Thilo Kehrers Wechsel von Schalke 04 zu PSG: Ein Transfer ohne Verlierer?

Stefan Petri
14. August 201818:19
Thilo Kehrer verlässt den FC Schalke 04 und wechselt zu Paris St.-Germain.getty
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Thilo Kehrer verlässt den FC Schalke 04 und schließt sich Paris St.-Germain an. Damit kehrt das nächste Eigengewächs Königsblau den Rücken. Dennoch ist der Verkauf für Christian Heidel und Co. die richtige Entscheidung. Und für Kehrer die Möglichkeit, unter Thomas Tuchel in Paris den nächsten Schritt zu machen.

Vor drei Jahren hätte Thilo Kehrer Schalke 04 schon einmal beinahe verlassen. In Eigenregie schwänzte der damals 18-Jährige die Saisonvorbereitung, während Berater Roger Wittmann mit Inter und dem AS Rom verhandelte. Aus dem Wechsel wurde nichts, das Talent kehrte zerknirscht nach Gelsenkirchen zurück - und musste ganz unten anfangen.

Mit Erfolg: Über die U23 ging es zurück zu den Profis, dann in die Start- und schließlich in die Stammelf. 27 Mal spielte Kehrer in der vergangenen Saison von Beginn an Bundesliga und mauserte sich zu einem vielversprechenden Abwehrtalent. Und zum Schalker Hoffnungsträger der Zukunft. Ein neuer, langfristiger Vertrag war schon fast unterschrieben.

Jetzt unterschreibt Thilo Kehrer stattdessen in der französischen Hauptstadt. 37 Millionen Euro soll Schalke für den Wechsel kassieren, was Kehrer auf einen Schlag zum teuersten deutschen Abwehrspieler überhaupt macht. "Die wirtschaftliche Dimension, sprich die Ablösesumme für einen Spieler, dessen Vertrag bei uns im nächsten Jahr ausgelaufen wäre, haben uns dazu bewegt, diesen Wechsel zu befürworten", erklärte Manager Christian Heidel.

Ein Wechsel aus heiterem Himmel, der die Schalker Fangemeinde kalt erwischte. Dann stellte sich heraus, dass im Geheimen schon mehrere Wochen verhandelt worden war. Da war das PSG-Angebot jedoch noch zu niedrig. Erst als sich auch der FC Barcelona in die Verhandlungen einschaltete, besserte Paris nach und rückte nah an die geforderten 40 Millionen Euro heran. Trotz nur noch einem Jahr Vertrag.

Thilo Kehrers Wechsel zu PSG: Für Schalke 04 alternativlos

Für Schalke war ein solches Angebot am Ende alternativlos, auch wenn man Kehrer gern gehalten hätte - und im Gegensatz zu den abgewanderten Eigengewächsen Leon Goretzka und Max Meyer auch hätte halten können, wenn es nach Heidel geht: Man sei sich mit Kehrer schon einig gewesen, ohne die hereingeflatterte PSG-Offerte "hätte Thilo ganz sicher verlängert".

Doch bei einer solchen Summe kann auch ein Klub wie Schalke nicht ohne Weiteres absagen. Schließlich hatte man mit dem für sieben Millionen Euro äußerst günstigen Salif Sane bereits einen potenziellen Leistungsträger für die Dreierkette von Domenico Tedesco verpflichtet.

Zudem bestand ein Restrisiko: Unterschrieben war mit Kehrer schließlich noch nichts, auch wenn eine "grundsätzliche Einigung" erzielt worden sei. Hätte diese keinen Bestand gehabt, wäre der Klub wie schon bei Goretzka und Meyer ohne Verlängerung ins letzte Vertragsjahr gegangen. Der nächste ablösefreie Wechsel hätte also zumindest theoretisch gedroht.

Abgänge von Max Meyer und Thilo Kehrer: Schalke löst sich von Berater Roger Wittmann

Schließlich wird Kehrer, wie auch Meyer, dessen Abgang in Richtung Crystal Palace zu einer wahren Schlammschlacht über die Medien ausgeartet war, von Rogon beraten, der einflussreichen Agentur von Wittmann. Dessen Verhältnis zu Heidel kann man getrost als angespannt bezeichnen. Mit Kehrer verlässt nun aber der letzte von Wittmanns Klienten das Trainingsgelände am Ernst-Kuzorra-Weg, vor einigen Jahren beriet der 58-Jährige noch über ein halbes Dutzend Schalker Profis.

Für Heidel bedeutet das eine Sorge weniger. Er muss nun entscheiden, ob und wie die Kehrer-Millionen reinvestiert werden. Nach Bekanntgabe des Wechsels sollen ihm prompt 50 Spieler angeboten worden sein, die besten Karten hat Medienberichten zufolge der Brasilianer Marlon vom FC Barcelona. Er würde rund 15 Millionen Euro kosten - wobei Heidel auch kein Problem damit hätte, das Geld erst einmal auf dem Vereinskonto ruhen zu lassen.

Problem für Schalke 04: Wo sind die Eigengewächse?

Neben den Transferbemühungen muss ihm schließlich auch die Tatsache Sorgen machen, dass die Eigengewächse im Profikader deutlich seltener geworden sind. Dabei geht es nicht nur um Identifikationsfiguren für die Fans, sondern auch um potenzielle Einnahmequellen: Transfers wie die von Kehrer, Julian Draxler, Mesut Özil oder Manuel Neuer brachten den Knappen in den letzten Jahren rund 150 Millionen Euro ein.

In diesem Sommer jedoch wurde kein einziger Spieler aus dem hochgelobten Nachwuchs mit einem Profivertrag ausgestattet. Dabei hat man mit Norbert Elgert seit Jahren den vielleicht besten Jugendtrainer Deutschlands unter Vertrag, im Sommer führte er sein Team zur Vizemeisterschaft. Elgert und Heidel müssen zusammen mit dem im April neu eingesetzten technischen Direktor Peter Knäbel dafür sorgen, dass wieder mehr Talente den Sprung zu den Profis schaffen.

Für Kehrer ist es derweil ein Sprung auf ein ganz neues Level. Der 1,86 Meter große und vielseitig einsetzbare Defensivmann muss sich nun in einem Kader gespickt mit Weltklassespielern durchsetzen - ein enormer Unterschied zu Schalke, wo er in der vergangenen Saison auch nicht immer fehlerlos agierte.

Thilo Kehrers Leistungsdaten in der Bundesliga
Saison2017/182016/17
Einsätze2816
Startelf2712
Tore31
Vorlagen01
Pässe pro 90 Minuten4547
Passquote83 Prozent82 Prozent
Ballaktionen pro 90 Minuten6173
Zweikampfquote61 Prozent55 Prozent
Luftzweikampfquote53 Prozent45 Prozent
Fehler vor Gegentoren10
Gelbe Karten43
Platzverweise01

Trotzdem bietet sich für Kehrer eine einmalige Chance: Dass PSG trotz des 2019 auslaufenden Vertrags grünes Licht für den Transfer gab zeigt, dass Thomas Tuchel ihn unbedingt wollte. Der Deutsche bringt in Paris ein neues Projekt ins Rollen und dafür könnte im Kader einiges auf links gedreht werden.

Spült das Kehrer vielleicht sogar trotz Superstars wie Marquinhos und Thiago Silva früh in die Startelf? Auf Schalke verteidigte der 21-Jährige im vergangenen Jahr in einer Dreierkette, womöglich spielt diese Formation auch in Tuchels Überlegungen eine Rolle. Dass der Trainer jungen Spielern eine Chance gibt, ist bekannt. Dass man unter ihm enorme Leistungssprünge machen kann, ebenfalls - man denke nur an Julian Weigl beim BVB, der ja zuletzt ebenfalls in Paris gehandelt wurde.

Thilo Kehrer bei PSG: Unter Thomas Tuchel früh zum Stammspieler?

Die Vielseitigkeit Kehrers ist dabei sein großes Plus: Tuchel könnte ihn als Innenverteidiger einsetzen, aber auch in einer Dreierkette oder sogar außen. Kapitän Silva hat mit fast 34 seinen Zenit überschritten. Alternativ könnte Kehrer auch zentral vor der Abwehr agieren, dort wird der gesetzte Adrien Rabiot, dessen Vertrag 2019 ausläuft, beim FC Liverpool gehandelt.

Die Ligue 1 wird Tuchel die Möglichkeit bieten, mit diversen Formationen zu experimentieren, um seine Wunschelf zu finden. Kehrer wird dabei die Chance bekommen, sein Potenzial auszuschöpfen - man denke auch an die Trainingseinheiten gegen einen Neymar oder Edinson Cavani.

Spielt sich Kehrer bei PSG mittelfristig in die Stammelf und gelingt es Schalke, seinen Abgang durch Sane und möglicherweise einen weiteren Neuzugang ohne Qualitätsverlust zu kompensieren, könnte es am Ende einer der wenigen Transfers sein, bei dem es nur Gewinner gibt.