Hoffenheim avancierte in den Folgejahren zu einem Sprungbrett für junge Spieler. Das spült Geld in die Kasse. Allein in der vergangenen Saison erzielte die TSG ein Transferplus von rund 70 Millionen Euro. Was bedeuten Ihnen solche Zahlen?
Pfannenstiel: Hoffenheim hat über die Jahre gezeigt, was man durch solide Arbeit und gutes Scouting erreichen kann. Alexander Rosens akribische Arbeit muss dabei besonders gewürdigt werden. Dazu kam natürlich mit Julian Nagelsmann ein spezieller Trainer dazu, der jeden einzelnen Spieler besser macht.
Immer wieder explodierten Spieler bei der TSG. Gab es auch Spieler, von deren steiler Entwicklung Sie selbst überrascht waren?
Pfannenstiel: Am meisten beeindrucken mich Spieler die nach einer schweren Startphase nie aufgeben und hart dafür arbeiten, sich in der Bundesliga durchzusetzen. Bei manchen Spielern setzt die erhoffte Explosion verspätet ein. Joelinton zum Beispiel war anfangs weit weg davon einzuschlagen. Er brauchte Anpassungszeit, war zwei Jahre an Rapid Wien verliehen, das tat ihm sehr gut. Bei Rapid entwickelte er sich kontinuierlich weiter. In der Vorbereitung zur dritten Saison trainierte er dann so herausragend, dass Julian Nagelsmann ihn unbedingt behalten wollte. Der Rest ist Geschichte.
Joelinton war in der vergangenen Saison mit elf Ligatoren ein absoluter Leistungsträger. Nur Ishak Belfodil (17) und Andrej Kramaric (22) trafen noch häufiger - zwei Spieler, bei deren Entwicklung man sich ebenfalls die Augen reibt.
Pfannenstiel: Mich überrascht das nicht im Geringsten. Andrej machte bei Leicester nichts falsch. Aber Jamie Vardy und Riyad Mahrez hatten einen solchen Lauf, die hätten auch mit einem Tischtennisball einen Hattrick erzielt. In Hoffenheim konnte er dann sein wahres Gesicht zeigen. Ishak war unterschätzt. Für viele war es eine Überraschung. Da hieß es: Warum holt Hoffenheim Belfodil? Aber Ishak stach meiner Meinung nach schon in Bremen heraus. Er war überhaupt keine Risiko-Verpflichtung.
Kelvin Ofori kam ohne Fußballschuhe nach Düsseldorf
Gibt es einen Transfer, auf den Sie besonders stolz sind?
Pfannenstiel: Ein Transfer ist immer Teamwork, bei dem verschiedene Abteilungen wie sportliche Leitung, Analyse, oder Scouting ineinanderfließen. Eines der Highlights war aber dann schon hier bei Fortuna Düsseldorf. Und zwar Kelvin Ofori. Er kam am Anfang der Saison mit 17 Jahren zu uns, den meisten völlig unbekannt und ohne Schuhe. Das war wie aus der Trickkiste.
Er kam barfuß?
Pfannenstiel: Nein. (lacht) Ich sollte ein wenig ausholen. Ofori wurde in der Right to Dream Academy in Ghana ausgebildet. Das ist eine private Fußball-Akademie mit großem Einfluss von Manchester City. Ich kannte Ofori noch aus meiner Zeit in Afrika, er galt schon damals als Ausnahmetalent. Dass er das Potential hat, irgendwann in Europa und möglicherweise bei City zu spielen würde, war mir früh klar. Weil sein Vater sich weigerte, einen neuen Vertrag zu unterschreiben, wurden andere Spieler gefördert und Ofori blieb vielen weitestgehend unbekannt.
Angeblich waren auch Manchester United und Real Madrid an ihm dran.
Pfannenstiel: Das stimmt. Wir haben nach einigen Gesprächen entschieden, ihn als Gastspieler einzuladen. Wenige Wochen später kam er dann zu uns ins Trainingslager, hinter sich eine Odyssee mit einem 16-Stunden-Flug über Nordafrika und England. Er war total übermüdet und hatte nicht einmal Fußballschuhe dabei. Trotzdem wollte er unbedingt sofort mitmachen. Also trainierte er mit Schuhen, die ihm eine Nummer zu groß waren und machte trotzdem einen super Eindruck. Jetzt hat er einen Dreijahresvertrag.
Kelvin Ofori im Steckbrief
geboren | 27. Juli 2001 in Ghana |
Position | Offensives Mittelfeld |
starker Fuß | links |
Stationen | Right to Dream Academy, Fortuna Düsseldorf |
Vertrag bis | 30. Juni 2022 |
Man möchte meinen, ein Verein wie Fortuna Düsseldorf hat bei solchen Talenten keine Chance gegenüber Klubs wie United oder Real. Wie schafft man es trotzdem, sich durchzusetzen?
Pfannenstiel: Wir haben nicht die finanziellen Mittel für ein Wettbieten. Also ziehen wir entweder so früh in den Verhandlungsprozess ein, dass wir die ersten sind. Oder wir warten sehr lange, bis viele anderen Vereine schon ausgeschieden sind. Dann kommt es natürlich auch auf die Spieler an. Bei manchen stehen die Finanzen an erster Stelle, bei anderen die sportliche Perspektive.
Wie lange beobachtet man einen Spieler in der Regel intensiv, bevor man als Verein aktiv wird? Und was heißt überhaupt intensiv?
Pfannenstiel: Im Optimalfall ist ein Spieler ausgescoutet, bevor man als Verein den Kontakt aufnimmt.
Was bedeutet das?
Pfannenstiel: Nana Ampomah, der bei Waasland-Beveren, einem kleinen Verein in Belgiens erster Liga, spielte, war zum Beispiel ausgescoutet. Das heißt, er wurde von mindestens vier Scouts sehr intensiv beobachtet. Acht Augen sehen mehr als zwei. Dann schaute ihn sich der Cheftrainer an und es kam zum ersten Treffen. Als es auch dort passte, wurden die Vertragsverhandlungen aufgenommen. So ist die Wahrscheinlichkeit noch höher, dass der Spieler auch funktionieren kann.
Lutz Pfannenstiel über Scouting: "Charakter schlägt oft Talent"
Auf welche Faktoren kommt es für Sie beim Scouting an?
Pfannenstiel: Ich habe eine Philosophie, was Scouting angeht. Ich bewerte Qualität nicht nur aus sportlicher Sicht. Talentierte Fußballer gibt es Tausende, aber die wenigsten passen in das Persönlichkeitsprofil. Dafür muss ich verstehen, wer mir da eigentlich gegenübersitzt. Ein Großteil der Scouting-Analyse handelt vom Freundeskreis, von der Familie, der schulischen Ausbildung, den Freizeitaktivitäten, den sozialen Kompetenzen. Ich muss wissen, ob ein Spieler ständig nur mit Kopfhörern im Ohr rumläuft oder aufgeschlossen ist. Ich muss wissen, wenn ein Spieler nachts in der Disko die Sau rauslässt.
Wie erreicht man das?
Pfannenstiel: Das funktioniert nur über Kontakte. Wenn Du dich als Deutscher in Afrika nach einem Spieler bei dessen Cousine erkundigst, bekommst Du immer einen fehlerfreien Engel präsentiert. Deswegen ist es wichtig, dass Du auch im wildesten Eck der Welt einen sitzen hast, von dem Du vertrauliche Informationen bekommst, die man normalerweise nicht bekommt. Ich habe mir von Spielern sogar Geburtsurkunden und Zeugnisse besorgt. Ich sage: Charakter schlägt oft Talent. Mentalität und harte Arbeit sind oft entscheidender als das pure Talent. Die Mischung ist wichtig.