Mit Blick auf die Nationalmannschaft scheint auch Joachim Löw zu registrieren, dass Sie sich stetig verbessern. Seit der WM standen Sie in fünf von sechs Spielen in der Startelf. Was hat sich in der Nationalelf seit Sommer verändert?
Ginter: Niemand in der Nationalmannschaft hat mit dem Abschneiden bei der Weltmeisterschaft gerechnet. Nach einem solchen Turnier verändern sich gewisse Muster. Neue Spieler kommen hinzu und einige Etablierte spielen nicht mehr so häufig wie früher. Trotzdem hat sich, was die Abläufe, das Training oder den Trainer betrifft, seit dem Sommer im DFB nichts Grundlegendes verändert. Wir wissen, welche Fehler wir gemacht haben. Die WM ist analysiert und aufgearbeitet. Auch wir Spieler nehmen wahr, dass momentan ein Umbruch eingeleitet wird. Auch wenn noch nicht alles rund läuft, bin ich guter Dinge, dass wir die Kurve kriegen.
Matthias Ginter über seine Rolle im DFB-Team
Sie gelten als eines der Gesichter dieses Umbruchs. Wie sehen Sie Ihre persönliche Situation im Nationalteam?
Ginter: Ich versuche alles mitzunehmen, was mir an Vertrauen und Spielzeit entgegengebracht wird. Das Vertrauen des Trainers versuche ich auf dem Platz bestmöglich mit Leistung zurückzuzahlen und will mich auch dort weiterentwickeln. Mit kleinen Unterbrechungen bin ich seit inzwischen fünf Jahren Nationalspieler und weiß, dass dies keineswegs selbstverständlich ist. Darüber bin ich sehr dankbar.
Sind Sie der Spieler, der am meisten vom schwachen Abschneiden in Russland profitiert?
Ginter: Das würde ich so nicht sagen. Fußball ist ein Mannschaftssport. Wir haben als Mannschaft enttäuscht und auch ich war Teil des Teams. Unabhängig davon, ob ich auf dem Platz stand oder nicht. Man gewinnt zusammen und man scheidet zusammen aus. Ich will mich in diesem Punkt nicht besser machen als meine Teamkollegen.
Sie sind der einzige Feldspieler in der Geschichte der Nationalmannschaft, der bei zwei Weltmeisterschaften dabei war, ohne eine Minute zu spielen. Würden Sie eine dritte WM-Teilnahme ohne Einsatzminute unterschreiben?
Ginter: Wenn wir den WM-Titel holen, ja. (lacht)
Aber es würde Sie schon wurmen?
Ginter: Mit 24 habe ich unter anderem schon an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen und durfte in der Nationalmannschaft unglaublich viele tolle Momente miterleben. Das ist alles andere als selbstverständlich, daher sollte man nicht immer das Haar in der Suppe suchen. Natürlich will jeder Fußballer auch auf dem Feld stehen, doch gerade bei der Nationalmannschaft muss man sein Ego hinten anstellen. Ich würde lieber auf der Bank sitzen und den Titel gewinnen, als zu spielen und im Viertelfinale auszuscheiden. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.
Bei der Borussia gibt es derzeit wieder Gerüchte um mögliche Abgänge von Leistungsträgern wie Thorgan Hazard. Müssen sich die Fans Sorgen machen, dass Hazard, Alassane Plea oder Sie den Verein nur als Durchgangsstation sehen?
Ginter: Ich finde nicht, dass die Borussia eine Durchgangsstation ist. Ganz im Gegenteil: Der Verein hat ungeheures Potenzial. Das Umfeld und die Fans sind überragend. Man sieht ja, dass unser Stadion immer voll ist und wir auch auswärts toll unterstützt werden. Auch die Struktur innerhalb des Kaders stimmt. Deshalb glaube ich, dass die Borussia im Gesamtpaket ein sehr reizvoller Klub ist. Wir spielen momentan guten Fußball und ich fühle mich hier sehr wohl.
Und wie sieht es bei Ihren Kollegen aus?
Ginter: Ich hoffe, dass wir als Mannschaft in dieser Form zusammenbleiben. Gerade mit Spielern wie Alassane oder Thorgan kann hier etwas entstehen. Trotzdem bin ich kein Fußballromantiker und weiß, dass es schwer ist, weit im Voraus zu planen.
Ginter über Mkhitaryan: "Hat alles auseinandergenommen"
Medial ist ein möglicher Transfer von Hazard inzwischen Dauerthema. Wie nehmen Sie diese Diskussion innerhalb der Mannschaft wahr?
Ginter: Natürlich spricht man auch in der Mannschaft ab und zu darüber. Aber diese Gerüchte haben keinen Einfluss auf unsere tägliche Arbeit oder unsere Spielweise. Thorgan weiß, was er an der Borussia hat. Er wird für sich am besten wissen, was für ihn am meisten Sinn macht.
Hat er sich denn bei Ihnen schon über Borussia Dortmund informiert?
Ginter: (lacht) Vielleicht tut er es noch, aber bisher haben wir noch nicht über den BVB gesprochen.
Ihr Vertrag in Mönchengladbach läuft noch bis 2021. Können Sie sich vorstellen, im Anschluss den Sprung ins Ausland zu wagen?
Ginter: So weit blicke ich nicht in die Zukunft. Ich versuche, meine Leistung zu bringen - alles andere wird sich ergeben. Ich mache mir darüber jetzt wirklich keine Gedanken. Alles andere wäre auch der Borussia gegenüber nicht richtig. Wichtig ist: Wir haben noch große Ziele und ich möchte dazu beitragen, diese auch zu erreichen.
Mit Blick auf Ihre komplette Laufbahn fällt auf, dass Sie sowohl in der Nationalmannschaft als auch im Verein schon mit einigen talentierten Spielern zusammengespielt haben. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Ginter: Was Henrikh Mkhitaryan 2015/16 beim BVB gespielt hat, war einfach unglaublich. Er hat in einer Saison wettbewerbsübergreifend 50 Scorerpunkte gesammelt und alles auseinandergenommen. Er hat sehr viel für die Mannschaft gearbeitet, Tore vorbereitet, Tore selbst erzielt und uns enorm geholfen, eine starke Saison zu spielen. Bei der Nationalmannschaft staune ich immer wieder über Toni Kroos. Er spielt seit Jahren auf höchstem Niveau und legt dabei eine beneidenswerte Ruhe an den Tag.
Wer war der stärkste Gegenspieler, den Sie je verteidigen mussten?
Ginter: Sergio Agüero. Nach der WM 2014 haben wir gegen Argentinien gespielt. Er ist flink, immer präsent und sehr schwer zu greifen. Agüero ist ein Wahnsinnsstürmer.