Borussia Dortmund sucht nach dem Abgang von Pierre-Emerick Aubameyang nach einem Stürmer. Ginge es nach der Anzahl an Gerüchten, müsste der ohnehin noch zu üppige Kader des BVB mittlerweile regelrecht explodieren. Intern sorgen die kursierenden Namen daher durchaus für Erheiterung. "Wir machen uns ja inzwischen selbst den Spaß und zählen mit", sagte Sportdirektor Michael Zorc.
Fakt ist allerdings: Auch dreieinhalb Wochen vor Schließung des Transferfenster haben die Schwarzgelben noch keinen Aubameyang-Nachfolger präsentiert. Der aktuelle Kader befindet sich mit dem neuen Trainer Lucien Favre inmitten der heißen Phase der Saisonvorbereitung und da wäre es im Idealfall schon nicht verkehrt gewesen, den Ernstfall gemeinsam mit einem neuen Mittelstürmer zu proben.
Bereits vor der WM in Russland berichtete Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke von einem überhitzten Markt und Zorc fügte hinzu, dass "gerade die Position des echten Mittelstürmers derzeit im europäischen Spitzenfußball am schwierigsten neu zu besetzen" sei. Man kann es daher bemerkenswert konsequent nennen, dass die Dortmunder weiterhin nicht dazu neigen, "verrückte Sachen" (Zorc) mitzumachen.
BVB ohne Stürmer Nummer eins: Ein Novum
Man kann jedoch auch kritisch einwenden, dass sich der BVB nicht erst seit ein paar Wochen auf Stürmersuche befindet. Dass Aubameyang in diesem Sommer nicht mehr Bestandteil des Kaders sein wird, verdichtete sich nämlich spätestens zum selben Zeitpunkt des Vorjahres. Es ist den Bossen seit mindestens einem Jahr bewusst, dass man auf dieser Position nachzulegen hat.
Dass damit auch voraussichtlich ein hoher finanzieller Kraftakt verbunden ist, ist daher keine exklusive Erkenntnis dieses Sommers und klingt für manche Beobachter etwas dürftig, zumal sich Watzke schon 2013 in einem Interview mit der Funke Mediengruppe über einen Markt beschwerte, auf dem die Preise außer Kontrolle geraten sind.
Es ist schlicht ein Novum in der jüngeren Vereinsgeschichte, dass derzeit kein treffsicherer Angreifer Nummer eins im Kader zu finden ist. Auf die Tore von Lucas Barrios, Robert Lewandowski und eben Aubameyang konnte sich der BVB jahrelang verlassen, häufig lebte er besonders von deren konstanten Scorer-Werten.
Barrios, Lewandowski, Aubameyang: Die BVB-Torquoten der Ex-Stürmer
Spieler | Zeitraum | Pflichtspiele | Tore | Vorlagen |
Lucas Barrios | 2009-2012 | 102 | 49 | 17 |
Robert Lewandowski | 2010-2014 | 187 | 103 | 42 |
Pierre-Emerick Aubameyang | 2013-01/2018 | 213 | 141 | 36 |
Einziger Stürmer Alexander Isak chancenlos
Angesichts der momentanen Lage brachte Zorc deshalb einen Plan B ins Spiel. Dies tat er womöglich auch, um das nach einem Aubameyang-Nachfolger gierende Umfeld etwas zu beruhigen und zugleich zu suggerieren, dass man dennoch nach Plan handelt.
Plan B sähe vor, den neuen Neuner aus dem eigenen Kader zu rekrutieren. Der einzige echte verbliebene Stürmer Alexander Isak wird das jedoch augenscheinlich nicht sein. Der Schwede, der in sechs Wochen seinen 19. Geburtstag feiert, ist nun seit eineinhalb Jahren in Dortmund und hat bereits beim vierten Trainer in Folge einen schweren Stand. Auch Favre scheint nicht auf ihn zu setzen, beim Testspiel gegen Rennes (1:1) stand Isak gar nicht erst im Kader.
Er ist daher wie beispielsweise Dzenis Burnic ein Kandidat für eine Leihe. Isak braucht dringend Rhythmus und Spielpraxis. Der Beweis, dass er dies in Dortmund nicht bekommt, sollte nun hinlänglich erbracht sein.
Hilft Favres Spielidee über den Stürmer-Engpass hinweg?
Die Hoffnung besteht somit vor allem darin, dass sich über Favres Spielidee und Systematik eine Lösung für die Zentrale herausbildet. Im Sinne Zorcs testet der Schweizer mit Maximilian Philipp, der trotz langer Verletzung im Vorjahr auf beachtliche elf Torbeteiligungen (9 Tore, 2 Assists) in 20 Bundesligapartien kam.
15 bis 18 Treffer traut Zorc dem ehemaligen Freiburger zu. Und dieser hockte sich am Samstag in den Garten des Dortmunder Mannschaftshotels in Bad Ragaz, um überraschend selbstbewusst zu verkünden: "Ich muss ihm Recht geben: Ich glaube, ich kann das schaffen."
Auch der neue Kapitän Marco Reus rochierte im bislang von Favre favorisierten 4-3-3 schon in die Sturmspitze, in der ohne neuen Stürmer womöglich gerade die Flexibilität der zahlreichen Offensivspieler Trumpf werden könnte. Favre bewies schließlich bereits in seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach, dass er einen zentralen Stürmer nicht zwingend benötigt. Dort konnte er sich allerdings auf den enorm spielintelligenten Raffael verlassen, dessen Spielertypus weder Reus noch Philipp verkörpern.
Schwierige Verhandlungsposition für den BVB
In zwei Wochen wird für Dortmund die Pflichtspielsaison starten, keine zwei Wochen später schließt das Transferfenster. Viel Zeit hat der BVB nicht mehr. Dazu passt: Watzke ließ bereits rund um den Trainingsauftakt verlauten, dass es auch zwei Transferperioden dauern könnte, bis sich der postulierte Neuanfang im Kader der Westfalen abbildet.
Darüber hinaus ist die Verhandlungsposition des BVB keinesfalls eine leichte: Jeder Verein weiß, dass die Dortmunder finanziell auf Rosen gebettet sind, einen Stürmer suchen und unter Zeitdruck geraten sind. Die Schwierigkeit dabei: Die Borussia schaut sich mittlerweile nicht mehr zwingend im selben Regal um wie noch vor Jahren in den Fällen Barrios, Lewandowski oder Aubameyang, sondern tendenziell eine Etage höher.
Dort trifft man aber auf zahlreiche konkurrierende Klubs, bei denen die Faktoren sportliche Attraktivität und wirtschaftliche Strahlkraft mindestens denselben Reiz auf potentielle Kandidaten ausüben wie beim BVB.
Ohne neuen Stürmer ginge der BVB ein Wagnis ein
"Die Jungs, die wir vor ein paar Jahren noch für fünf Millionen gekauft haben, kosten jetzt 25 Millionen", erläuterte Zorc. "Diese Entwicklung auf dem Transfermarkt ist nicht unbedingt gesund. Wir haben bei Verkäufen teilweise profitiert davon, aber es macht die aktuelle Phase für uns nicht einfacher."
Mit den drei genannten Ex-Stürmern haben Zorc und die Dortmunder in den Vorjahren alles andere als verkehrt gelegen und sich daher in der Öffentlichkeit eine Art Vertrauensvorschuss erarbeitet. Käme bis zum 31. August allerdings tatsächlich kein neuer Torjäger mehr, ginge der BVB zweifelsfrei ein unübliches Wagnis ein.
Man wird weiter abwarten müssen, wie Favre mit seiner Mannschaft darauf strategisch zu reagieren gedenke - und auch, ob sich der nicht gerade für seine konsequente Entscheidungsfindung bekannte Schweizer fürs Erste damit zufrieden gibt.