"Wir brauchen einen Spieler mehr, der etwas böser guckt, bei dem du dir zweimal überlegst, ob du überhaupt auf ihn zulaufen sollst." Schon im Februar hatte Hans-Joachim Watzke eine genaue Vorstellung davon, welche "Nachjustierungen" der BVB-Kader im Sommer benötigen werde.
Das Problem, das Watzke ansprach, ist hausgemacht. Dessen war sich der BVB-Boss bewusst. "Sven Bender hätten wir niemals abgeben dürfen", äußerte Watzke selbstkritisch und attestierte dem Publikumsliebling von einst, ein "Granatenjunge" zu sein.
Dies sei auch Julian Weigl. "Ein großartiger Spieler auf der Sechserposition", der aber vielleicht auch noch ein bisschen böser gucken müsse, so Watzke. Schon damals stellte der 59-Jährige die Überlegung an, dem defensiven Mittelfeld einen grimmigeren Anstrich zu verpassen: "Vielleicht müssen wir aber noch einen dabeihaben, der auch mal einen wegsenst."
Erick Pulgar im Fokus des BVB: Babyface und Vidal-Vergleiche
Schaut man Erick Pulgar ins Gesicht, liegt der Gedanke fern, dass der 24-Jährige einer ist, der seine Gegner mit einem bösen Blick einschüchtern könnte. "Cara de nino", würden sie ihn in seinem Heimatland Chile nennen, was so viel wie "Babyface" bedeutet. Dass niemand auf die Idee kommt, Pulgar so zu bezeichnen, liegt in erster Linie daran, dass man ihn schon seit drei Jahren mit Arturo Vidal vergleicht. Dieser trägt bekanntermaßen den Beinamen "El Guerrero", Babyface-Vergleiche verbieten sich daher.
Die Parallelen mit dem Krieger sind durchaus offensichtlich. Das liegt nicht nur daran, dass Pulgar seinen Körper ähnlich wie Vidal und das Gros der chilenischen Fußballer mit Tattoos bis hoch zum Hals gepflastert hat. Als Pulgar mit 17 Jahren bei seinem Heimatklub Deportes Antofagasta in der 2. chilenischen Liga zum Profidebüt kam, galt er - ebenso wie Vidal in seiner Anfangszeit - noch als physisch starker Innenverteidiger.
Das änderte sich erst, als sich Mario Salas vier Jahre später seiner annahm. Der damalige Trainer von CD Universidad Catolica, dem großen Rivalen von Vidals Ausbildungsverein Colo-Colo, schulte Pulgar nach dessen Wechsel zum Sechser um und förderte zunehmend seine Qualitäten in der Offensive.
"Ich fühle mich wohl mit dieser Idee", sagte Pulgar damals über seine neue Rolle und bestätigte Salas in der Annahme, dass er mehr Spielgestalter als Innenverteidiger sei. In 15 Spielen unter dem neuen Trainer der Cruzados traf Pulgar fünf Mal und bereitet zwei Treffer vor. Sein Förderer attestierte ihm Qualitäten, "die bei anderen Spielern nur schwer zu finden" seien und hob insbesondere die aggressive Arbeit gegen den Ball sowie seine Fähigkeiten in der Spieleröffnung hervor.
BVB-Wunschspieler Erick Pulgar beim FC Bologna: Idol auf Abwegen
Bei Catolica sahen viele in ihm das neue Gesicht des Vereins. Ein Idol, zu dem gerade die jungen Fans der Cruzados aufschauen konnten. Pulgar, dem in Chile nachgesagt wird, kein Lautsprecher und zurückhaltend, ja fast schon schüchtern zu sein, wurde daher immer öfter vor die Kamera gezerrt, um Interviews zu geben.
Der Trubel um seine Person rief die ersten Interessenten aus Europa auf den Plan. Für Gustavo Huerta, der Pulgar in seinen Anfängen bei Deportes Antofagasta als Trainer begleitete, kam das nicht überraschend: "Er hat das Profil, um dort erfolgreich zu sein. Er ist schnell, hat ein gutes Kopfballspiel, spielt gute Pässe und ist polyvalent."
Aufsteiger Bologna war einer der ersten Klubs, dem die Qualitäten von Pulgar ins Auge sprangen. Für rund 2,3 Millionen Euro folgte der 1,87 Meter große Mittelfeldspieler im Sommer 2015 dem Ruf der Serie A. Kritiker des Transfers monierten, Pulgar habe noch nicht die körperlichen Voraussetzungen, um in der fordernden italienischen Liga zu bestehen.
Sein Spitzname "Flaco" (zu Deutsch: dünn) schien für Pulgar die größte Hypothek vor dem Wechsel zu sein. Auch die Tatsache, dass er binnen zwei Spielzeiten in Chile 21 Gelben Karten sammelte, wurde Pulgar nicht unbedingt als positive Eigenschaft zugeschrieben.
Pulgars Rolle beim FC Bologna: Flaco schwingt den Taktstock
Tatsächlich tat sich Pulgar in seiner ersten Saison bei Bologna schwer, was auch mit der Entlassung von Trainer Delio Rossi zusammenhing. Während Rossi gleich zu Beginn auf "Flaco" setzte und ihn in fünf der ersten sieben Saisonspiele von Beginn an brachte, verzichtete dessen Nachfolger Roberto Donadoni ab Ende Oktober fast gänzlich auf den Chilenen.
Unter Donadoni kam Pulgar nur noch sechs Mal zum Einsatz. Die Kritiker sahen sich am Ende der Saison 2015/16 bestätigt. Die Verantwortlichen räumten dem damals 21-Jährigen aber Zeit ein, sich zu entwickeln und an sich zu arbeiten.
Zwei Jahre später hat sich Pulgar zum unumstrittenen Stammspieler und Taktgeber in Donadonis 4-3-3 gemausert. "Erick hat sich unglaublich weiterentwickelt", so Donadoni, der Pulgar als "zentrale Achse" in seinem Spiel bezeichnete: "Er wird immer wichtiger für mein Team und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen."
Donadoni wurde mittlerweile entlassen, doch die Entwicklung von Pulgar hatte sich nun herumgesprochen.
Erick Pulgar: Leistungsdaten beim FC Bologna in der Serie A
Saison | Spiele | Tore | Torvorlagen | Gelbe Karten | Platzverweise |
2017/18 | 33 | 3 | - | 9 | - |
2016/17 | 27 | 1 | 1 | 5 | 2 |
2015/16 | 13 | - | - | 2 | - |
BVB vor Verpflichtung von Erick Pulgar: Polyvalente Drecksack-Komponente
So zum Beispiel auch in Dortmund. Dort soll Lucien Favre den BVB-Verantwortlichen Pulgar als Wunschtransfer genannt haben, wie kürzlich der Sportbuzzer berichtete. Gut möglich, dass Watzke angesichts des Überangebots im zentralen Mittelfeld zunächst einmal etwas überrascht geschaut haben könnte. Vielleicht hat er sich aber auch ein Stück weit an seine Aussagen aus dem Februar erinnert gefühlt.
Denn Pulgar bringt eben jene Qualitäten mit, die Watzke beim BVB vermisst hatte. Das werden nicht zwingend die 16 Gelben und zwei Roten Karten bei Bologna gewesen sein, sondern eher Pulgars Qualitäten im Spielaufbau und Kopfballspiel. Für Favre, der beim OGC Nizza überwiegend das für Pulgar bekannte 4-3-3 spielen ließ, wäre er daher als alleiniger Sechser ein ideales Pendel zwischen Defensive und Offensive. Ein Hybrid aus Julian Weigl und Sven Bender sozusagen.
Von beiden hatte Watzke in der Vergangenheit geschwärmt, ließ aber auch anklingen, dass dem einen jeweils ein Stück der Qualitäten des anderen guttun würde. Überhaupt stellt sich die Frage, ob der BVB tatsächlich so breit und gut auf der Sechserposition besetzt ist, wie es den Anschein hat.
BVB-Kader: Die Situation im Mittelfeld
Spieler | Position |
Julian Weigl | Defensives Mittelfeld |
Nuri Sahin | Defensives Mittelfeld |
Sebastian Rode | Defensives Mittelfeld |
Dzenis Burnic | Zentrales Mittelfeld |
Thomas Delaney | Zentrales Mittelfeld |
Mahmoud Dahoud | Zentrales Mittelfeld |
Mario Götze | Offensives Mittelfeld |
Shinji Kagawa | Offensives Mittelfeld |
Sergio Gomez | Offensives Mittelfeld |
Während Thomas Delaney, Mario Götze und Mahmoud Dahoud eher im zentralen oder offensiven Mittelfeld zu Hause sind, gelten die nominellen Sechser Nuri Sahin und der verletzungsanfällige Sebastian Rode schon länger als Streichkandidaten. Weigl (Adduktoren-Reizung) droht hingegen noch für längere Zeit auszufallen und ist ohnehin nach einem sehr guten Jahr unter Thomas Tuchel den Beweis konstanter Leistungen schuldig geblieben.
Pulgar entspräche mit seiner Aggressivität in den Zweikämpfen und der Disziplin in der Rückwärtsbewegung sowohl Watzkes als auch Favres Vorstellungen. Zumal Favre, der auch in Nizza immer wieder sein Spielsystem wechselte, polyvalente Spieler wie Pulgar schätzt.
Dass ein Wechsel zustande kommt, ist nicht unwahrscheinlich. Bologna hat auf Pulgars Parade-Position gerade den Schweden Mattias Svanberg für 4,5 Millionen Euro verpflichtet. Dortmund muss allerdings erst noch versuchen, seinen Kader auszudünnen - und das scheint schwieriger als eine Verpflichtung Pulgars.