Im ersten Teil des Interviews mit SPOX und DAZN spricht Favre über die Anfänge in seiner Kindheit, in der der Fußball für den 62-Jährigen zur Droge wurde. Favre äußert sich zudem zu seiner Zeit als Profi, zum Start als C-Jugendtrainer, den Job als Nachwuchsmanager in Neuchatel und die erfolgreiche Zeit beim FC Zürich, die ihm zum Durchbruch und Wechsel nach Deutschland verhalf.
Der zweite Teil des Interviews mit Lucien Favre ist hier zu lesen. Darin spricht der Schweizer über den Aufstieg und Fall während seiner Zeit in Berlin, die Amtszeit bei "Borussia Barca" in Gladbach und Gespräche mit dem speziellen Mario Balotelli. Zudem äußert sich Favre zu seiner ersten Saison beim BVB, zu Gegentoren nach Standardsituationen, zum erhöhten Druck und der zuletzt aufgekommenen Kritik an ihm.
Herr Favre, Sie sind dem Fußball seit über 50 Jahren verfallen. Welche ersten Erinnerungen haben Sie an ihn?
Lucien Favre: Ich bin in einem kleinen Dorf namens Saint-Barthelemy aufgewachsen, wo der Fußball so etwas wie der Lieblingssport war. Damals gab es nur einen einzigen richtigen Fußballplatz, aber der war für uns zu weit entfernt. Daher habe ich mit meinen Kumpels in der Schule oder auf der Straße gekickt. Damals gab es kaum Autos in unserer Gegend. Anfangs habe ich den Fußball nicht sehr gemocht, das kam eher plötzlich durch meinen älteren Bruder. Der hat selbst gespielt und mich sehr schnell wie mit einem Virus infiziert. Der Fußball wurde für mich zu einer Droge. Wenn ich einen Ball sah, musste ich ihn berühren.
Haben Sie dann auch begonnen, Fußball im TV zu schauen?
Favre: Als ich acht, neun Jahre alt war, hatten wir noch keinen Fernseher. Das war erst zwei, drei Jahre später der Fall. Den WM-Sieg von Brasilien 1970 in Mexiko habe ich mit großen Augen vor dem Fernseher verfolgt, das hatte einen großen Einfluss auf mich. Pele, Jairzinho, Tostao, Gerson - ich könnte den gesamten Kader noch heute auswendig aufsagen. Das war etwas, was für immer bleiben wird, weil es so außergewöhnlich war.
Wann schlossen Sie sich zum ersten Mal einem Fußballverein an?
Favre: Mit zehn. Ich habe in Oulens, einem Nachbarort von Saint-Barthelemy, angefangen und dort mit Jungs gespielt, die drei, vier Jahre älter waren als ich. Mein Bruder und ein paar andere gute Kicker waren auch mit dabei. Dort habe ich vier Jahre gespielt. Ich habe auch sehr viel für mich allein trainiert. An meinen damaligen Trainer, den allerersten in meiner Karriere, habe ich noch sehr gute Erinnerungen. Er hat einem immer sein Vertrauen geschenkt und dir gesagt, was du zu verbessern hast, dabei aber immer alles total positiv gesehen. Er hat das Potential der Spieler erkannt, uns immer ermutigt und gut zugesprochen.
1972 sind Sie schließlich mit 15 Jahren zu Lausanne-Sport gewechselt.
Favre: Lausanne war für mich eine neue Etappe. Ich musste die Reisen dorthin organisieren und bin häufig mit dem Zug gefahren. Oft kam ich erst um 23 Uhr wieder nach Hause, weil damals nicht viele Züge fuhren. All dies mit der Schule unter einen Hut zu bringen, war nicht einfach. Lausanne-Sport hatte damals in der Schweiz, aber auch in Europa einen guten Ruf. Jeder Jugendliche aus meiner Region, der ein gewisses Talent mitbrachte, hatte den Wunsch, nach Lausanne zu gehen.
Wie sehr haben Sie sich damals schon mit einer Karriere als Profi beschäftigt?
Favre: Das war mein Ziel. Ich bin nach Lausanne gegangen, weil dort das Niveau höher war und ich sehen wollte, zu was ich in der Lage bin. Ich war davon überzeugt, dass ich etwas in mir habe, um dort zu bestehen.
Das gelang: 1976 bestritten Sie für Lausanne Ihr erstes Profispiel und wurden ein begnadeter Techniker. Lucien Favre als Abwehrspieler, wäre das undenkbar gewesen?
Favre: Am Ende meiner Karriere war ich Innenverteidiger. (lacht) Zuvor habe ich überall im Mittelfeld gespielt: links, rechts, zentral. Auch als Stürmer bin ich aufgelaufen, habe Links- und Rechtsaußen gespielt. Ich konnte problemlos alle Positionen spielen. Ich finde, dass es wichtig für die Entwicklung eines Spielers ist, viele Positionen zu entdecken.
Waren Sie denn ein pflegeleichter Spieler oder kam es auch mal zu Meinungsverschiedenheiten mit den Trainern?
Favre: Nein. Ich habe meinen Trainern Fragen gestellt. Wie, was, warum, welches System - ich war schon immer an der Taktik und dem Training interessiert. Am meisten ging es mir aber darum, während der Trainingseinheiten gut zu arbeiten, das Maximum zu geben und anschließend noch auf dem Gelände zu bleiben, um an den Grundlagen zu arbeiten und sie weiter zu perfektionieren. Es ging mir um größte Professionalität. Ich hatte nie Probleme, mich hat immer nur das Spiel interessiert und wie ich mich verbessern kann.
Wie erinnern Sie sich an die rund zweiwöchige Phase beim FC Toulouse, als Sie mit 25 Jahren die Leitung der Übungseinheiten übernahmen, weil der Trainer aus privaten Gründen pausieren musste?
Favre: Das war eine sehr spezielle Zeit. Nicht nur für mich, sondern für jeden Spieler. Zwei oder drei von uns wurden aufgefordert, das Training für die Woche vorzubereiten. Ich habe mich dabei an den Einheiten orientiert, die ich von meinen bisherigen Trainern kannte: viele Spielformen, alles mit dem Ball. Das hat sehr gut geklappt, auch wenn eine Woche natürlich relativ kurz ist. Wir haben nur fünf, sechs Einheiten vorbereitet, aber es war ziemlich interessant.
Am 13. September 1985 wurden Sie als Spieler von Servette Genf schwer verletzt, nachdem Pierre-Albert Chapuisat, der Vater von Ex-BVB-Stürmer Stephane, brutal in Ihre Kniekehle trat. Sie erlitten mehrere Knochenbrüche und Bänderrisse. Das Foul zog einen zwei Jahre dauernden zivilrechtlichen Prozess nach sich, Chapuisat wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 5000 Franken wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Wie erinnern Sie sich daran?
Favre: Das ist Vergangenheit. Ich habe früher darüber gesprochen, aber jetzt möchte ich das nicht mehr tun.