BVB - Marco Reus im Interview: "Der Jürgen war so ein Tier"

Niklas König
18. Juli 201917:10
Jürgen Klopp gibt Marco Reus taktische Anweisungen.getty
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Im Juni wurde Marco Reus von seinen Profikollegen zum Spieler der Saison gewählt - nach 2012 und 2014 bereits zum dritten Mal in seiner Karriere. Sein Weg zu einem der besten deutschen Fußballer seiner Generation und zum Kapitän von Borussia Dortmund verlief allerdings nicht so gradlinig, wie man angesichts seiner fußballerischen Klasse zu glauben geneigt ist.

Beim BVB sah Reus im Alter von 15 Jahren keine Perspektive mehr - und wechselte deshalb zu LR Ahlen. Nach Einsätzen in der Ober- und Regionalliga sowie in der 2. Bundesliga zog er zunächst nach Mönchengladbach weiter. "Mein Papa und mein Berater mussten kämpfen, damit ich den Schritt gehe", sagt Reus rückblickend im Interview mit SPOX und DAZN.

Ein Gespräch über Reus' steinigen Weg zum Top-Spieler, das erste Treffen mit Jürgen Klopp und den bitteren Abgang von Mario Götze zum FC Bayern im Sommer 2013.

Marco, Kevin Großkreutz stand als Fan mit seinem Vater regelmäßig auf der Südtribüne. Wie sah Ihr erstes Stadionerlebnis aus?

Marco Reus: Es war wahrscheinlich nicht ganz so intensiv wie bei Kevin. (lacht) Wenn man hier in Dortmund geboren wird, wächst man automatisch als Schwarz-Gelber auf. Meine Eltern und meine Familie waren schon immer Dortmund-Fans und oft im Stadion. Auch ich war dann ab und zu mit meinem Dad dort, aber nicht in der Regelmäßigkeit, wie es bei Kevin der Fall war.

Sie sind 1995 vom PTSV Dortmund zum BVB gewechselt. Wie lief das ab?

Reus: Wir saßen an einem Sonntag mit der Familie am Frühstückstisch. Mein Vater hat dann erzählt, dass ich ein paar Angebote aus der Region habe: Von Bochum, Dortmund, Wattenscheid und noch ein paar anderen Vereinen. Ich musste mir dann überlegen, was das Beste für mich ist. Letztlich war es für mich als BVB-Fan eine einfache Entscheidung, direkt nach Dortmund zu wechseln.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre ersten Tage beim BVB?

Reus: In dem Alter macht man sich nicht so viele Gedanken, man freut sich einfach über die Situation. Ich weiß aber noch, dass wir am Anfang jeder Saison eine Tasche mit Trainingsbekleidung bekommen haben. Darauf habe ich mich immer am meisten gefreut, weil es ziemlich cool war und ich mir dachte: Diese Klamotten bekommen die Profis auch. Auch wenn das Profigeschäft damals noch sehr weit weg war, ging für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung, als ich plötzlich die Trainingsbekleidung mit dem Wappen tragen konnte.

Und mit den Klamotten waren Sie dann der Star beim Schulsport.

Reus: Ehrlich gesagt hatte ich beim Schulsport meistens ein Trikot von Tomas Rosicky an. Als ich dann etwas älter wurde, habe ich es vermieden, immer die Sachen von Borussia Dortmund zu tragen.

Bei ambitionierten Klubs werden schon in der Jugend am Saisonende Spieler ausgemustert. Wie sind Sie damit umgegangen?

Reus: Bei uns war es jedes Jahr so, dass der Trainer am Ende der Saison in die Kabine kam, um uns mitzuteilen, wie der Verein mit uns plant. Wir saßen auf unseren Plätzen und waren ziemlich aufgeregt. Man hatte sich im Vorfeld schon untereinander ausgetauscht und darüber gesprochen, wen es vielleicht erwischen könnte. Die Eltern von jedem Kind waren am Trainingsgelände und warteten draußen. Das war für alle ein sehr kritischer Moment. Wenn jemand gehen musste, war die Enttäuschung natürlich riesengroß. Andererseits war es für diejenigen, die es geschafft haben, eine Jugend weiterzukommen, ein großartiges Gefühl. Ich hatte schon damals den Traum, nach ganz oben zu kommen, und habe dementsprechend gehofft, dass der nächste Trainer auf mich steht und mich im nächsten Jahr in seiner Mannschaft haben möchte.

Wie sah Ihre sportliche Rolle im Alter von zwölf bis 15 Jahren aus?

Reus: Da habe ich noch gespielt. (lacht) Das war ja später nicht mehr der Fall. In dem Alter kam man in einen Bereich, in dem es härter zur Sache ging und der Körper eine zunehmend größere Rolle gespielt hat. Die Gegenspieler wurden größer und ich war damals eher der kleine, schmächtige Typ. Deshalb musste ich andere Lösungen finden, um an meinen Gegenspielern vorbeizukommen und auf mich aufmerksam zu machen.

Im Januar 2005 wechselten Sie vom BVB zu LR Ahlen. Hatten Sie es in den Monaten zuvor schon kommen sehen, dass es beim BVB nicht mehr reichen würde?

Reus: Ehrlich gesagt, nein. Wir hatten eine starke B-Jugend, die in der Junioren-Bundesliga gespielt hat. Ich hatte im Sommer eine gute Vorbereitung gespielt und mir schon etwas ausgemalt. Am 1. Spieltag wurde ich noch eingewechselt - als rechter Verteidiger. Das war natürlich nicht zufriedenstellend. Anschließend bin ich ein paar Spiele gar nicht zum Einsatz gekommen. Da wurde mir relativ schnell klar, dass es in dieser Saison schwierig werden würde. Als wir dann mit dem BVB in Ahlen gespielt haben, hat mein Vater den Jugendkoordinator gefragt, ob ich dort mal ein Probetraining machen könnte. So haben die Dinge ihren Lauf genommen.

In der Öffentlichkeit kam es so rüber, als wären Sie vom BVB ausgemustert worden. Das war aber nicht der Fall?

Reus: Nein. Es war so, dass die Initiative von mir kam. Es hat aber sicherlich auch eine Rolle gespielt, dass ich als zu klein und zu schmächtig angesehen wurde. Ich kann nur jedem mitgeben, dass es sich schön anhört und dass es auch schön ist, bei Borussia Dortmund, bei Bochum, Schalke, Bayern oder anderen großen Klubs in der B- oder A-Jugend zu spielen. Die oberste Priorität in dem Alter ist es aber, zu spielen und Spaß zu haben. Nur so kann man sich weiterentwickeln, nur so hat man Erfolg. Natürlich gibt es auch Phasen, in denen es nicht läuft. Da muss man durch und sollte nicht gleich wegrennen. Wenn die Perspektive aber nicht da ist, muss man sich Gedanken machen. In meinem Fall kam dann relativ schnell der Entschluss, nach Ahlen zu wechseln.

Können Sie es verstehen, dass Ihre Statur den Ausschlag gegeben hat?

Reus: Die Qualität sollte immer an erster Stelle stehen. Und warum solltest du jemanden nicht spielen lassen, wenn die Qualität da ist? Ob er jetzt klein und schmächtig ist, macht keinen Unterschied. Von daher kann ich das bis heute nicht verstehen. Ich kann inzwischen darüber lachen, aber in dem Moment war es unheimlich schwer nachzuvollziehen.

Ihr damaliger Trainer, der Sie nur sporadisch einsetzte, war Peter Wazinski. Sie haben bestimmt mit ihm gesprochen, bevor Sie nach Ahlen wechselten.

Reus: Ein-, zweimal vielleicht. Ich weiß aber nicht mehr genau, was er zu mir gesagt hat. Wahrscheinlich fand er andere Spieler einfach besser. So ist das im Fußball. Manchmal stehen gewisse Trainer auf dich und mögen dich als Spielertypen und manchmal nicht. Entweder bleibt man dann im Verein und kämpft sich irgendwie durch oder man entscheidet sich für einen Vereinswechsel. Beide Wege können zum Erfolg führen.

Wazinski hat sein damaliges Handeln im Nachhinein wenig überraschend als Fehlentscheidung eingeordnet. Haben Sie sich mal mit ihm ausgesprochen?

Reus: Solche Themen werden von den Medien aufgeblasen. Ich habe es nie so empfunden, dass er da einen Fehler gemacht hat oder dass ich irgendetwas hätte anders machen müssen. Es ist einfach so gekommen und hätte auch anders ausgehen können.

Wie waren Ihre ersten Eindrücke bei Ahlen?

Reus: Die Jungs haben auch in der Junioren-Bundesliga gekickt, von daher war das Niveau ähnlich wie beim BVB. Wir hatten super talentierte Spieler, die aus verschiedenen Bereichen Nordrhein-Westfalens kamen. Deshalb hatten wir auch relativ früh Erfolg. Ich hatte kaum Anpassungsschwierigkeiten, obwohl es nicht einfach war, da ich im Winter gekommen war. Da ist es immer schwierig, in eine funktionierende Truppe reinzukommen und sich zu integrieren. Aber ich wurde super aufgenommen. Das ist immer ein wichtiger Faktor, um direkt seine Leistung zu bringen.

Sie haben mit der U19 von Ahlen drei Spiele gegen die U19 des BVB gemacht - und dabei drei Tore erzielt. Eine Genugtuung?

Reus: Ich kann mich noch gut an ein Spiel erinnern, in dem ich eine Halbzeit gespielt habe. Das war hier in Brackel auf dem Trainingsgelände. Genau auf dem Platz, auf dem jetzt unsere öffentlichen Trainingseinheiten stattfinden. Da war ich im Vorfeld ziemlich aufgeregt. Ich hatte nicht das Gefühl, jetzt unbedingt etwas beweisen zu müssen, aber ich habe mich hinterher natürlich gefreut, weil ich eine gute Leistung gezeigt hatte.

Großkreutz spielte ebenfalls bei Ahlen. Sie hatten später eine Fahrgemeinschaft.

Reus: Kevin war damals schon Profi und komplett integriert. Ich bin ungefähr zwei Jahre nach meinem Wechsel in die erste Mannschaft gekommen und dann hat es sich so ergeben, dass wir meistens zusammen mit dem Zug zum Training gefahren sind. Es war schon amüsant, dass da Tag für Tag zwei Dortmunder Jungs zusammen nach Ahlen gefahren sind und sich ein paar Jahre später beim richtigen Klub wiedergesehen haben.

Großkreutz soll während seiner Zeit bei Ahlen teilweise sogar an Tagen vor Pflichtspielen zu Auswärtsspielen des BVB gefahren sein. Waren Sie auch dabei?

Reus: Nein, ehrlich gesagt habe ich davon auch ganz wenig mitbekommen. Dann muss es Kevin also richtig clever gemacht haben. (lacht) Wenn wir freitags gespielt haben und Dortmund samstags, hat er die Möglichkeit wahrscheinlich genutzt und ist mit seinem Papa, der natürlich auch sehr verrückt ist, ins Stadion gefahren. Bei mir war es damals nicht so intensiv. Ich habe die BVB-Spiele meistens zuhause geguckt.

2009 ist Großkreutz zum BVB zurückgekehrt, während Sie nach Gladbach wechselten.

Reus: Das war schon ein komisches Gefühl. Wir hatten damals in Ahlen eine richtig gute Mannschaft, hatten eine starke Saison gespielt. Es war klar, dass die Truppe aufgrund der Erfolge auseinanderfallen würde. Kevin hätte Angebote aus der ganzen Welt haben können, er wäre auf jeden Fall zu Dortmund gegangen. Das ist sein Klub. Da ist für ihn ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Ich habe dann die andere Borussia gewählt. Für mich persönlich war das eine sehr gute Entscheidung, ohne die ich heute nicht hier wäre.

Hatte Dortmund damals schon Interesse an Ihnen?

Reus: Das weiß ich nicht. Ich glaube, dass der BVB damals nicht so viel Kohle locker hatte und deshalb auch nicht so viel auf dem Transfermarkt machen konnte. Dortmund hat dann Kevin verpflichtet und für mich kam das Angebot aus Gladbach. Mir war recht schnell klar, dass ich nach Gladbach wechseln möchte - ohne zu wissen, ob ich von Dortmund auch ein Angebot hatte.

Aus welchen Gründen haben Sie sich für Gladbach entschieden?

Reus: Ich bin ein Fan von Kontinuität und wollte eigentlich noch ein Jahr in Ahlen bleiben. Ich hatte gerade mein erstes Jahr in der 2. Bundesliga hinter mir, hatte 27 Spiele gemacht und das Gefühl, dass es für den nächsten Schritt noch zu früh ist. Max Eberl hat sich dann sehr um mich bemüht. Ich war ein paar Mal in Mönchengladbach, habe mir das Stadion und die Infrastruktur angeschaut. Das war sehr beeindruckend. Trotzdem mussten mein Papa und mein Berater kämpfen, damit ich den Schritt gehe.

Wie lief Ihr erstes Gespräch mit Eberl?

Reus: Max ist ein super Typ. Wir schreiben noch heute miteinander, wenn die Möglichkeit da ist. Ich kann nur in den höchsten Tönen von ihm schwärmen, weil er nicht nur seit Jahren als Manager einen richtig guten Job macht, sondern weil er auch charakterlich 1A ist. Man kann auch mit privaten Dingen auf ihn zugehen, er hat immer ein offenes Ohr. Beim ersten Treffen hatte ich direkt das Gefühl, dass es passt. Natürlich hatte ich damals auch Bedenken, weil ich aus der 2. Liga kam - von einem Klub, der nicht so hoch angesehen war. Ich konnte gar nicht einschätzen, wie groß meine Qualitäten sind. Von daher habe ich eine gewisse Zeit gebraucht, aber Max hat mich immer unterstützt. Ich bin ihm sehr, sehr dankbar.

Im Sommer 2012 sind Sie dann zum BVB zurückgekehrt. Wie lief die Entscheidungsfindung?

Reus: Einerseits habe ich mich in Gladbach sehr wohlgefühlt. Wir hatten eine starke Truppe und ich strebe - wie ich gerade schon betont habe - immer nach Kontinuität. Ich hatte das Gefühl, dass wir eine Mannschaft aufbauen können, um in den kommenden Jahren europäisch zu spielen, was Gladbach in den Jahren zuvor nicht geschafft hatte. Andererseits bekommst du nicht zwei- oder dreimal die Chance, dass dich dein Heimatklub zurückholen möchte. In der Folge habe ich viel nachgedacht, mir eine Pro-und-Contra-Liste erstellt. Relativ schnell kam dann der Entschluss, dass ich zum BVB wechseln möchte. Letztlich war es eine Herzensentscheidung.

Wie haben Sie Ihr erstes Gespräch mit Jürgen Klopp in Erinnerung?

Reus: Oh Gott. (lacht) Der Jürgen war so ein Tier. Jemanden wie ihn kanntest du nur aus dem Fernsehen. Wenn Jürgen vor dir sitzt mit seiner Aura, mit seiner Aggressivität, die er selbst beim Sprechen ausstrahlt, mit seiner Größe, dann ist das schon beeindruckend. Auch die Art und Weise, wie er mit dir spricht - so etwas gibt es selten im Profigeschäft. Er zieht dich in seinen Bann und lässt dich nicht mehr los. Ich bin mit flatterndem Herzen aus dem Gespräch gegangen. Er war auf jeden Fall einer der Gründe, warum ich zu Dortmund gewechselt bin.

Klopp wird primär über Emotionen definiert. Hat er Sie auch inhaltlich überzeugt?

Reus: Vor einer Saison kann man vieles planen. Es können aber so viele unvorhersehbare Dinge passieren wie ein Systemwechsel oder Verletzungen, dass es doch ganz anders kommt. Wenn ein Verein einen Spieler verpflichten möchte, ist es wichtig, dass der Trainer dem Spieler die Philosophie nahebringt und ihm erklärt, was er mit ihm vorhat. Das war bei mir nicht anders. In dem Jahr ist Shinji Kagawa zu Manchester United gewechselt, ich war der Ersatz. Wir haben dann darüber gesprochen, auf welcher Position er mich sieht und in welchen Bereichen ich mich noch verbessern kann. Jürgen kann Spieler weiterentwickeln und besser machen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Er hat eine spezielle Art, im Training und im persönlichen Umgang.

Im Sommer 2013 wechselte Mario Götze zum FC Bayern. Bereits im April war das Thema einen Tag vor dem Halbfinal-Hinspiel der Champions League gegen Real Madrid an die Öffentlichkeit gelangt. Wie haben Sie von dem Transfer erfahren?

Reus: Ich war zuhause, es hat geklingelt und Mario stand vor meiner Tür. Er hat mir persönlich gesagt, dass er den Verein verlassen und einen anderen Weg einschlagen wird. Ich wusste in dem Moment gar nicht, was ich denken oder sagen soll. Ich war frisch nach Dortmund gekommen und hatte das Gefühl, dass wir ein gutes Duo sein könnten. Deshalb war seine Entscheidung für mich in dem Moment schwierig nachzuvollziehen. Wir hatten damals eine gute Truppe für die kommenden Jahre. Und ich hatte eigentlich das Gefühl, dass es zwischen uns passt und dass wir noch besser zusammenspielen können.

Waren Sie wütend?

Reus: Das will ich so nicht sagen, aber man will natürlich immer mit den Besten zusammenspielen. Wenn dann einer der Besten geht, ist das schwierig zu verstehen. Letztlich muss jeder seine eigenen Entscheidungen treffen. Man hat nur eine Karriere. Und wenn das damals für ihn die richtige Entscheidung war, dann hat das jeder zu akzeptieren.

Die Reaktionen auf den Wechsel waren heftig. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Reus: Ich habe Mario vor dem Champions-League-Spiel gegen Real Madrid abgeholt. Er saß hinten im Auto, die Fans haben auf ihn gewartet. Das war keine einfache Situation. Ich weiß, wie er das damals erlebt und empfunden hat und wollte nicht in seiner Haut stecken. Welcher Druck auf seinen Schultern lastete - das können Außenstehende und auch ich als Fußballer gar nicht begreifen. Mario ist dann richtig gut mit der Situation umgegangen, hat ein überragendes Spiel gemacht und das erste Tor vorbereitet. Von daher hat er sich riesigen Respekt verdient. Über den Zeitpunkt und darüber, wie die Meldung an die Öffentlichkeit gelangt ist, brauchen wir ohnehin nicht sprechen. Zum Glück konnten wir die Fans mitnehmen, sonst hätten wir dieses Spiel nicht so bestreiten können.

Zeigen die Reaktionen auch, wie sehr das Fußballgeschäft in der Öffentlichkeit überhöht wird?

Reus: Wenn ein Top-Spieler den Verein verlässt, ist man als Fan enttäuscht. Man möchte immer, dass die besten Spieler im Verein bleiben. Man muss aber auch den Spieler verstehen und irgendwann akzeptieren, dass er diesen Weg für seine eine Karriere gewählt hat. Natürlich kann man darüber streiten, ob es richtig oder falsch war. Hinterher ist man immer schlauer. Mario war damals ein unfassbarer Rohdiamant. Dass er ausgerechnet zu dem Klub gegangen ist, der unser größter Konkurrent war und ist, dass er die Bayern noch stärker gemacht hat, war für die Fans extrem enttäuschend. Dadurch war es doppelt bitter.

Im Hinspiel gegen Real ist die Mannschaft beim 4:1 über sich hinausgewachsen, im Rückspiel (0:2) wurde es nochmal eng. Wie haben Sie diese Achterbahnfahrt innerhalb von einer Woche erlebt?

Reus: In diesem Jahr hätte ich uns mit dieser Mannschaft alles zugetraut - und das haben wir ja auch fast geschafft. Wir waren unfassbar gut, hatten unheimlich schnelle Spieler, hatten aber auch Malocher, die gekämpft haben. Wir waren ein stabiles Gebilde, auch in der Breite. Im Hinspiel gegen Real hatte ich selbst nach dem zwischenzeitlichen 1:1 durch Ronaldo nicht das Gefühl, dass das Spiel kippen würde. Natürlich war es schwierig, aber wir haben uns irgendwann in einen Rausch gespielt.

Und im Rückspiel?

Reus: Da war es die absolute Hölle. Die letzten zehn Minuten waren die längsten zehn Minuten meiner Karriere. Im Santiago Bernabeu wurde es auf den Rängen immer lauter, auf dem Platz immer enger. Real hat relativ spät die Tore gemacht, nachdem wir zuvor Riesenchancen liegengelassen hatten, mit denen wir das Ding längst hätten klarmachen können. Nach dem Abpfiff war man emotional gelöst, aber auch richtig fertig und geplättet, weil das Spiel einfach so viel Kraft gekostet hatte, allein mental. Letztlich war es ein goldener Moment.

Wie bewerten Sie das Champions-League-Finale gegen Bayern aus heutiger Sicht?

Reus: Wir waren in der ersten Halbzeit richtig stark. Natürlich kann man immer darüber spekulieren, ob es anders ausgegangen wäre, wenn wir in dieser Phase des Spiels mit 1:0 in Führung gegangen wären. So muss man sagen, dass uns am Ende die Körner gefehlt haben. Da waren die Bayern erfahrener. Sie hatten im richtigen Moment die richtige Lösung parat. Mit Arjen Robbens Tor war es dann vorbei.

Damals waren Sie 23 Jahre jung. Inzwischen sind Sie 30 und Kapitän des BVB. Wie hat sich Ihre Rolle verändert?

Reus: Für mich steht immer noch im Vordergrund, Spaß am Fußball zu haben. Grundsätzlich bin ich mir der Verantwortung aber bewusst. Man lernt im Laufe der Jahre, damit umzugehen. Das kann man nicht mit 22 oder 23 Jahren, sondern in einem Alter ab 26 oder 27. Dann weiß man, wofür man geradestehen muss. Ich bin der Meinung, dass in einem Team jeder Verantwortung übernehmen muss. Trotzdem trägt man als Kapitän noch ein Stück mehr Verantwortung, weil man die Mannschaft führen und auch in schwierigen Momenten vorweg gehen muss. Für mich persönlich sind das teilweise auch neue Situationen. Man wächst mit der Zeit mehr und mehr in die Rolle hinein und weiß, in welchen Situationen man etwas sagen muss und in welchen nicht.

Sie sind vor kurzem Vater geworden. Inwiefern hat sich Ihr Leben dadurch verändert?

Reus: Es ist das schönste Gefühl der Welt. Im Vorfeld kann man sich gar nicht ausmalen, was da auf einen zukommt und wie das kleine Wesen aussieht. Das ist ein Moment, den man mit all den Emotionen am liebsten für immer einfangen würde. Ein Moment, den man gar nicht mit Worten beschreiben kann. Man merkt, dass gewisse Dinge nicht mehr so wichtig sind, wie sie es vorher waren. Du hast plötzlich ein Kind zuhause, das dich braucht, das dir noch nicht erzählen kann, was es eigentlich will. Da gibt es jeden Tag unheimlich viele Momente, die wunderschön sind und die ich sehr genieße.