Manuel Baum im Interview: "Da sind wir Trainer teilweise auch selbst schuld"

Jochen Tittmar
13. Juni 201911:20
SPOXgetty
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Noch vor einigen Jahren arbeitete Manuel Baum als Lehrer, trainierte den FT Starnberg in der Bezirksoberliga und war gleichzeitig Torwarttrainer beim TSV 1860 München. Im April wurde er als Coach des FC Augsburg beurlaubt - in der Bundesliga.

Im zweiten Teil des Interviews spricht Baum über das Fußballstadion als Circus Maximus, mangelndes Bewusstsein für die Komplexität der Trainerarbeit auf Seiten der Medien und warum Spieler heute im Vergleich zu früher weniger tun müssen, um mehr zu erreichen. Zudem erklärt der 39-Jährige, wie Deutschland den Rückstand auf andere Nationen in der Nachwuchsausbildung aufholen könnte.

Hier geht es zu Teil 1 des Interviews mit Manuel Baum. Dort spricht Baum über sein Aus beim FCA, die Kritik an ihm von Martin Hinteregger und Jeffrey Gouweleeuw, den Transfer von Co-Trainer Jens Lehmann und Zugfahrten um 3 Uhr nachts.

Herr Baum, mittlerweile ist die Verantwortung in den Profivereinen auf mehrere Schultern verteilt. Es gibt unter anderem Kaderplaner, Sportdirektoren, technische Direktoren. Wie groß ist in Ihren Augen die Konfliktgefahr in einem solchen Geflecht?

Manuel Baum: Ein diesen Personen übergeordneter Geschäftsführer Sport muss eben penibel darauf achten, dass alle Charaktere zusammenpassen und ein harmonierendes Team bilden. Nur dann kann man erfolgreich kontinuierlich zusammenarbeiten. Letztlich braucht es aber diese Posten, damit auch dem Chefcoach nicht zu viel Zeit von der originären Traineraufgabe verloren geht - und die ist ja in den letzten Jahren auch nochmal umfangreicher geworden. Ein Sebastian Kehl, Simon Rolfes oder Thomas Hitzlsperger bringen beispielsweise durch ihre Erfahrung als Spieler und Studien nicht nur gewisse Vorerfahrungen mit, sondern auch ein Bewusstsein dafür, dass es diese Teamfähigkeit in solchen Konstrukten benötigt.

Muss ein Trainer heutzutage deutlich anpassungsfähiger sein?

Baum: Eindeutig. Als Trainer im Jugendbereich gibt man in der Regel recht starr vor, auf welche Art und Weise man spielen möchte und wie man das umsetzt. Man hat eine relativ heterogene Gruppe vor sich, weil sie meist aus einem Jahrgang besteht. Im Profibereich muss man aber ganzheitlicher denken, denn dann hat man einen 31- und einen 19-Jährigen vor sich, deren Festplatten mit Erfahrungen und Routinen gänzlich anders gefüllt sind. Wenn dann die eigene Spielidee nicht zu den Spielern passt, erleidet man schnell Schiffbruch. Diese Anpassungsfähigkeit und das Verständnis darum muss man im Profibereich deutlich mitbringen. Es gibt nicht die eine beste Idee im Fußball, sondern tausende Wege, die nach Rom führen. Das Allesentscheidende ist nämlich, dass die Spieler aus dem Training und dem Spiel gehen und sagen: Ich hatte ein gutes Gefühl.

Manuel Baum und SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielten sich in München.spox

In der abgelaufenen Saison gab es in Liga 1 und 2 zahlreiche Trainerentlassungen. Inwiefern ist der Respekt gegenüber dem Job des Trainers gesunken?

Baum: Man könnte Respekt sagen, man könnte aber auch behaupten, dass das Bewusstsein für die Komplexität der Trainerarbeit nicht immer gegeben ist, um Dinge auch einmal anders zu interpretieren als nur nach dem nackten Ergebnis vom Wochenende. Der Respekt fehlt eher in den sozialen Medien oder teilweise im Stadion. Manchmal hat man das Gefühl, es wäre ein rechtsfreier Raum und die Zuschauer sehen Spieler und Trainer wie im Circus Maximus an, wo sie alles sagen können, was sie wollen und wieder nach Hause gehen.

Was wäre Ihr Vorschlag, um das Bewusstsein für die Trainerarbeit zu schärfen?

Baum: Da sind alle gefragt, wir Trainer und ihr Journalisten. Beide Seiten sollten sich zusammentun, offen darüber reden und Fragen erörtern wie: Wie kommt es denn zustande, wenn ein Team auf einmal acht Spiele in Folge nicht gewinnt? Wie steigt der eigene Druck, nachdem man eine erfolgreiche Saison gespielt hat? Diese Zusammenhänge kennen nicht viele. Dann kämen wir vielleicht auch dahin, dass nicht nur schlechte News gute News sind.

Offen reden viele Trainer jedoch nicht.

Baum: Das stimmt und da sind wir teilweise auch selbst schuld, weil wir Trainer extrem wenig von den Facetten der eigenen Arbeit preisgeben. Es besteht da eine Art Angst, dass einem die Gedanken weggenommen und die dann woanders verwendet werden. Ich persönlich sehe das anders.

Und zwar?

Baum: Wenn auf der journalistischen Seite ein größeres Verständnis und Wissen da wäre, wie ein Trainer ein Spiel liest, wenn man sich besser in dessen Gedanken hineinversetzen könnte, würde man sich mit der Bewertung leichter tun. Dann könnte der Journalist die Ideen des Trainers besser erkennen und sie nach einem Spiel loben oder eben kritisieren. Wenn ich davon aber nichts weiß und mir nichts preisgegeben wird, ist es wie das Bild eines Künstlers, in das jeder irgendetwas hineininterpretiert, obwohl es der Künstler vielleicht nur gemalt hat, weil er einfach gerade ein Bild malen wollte.

Deutschland wurde in den letzten Jahren in der Eliteförderung und Nachwuchsausbildung von einigen anderen Ländern überholt. Wie ist Ihre Einschätzung als ehemaliger Nachwuchscoach: Welche Strukturen müssen verändert werden, um den Rückstand aufzuholen?

Baum: Ich bin der Meinung, man muss sich drei Bereiche anschauen: die Schule, die Entwicklung im Trainerbereich und die Spieler.

Gehen wir es gerne durch. Wo besteht Nachholbedarf im schulischen Bereich?

Baum: Zu meiner Zeit hatte man meist um 13 Uhr aus, ging nach Hause und hat sich danach mit Freunden zum Bolzen getroffen. Zweimal in der Woche war abends das Mannschaftstraining im Fußballverein - allerdings kaum Individualtraining, was die Kreativität der Spieler ein wenig einschränkt. Heutzutage gibt es Ganztagsschulen, häufig müssen beide Elternteile arbeiten. Der Bereich am Nachmittag, in dem man sich ausleben und kreativ sein kann, fällt also immer mehr weg. Viele meinen, man könne das Rad einfach zurückdrehen, damit es wieder so wird wie früher. Dabei hat sich so gut wie alles verändert. Man müsste eher untersuchen, wie man diesen Status quo angepasst an die heutige Situation noch verändern kann. In den Ganztagesbetrieben müsste man diese Freiräume von früher wieder hineinkriegen, um die Schüler zu animieren, wieder irgendwo zum Bolzen hinzugehen.

Was sollte sich auf Seiten der Trainer tun?

Baum: Dieser Bereich hat sich ebenfalls extrem verändert. Als ich bei der U17 von 1860 München gespielt habe, war mein Trainer nebenberuflich angestellt. Hauptberuflich war er Lehrer. Das Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Job als Trainer war also eher gering. Mittlerweile ist der Fußballtrainer im Nachwuchsleistungszentrum kein Nebenjobber mehr, sondern es ist sein Hauptberuf. Heute kann zudem jeder Bundesligatrainer werden - so wie es mir ja auch gelang. Wenn ich aber als Trainer im Nachwuchs die Ambition habe, später einmal Bundesligatrainer zu werden, dann werde ich mit Sicherheit eher darauf achten, dass meine Ergebnisse passen - und eben nicht zwingend darauf, dass sich meine Spieler entwickeln und besser werden.

Manuel Baum: Seine Karriere im Überblick

Steckbrief
NameManuel Baum
Geburtsdatum30. August 1979
Stationen als SpielerJunioren 1860 München (bis 1998), FC Ismaning (1998-2006), FC Unterföhring (2006-2008)
Stationen als Trainer

Co-Trainer SpVgg Unterhaching (2011-2012), Teamchef SpVgg Unterhaching (2012-2013), Cheftrainer SpVgg Unterhaching (2014), Cheftrainer FC Augsburg U23 (2014-2016), Cheftrainer FC Augsburg (2016-2019)

Das heißt konkret?

Baum: Ich sehe das kritisch. Für mich bräuchte es im Nachwuchsbereich Trainer, die sagen: Meine Berufung ist, mein Leben lang U17-Trainer bleiben - und zwar ein erfolgreicher, weil ich die Mannschaft weiterentwickeln will und nicht, weil ich eine höhere Position anstrebe. Man müsste demnach das Trainerwesen überdenken, um Nachwuchstrainer zu bekommen, die - und da wären dann auch die Vereine gefragt - von der Bezahlung etwas bessergestellt werden oder Prämien bekommen, wenn es einer ihrer Jungs nach oben schafft. Damit es dann eben nicht heißt, man möchte allein schon aus finanziellen Gründen im Profibereich arbeiten.

Gibt es denn diese Trainer Ihrer Erfahrung nach?

Baum: Definitiv. Zum Beispiel in Augsburg, aber nicht nur dort. Ich selbst bin immer zu 100 Prozent in meinen Aufgaben aufgegangen. Wenn dann mal jemand auf mich zukam, lag es nicht daran, dass ich vehement an der Tür geklopft habe und Cheftrainer werden wollte. Es war schlicht Zufall. Ich war nicht umsonst Trainer in der 3. Liga und bin dann ins Nachwuchsleistungszentrum vom FCA gegangen. Weil es im Fußball viele spannende Aufgaben gibt.

Fehlt noch die Spielerseite.

Baum: Man muss heute deutlich weniger widerstandsfähig sein. Das nächste Nachwuchsleistungszentrum oder ein Trainer, der einem eher zugeneigt ist, befindet sich ja gleich um die Ecke. Die Auswahl ist viel größer geworden. Im Vergleich zu früher muss man weniger tun, um mehr zu erreichen. Ich spinne jetzt mal bewusst herum, aber vielleicht müsste man die Top-Talente an einem bestimmten Ort zentralisieren. Letztlich gibt es in jedem dieser drei Bereiche genügend Punkte, die analysiert gehören. Natürlich sollte man auch schauen, wie andere Länder diese Thematiken handhaben und wie das zu unserer Situation in Deutschland passen könnte. Für jemanden, der zum Beispiel aus einem sozial instabilen Vorort einer Metropole wie Paris kommt, ist es vielleicht der einzige Ausweg, Profisportler zu werden. So etwas gibt es dagegen bei uns in dieser Form fast nicht.

Mittlerweile gibt es viele taktisch sehr gut geschulte Spieler, Kicker mit Straßenkicker-DNA aber zu wenige.

Baum: Es braucht Kreativität genauso wie Struktur. Die Spieler müssen wissen, wie sie im Mannschaftsverbund agieren sollen. Haben sie aber in bestimmten Spielsituationen eigene Ideen, dann sollen sie sie auch ausleben können. Das Eins-gegen-eins ist da ein zentrales Thema. Deshalb braucht ein Trainer eine gewisse Fehler-Mentalität, denn Kreativität bedeutet nicht immer, dass man auf Anhieb erfolgreich ist. Häufig scheitert man eher in den ersten Momenten. Dieses Scheitern muss man als Trainer allerdings auch zulassen können.

Andererseits: Welcher Nachwuchstrainer lässt denn Fehler zu - besonders, wenn er selbst auf Ergebnisse und Erfolg fokussiert ist?

Baum: Das ist eben der Teufelskreis. Natürlich steigt so die Fehlerwahrscheinlichkeit, wie wenn man es ausschließlich strukturiert angehen würde. Meiner Ansicht nach sollte man im Nachwuchs- wie im Profibereich aber nicht zu viel vorgeben und stattdessen fördern, dass die Spieler Situationen selbst lösen. Das geht viel über Spielformen, das 3-gegen-3 mit vielen Kontakten ist im Nachwuchsbereich gerade sehr beliebt. Die Spieler müssen ja auch wissen, wann und wo sie das Eins-gegen-eins sinnvoll anwenden. Sie brauchen aber auch Freiräume, wo ihnen niemand über die Schulter schaut, um mutige Dinge eigenständig und ohne anschließenden Tadel entwickeln zu können. Ich finde, zum Nachwuchstraining gehört eine große inhaltliche Ausgewogenheit.

Inwiefern widmet sich denn der DFB aktuell diesen Themen?

Baum: Ich weiß, dass das den DFB sehr bewegt, man viele Vergleiche zu anderen Nationen anstellt und dabei ist, dieses Feld akribisch zu bearbeiten. Am Ende müssen allerdings alle an einem Strang ziehen. Man kann sich ja vorstellen, dass es nicht so einfach ist, beispielsweise im schulischen Bereich etwas zu verändern. Wir haben letztlich immer noch die Talente und die Qualität in unserem Land. Wir bringen sie aber nicht mehr so zielgerichtet dahin, dass wir zu den Top-Nationen gehören.