ein Ziel, von dem Witsel immer geträumt habe und das er "eines Tages" erreichen wolle.
Allerdings schob Witsel jenes Ziel immer wieder auf die lange Bank. Zu verführerisch waren die Angebote aus Russland und China. Zu üppig war das Jahressalär, welches man ihm angeboten hatte. Nun aber scheint jener Tag, von dem Witsel in der Vergangenheit geträumt hatte, näher zu rücken.
Mit dem BVB und Paris Saint-Germain sollen gleich zwei europäische Spitzenvereine reges Interesse an einer Verpflichtung haben. Besonders die Schwarz-Gelben suchen trotz des unübersehbaren Überangebots im Mittelfeld offenbar händeringend einen echten Sechser, der das verkörpern soll, was dem BVB nach eigener Analyse spätestens seit dem Abgang von Sven Bender abhanden gekommen war.
Axel Witsel bei der WM 2018: Im Schatten der Drei
"Wir müssen wieder eine optimalere Mischung zwischen technisch hochwertigem Fußball und Siegermentalität hinbekommen", sagte BVB-Chef Hans-Joachim Watzke. Bei der WM 2018 in Russland stand Witsel in einer spielerisch hochklassigen belgischen Mannschaft für eben jene Balance aus spielerischer Klasse und "Drecksarbeit" im Mittelfeld.
Als einziger echter Defensiv-Akteur im ansonsten fast ausschließlich mit Offensivspielern bestückten Mittelfeld der Roten Teufel sollte er der Kreativzentrale um Eden Hazard und Kevin De Bruyne den Rücken freihalten. Witsel verrichtete seine Aufgaben im Schatten der drei großen Stars (Hazard, De Bruyne, Lukaku) und flog damit auf dem ersten Blick unter dem Radar.
Dennoch war er für Nationaltrainer Roberto Martinez ebenso unverzichtbar wie jene drei Spieler, die sinnbildlich für den größten Erfolg des belgischen Fußballverbandes bei einer Weltmeisterschaft stehen: Witsel stand in sechs der sieben WM-Spiele in der Startelf, hatte mit 94,2 Prozent eine überragende Passquote und gewann fast 60 Prozent seiner Zweikämpfe.
Auf der großen Bühne zeigte er, dass er als alleiniger Sechser in einem offensiven System auf höchstem Niveau agieren kann. Ein Umstand, der angesichts der jahrelangen Streifzüge von Witsel durch unterdurchschnittliche Ligen durchaus überraschte. Knapp fünf Jahre spielte er in der russischen Premier Liga. Seit 2017 ist er in der vielbelächelten Chinese Super League unterwegs, aus der es für Spieler aus Europa, die dem Lockruf des Geldes gefolgt waren, kaum einen Weg zurück gibt.
Witsels Leistungsdaten bei Lüttich, Zenit und Tianjin
Verein | Spiele | Tore | Torvorlagen |
Standard Lüttich | 194 | 45 | 18 |
Benfica Lissabon | 52 | 5 | 6 |
Zenit St. Petersburg | 180 | 22 | 14 |
Tianjin Quanjian | 47 | 6 | 3 |
Axel Witsel in der Chinese Super League: Auf den Spuren von Paulinho
Der Einzige, dem das bis dato gelang, ist Paulinho. Zwei Jahre verschwand der Brasilianer bei Guangzhou Evergrande, ehe er zum FC Barcelona wechselte und dort durchaus überzeugte.
Auch beim BVB hätte Witsel die Möglichkeiten, seine Karriere noch einmal neu anzukurbeln. Trainer Lucien Favre ließ beim OGC Nizza oftmals ein ähnliches System spielen wie es Roberto Martinez mit der belgischen Nationalmannschaft praktizierte. Favre setzte auf einen alleinigen Sechser in einem offensiv ausgerichteten 4-3-3.
Dass Witsel nach der überzeugenden WM in eine ähnliche Lage kommen könnte wie Paulinho, lässt sich kaum bestreiten. Dass ein Engagement beim BVB überhaupt sein erster Ausritt in eine der europäischen Top-Ligen wäre, ist hingegen teils dem verführerischen Geld der russischen Oligarchen und der chinesischen Investoren geschuldet, aber auch teilweise unglücklichen und kuriosen Umständen.
Axel Witsels kurioser Karriereweg: Zenit statt Real Madrid, Tianjin statt Juve
Bereits in seiner Zeit bei Benfica Lissabon stand Witsel bei Real Madrid auf dem Zettel. "Als ich bei Benfica war, hätte ich zu Real Madrid gehen können. Das hat aus verschiedenen Gründen nicht geklappt," sagte der Belgier später, klärte die Umstände unter denen der Wechsel geplatzt war, jedoch nie ganz auf.
Stattdessen zog es Witsel nach Russland zu Zenit St. Petersburg. Krestowski-Stadion statt Estadio Santiago Bernabeu. Nach vier Jahren im europäischen Mittelmaß und Enttäuschungen in der Champions League, wo immer spätestens im Achtelfinale Schluss war, forcierte Witsel seinen Abschied.
Zenit erteilte ihm sogar die Freigabe. Einzige Bedingung: Es musste bis zu seinem Abgang ein Ersatz gefunden werden. Zu diesem Zeitpunkt schien ein Wechsel zu Juventus Turin schon so gut wie perfekt. 13 Stunden wartete Witsel in einem Turiner Hotelzimmer auf die Vertragsunterzeichnung.
Vergeblich, wie sich im Nachhinein herausstellte. Zenit fand keinen Ersatz und so musste Witsel bleiben. Als Juve ein halbes Jahr später erneut anklopfte, stand Witsel vor eben jener "schwierigen Entscheidung", die er letztendlich "im Hinblick auf die Zukunft seiner Familie" traf. Geld statt Titel, lautete die Devise. 18 Millionen Dollar im Jahr soll Witsel bei Tianjin verdienen.
BVB-Kader: Situation im Mittelfeld
Spieler | Position |
Julian Weigl | Defensives Mittelfeld |
Nuri Sahin | Defensives Mittelfeld |
Sebastian Rode | Defensives Mittelfeld |
Dzenis Burnic | Zentrales Mittelfeld |
Thomas Delaney | Zentrales Mittelfeld |
Mahmoud Dahoud | Zentrales Mittelfeld |
Mario Götze | Offensives Mittelfeld |
Shinji Kagawa | Offensives Mittelfeld |
Sergio Gomez | Offensives Mittelfeld |
Axel Witsel: BVB und PSG interessiert
Jenes astronomische Gehalt ist wohl aktuell die größte Hürde im BVB-Poker um Witsel. Wie die belgische Tageszeitung Het Laatste Nieuws berichtet, haben die Schwarz-Gelben sogar ein offizielles Angebot in Höhe von 20 Millionen Euro für den 29-Jährigen abgegeben . Obwohl Witsel Tianjin um jeden Preis verlassen wolle, habe er sich noch Bedenkzeit erbeten.
Bis Anfang nächster Woche wolle er sich Gedanken machen. Denn obwohl die Gespräche mit dem BVB nach Angaben der Bild-Zeitung gut verlaufen, steht auch das Interesse von Paris Saint-Germain an Witsel nach wie vor im Raum.
Es würde dem roten Karriere-Faden Witsels entsprechen, sollte er sich für den wesentlich finanzstärkeren Klub aus Paris entscheiden. Dem Geruch des Geldes konnte Witsel in seiner Laufbahn schließlich noch nie gut widerstehen. Sollte sich Witsel allerdings auf den BVB einlassen, müsste dieser endlich das überladene Mittelfeld ausdünnen.
Ein Faktor könnte dabei Julian Weigl werden, der ebenfalls bei PSG Wunschkandidat von seinem Förderer Thomas Tuchel sein soll. In diesem Wirrwarr aus Spekulationen kristallisiert sich Stand jetzt nur eine Tatsache heraus: Witsel wird in der kommenden Saison seinen Traum verwirklichen und bei einem europäischen Spitzenklub spielen, sofern man den BVB dazuzählen mag.
Fraglich ist hingegen, ob er dafür sein ihm oftmals zugeschriebenes Söldner-Gewand ablegt.