Mit einem Frust-Interview hat sich Michael Gregoritsch beim FC Augsburg in der Bundesliga-Hinrunde ins Aus manövriert. In diesem Winter wechselte der Österreicher auf Leihbasis bis Saisonende zum FC Schalke 04.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Gregoritsch über die Anfänge seiner Karriere, Kinofilme mit Chips und Cola beim Hamburger SV und erklärt, warum sein Spielstil manchmal unschön aussieht.
Zudem äußert sich der 25-Jährige zu seiner Suspendierung beim FCA, einer möglichen Rückkehr nach Augsburg und erzählt, wie ihn S04-Trainer David Wagner auf dem iPad vom Wechsel nach Gelsenkirchen überzeugte.
Herr Gregoritsch, am 14. April 2010 feierten Sie vier Tage vor Ihrem 16. Geburtstag beim SV Kapfenberg Ihr Profidebüt, als Sie gegen Austria Wien in der 80. Minute von Ihrem Vater Werner eingewechselt wurden und mit der zweiten Ballberührung das 1:0 erzielten. Sie sind bis heute der jüngste Spieler, der in der österreichischen Bundesliga ein Tor schoss. Bald ist das zehn Jahre her - wie erinnern Sie sich daran und wie weit weg fühlt sich das an?
Michael Gregoritsch: Seitdem ist so viel passiert, von daher ist das sehr weit weg. Erst recht, weil ich in dem Moment überhaupt nicht realisiert habe, was passiert ist. Es war für mich das Normalste der Welt, da reinzukommen und ein Tor zu machen. Ich hatte damals bei der ersten Amateurmannschaft gespielt, quasi einer U19. Einige Stürmer waren verletzt, dann hatte ich kurzen Blickkontakt mit meinem Vater und bin eingewechselt worden. Das war schon geil und zugleich schade, dass ich das alles gar nicht so richtig mitgekriegt habe. Wir haben zu Hause noch die ganzen Zeitungsartikel, die es über dieses Spiel gab.
Ihr Vater ist aktueller U21-Nationaltrainer Österreichs. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?
Gregoritsch: Sehr gut und eng mit einem tollen Händchen für Lob und Kritik. Er hat zweimal bei Arsene Wenger hospitiert und sich einen guten Ausspruch von ihm gemerkt: Wenn einer bis auf die Unterhose ausgezogen ist, ist die Frage, ob du ihm hilfst, sie wieder anzuziehen oder ob du ihm die Unterhose auch noch herunterziehst. Diesen Mix bekommt er sehr gut hin. Er ist stolz auf das, was ich erreicht habe, kann aber auch streng sein und sagt klar, wenn ihm etwas nicht gefällt. Er hat oft Recht.
Sie werden vor zehn Jahren sicherlich schon Träume und Hoffnungen in Richtung Profikarriere gehabt haben. Ziehen Sie doch einmal eine Zwischenbilanz - zufrieden?
Gregoritsch: Natürlich. Damals habe ich mir gewünscht, eines Tages bei Rapid Wien zu spielen. Das schien das Höchste der Gefühle. Doch es ging letztlich Schritt für Schritt nach oben. Ich habe als Leihspieler von Hoffenheim bei Kapfenberg die Schule beendet und bin danach endgültig von zu Hause rausgekommen. In Hoffenheim war das Trainingsniveau sehr hoch, das war super für mich. Bei den Leihen zu St. Pauli und später nach Bochum bekam ich die nötigen Minuten in der 2. Liga, um schließlich beim VfL Stammspieler zu werden.
spoxIm April 2015 hatte Sie der VfL verpflichtet, im Juli wurden Sie dann aber zum Hamburger SV transferiert. Wie kam das denn eigentlich zustande?
Gregoritsch: Ich hatte nie das Gefühl, dass mich Hoffenheim unbedingt zurückhaben wollte. Es gab sozusagen eine mündlich festgeschriebene Ablösesumme, die Bochum zahlte. Vier Wochen später rief der HSV an und meinte, sie möchten mich gerne aus dem Vertrag herauskaufen und in die Bundesliga holen. Man musste zwar noch die Relegation abwarten, aber das war für mich eigentlich völlig wurscht. Wenn du Zweitligaspieler bist und dich ein Traditionsklub wie der HSV anruft, dann gehst du dorthin - notfalls auch noch einmal in Liga zwei.
War das für Sie vom Kopf her nicht komisch, sich erst auf den festen Wechsel nach Bochum einzustellen, nur um denn plötzlich zum HSV zu gehen?
Gregoritsch: Eigentlich nicht. Ich hatte mit dem damaligen Manager Christian Hochstätter und seinem Sohn ein sensationelles und offenes Verhältnis. Er hat mir die Chance unter der Bedingung gegeben, dass auch der VfL finanziell ordentlich aus der Nummer herauskommt.
Bei den Rothosen hatten Sie einen starken Start und schossen in 25 Ligaspielen fünf Tore, darunter mit drei direkt verwandelten Freistößen die meisten der Liga.
Gregoritsch: Ich hatte mit Bruno Labbadia einen Trainer, der mir enorm viel geholfen hat. Der hat mit mir als Cheftrainer Einzeltraining gemacht! Bei ihm habe ich so gut wie jedes Spiel absolviert, was für meine Entwicklung ideal war. Nach den zwei Jahren in Hamburg hatte ich aber das Ziel, künftig unangefochtener Stammspieler in der Bundesliga zu werden - und das hat sich in Augsburg erfüllt.
Beim HSV spielten Sie in beiden Spielzeiten gegen den Abstieg, im zweiten Jahr folgte die Rettung erst am letzten Spieltag. Wie chaotisch ging es damals in Hamburg zu?
Gregoritsch: Überhaupt nicht so, wie es von außen für viele den Anschein hatte. Das Trainerteam um Markus Gisdol hat einen herausragenden Job gemacht und uns wirklich zu einer echten Einheit geformt. Wir haben zusammengehalten, Gas gegeben und uns durch nichts beirren lassen. Wir hatten trotz der angespannten Situation ein sehr gutes Mannschaftsklima. Manchmal haben wir zwei Tage vor dem Spiel Kinofilme geschaut mit Chips, Eis und Cola - aber wir sind trotzdem marschiert. (lacht) Das half dabei, den Kopf frei zu bekommen. Leider haben wir es dann trotzdem bis auf den letzten Spieltag ankommen lassen, obwohl wir zuvor hintereinander gegen drei direkte Konkurrenten spielen mussten.
In dieser Zeit wurde permanent negativ über den Verein gesprochen und geschrieben, es war auch viel Häme dabei. Wie hat sich das als Spieler angefühlt?
Gregoritsch: Ich persönlich kann das größtenteils ausblenden. Aber es gibt Spieler, die sehr viel lesen und sich dadurch eventuell auch ein Stück weit herunterziehen lassen. Ich habe mir aber irgendwann einmal geschworen, das sein zu lassen. Denn auch das Gegenteil kann eintreten: Nachher lese ich, dass ich ein gutes Spiel gemacht habe und dann mache ich den einen Schritt weniger, weil ich mich so toll fühle. Generell empfinde ich ein viel zu starkes Schwarz-weiß-Denken. Die Bewertung fällt teilweise zu negativ oder auch zu positiv aus. Man muss versuchen es auszublenden, sonst wird man ja nur verrückt.
Aktuell sind Sie diesbezüglich wieder gefordert, denn nach den Lobeshymnen nach Ihrem Debüt für Schalke gegen Gladbach kam zuletzt etwas Kritik an Ihnen auf. Wie beobachten Sie das in der Kürze der Zeit?
Gregoritsch: Natürlich habe ich mit dem Gladbach-Spiel einen tollen Start hingelegt. Sicher schraubt das die Erwartungshaltung nach oben. Und es beschäftigt mich, wenn ich meine Torchancen nicht verwerte, aber ich mache mir um meine grundsätzliche Leistung keine Sorgen. Denn schaut man auf die Daten, sieht man, dass ich mir jedes Mal ein Bein ausreiße, viel sprinte und viele intensive Läufe mache.
Manches Mal wird dabei auch Ihr Spielstil kritisiert.
Gregoritsch: Ich habe mich damit abgefunden, dass es vom Spielstil her nicht unbedingt schön aussieht, wenn ich im Spiel nicht zu vielen Torchancen komme. Wenn ich einen Fehlpass spiele, sieht es mit 1,90 Metern Körpergröße eben ungelenker aus als bei einem, der 1,70 Meter groß ist. Natürlich gab es auch mal Phasen, da habe ich an mir gezweifelt. Ich weiß aber, dass ich wichtig bin und einen Nutzen für die Mannschaft habe. Ich bin ein großer Spieler mit einer ordentlichen Technik und einem guten Abschluss, aber ich bin nicht der Schnellste. Das passt für mich so.
In Augsburg waren Sie zwei Jahre lang Stammspieler und Leistungsträger. Dass es dort in dieser Saison für Sie so schlecht laufen würde und Sie am Ende gar im Winter den Verein wechseln würden, kam insgesamt gesehen überraschend. Für Sie auch?
Gregoritsch: Es war das erste Jahr, in dem ich richtig Verantwortung übertragen bekommen habe. In den Vorbereitungsspielen war ich zwei, dreimal Kapitän und bin in den Mannschaftsrat gewählt worden. Ich hätte im Sommer zu Werder Bremen wechseln können und habe mit Trainer und Sportchef gute Gespräche geführt, in denen es hieß, dass man mich gerne behalten und die Mannschaft mit mir gemeinsam weiter nach vorne bringen möchte. Die Erwartungen waren also hoch und in den ersten Spielen habe ich auch einfach nicht gut gespielt.
Damals konnte man auch noch nicht davon ausgehen, dass dies sozusagen der Anfang vom Ende beim FCA für Sie sein würde.
Gregoritsch: Nein, aber es begann eine schwierige Zeit für mich. Aus Augsburger Sicht war das Veto völlig verständlich. Was mich mit der Zeit getroffen hat war, dass ich dann gar nicht mehr gespielt habe. Nach den ersten schlechten Spielen war es vollkommen in Ordnung, dass ich mal 90 Minuten auf der Bank sitze. Beim zweiten Mal kam ich aber ins Grübeln und beim dritten Mal habe ich es dann auch nicht mehr verstanden.
Hatte das auch mit inhaltlichen Forderungen von Trainer Martin Schmidt zu tun?
Gregoritsch: Ja. Ich hätte vermutlich mehr sprinten und mehr Kilometer machen sollen. Vielleicht habe ich das auch nicht so richtig umsetzen können. Wir hatten dazu nach zehn Spieltagen den wenigsten Ballbesitz der gesamten Liga. Ich bin dagegen ein Spieler, der gerne den Ball hat und in dem einen oder anderen Moment frustriert ist, wenn er nur noch hinterherläuft. So hat sich nach und nach der Frust aufgestaut, wahrscheinlich auch beim Trainer.
Sie erhielten dann die nächste Bewährungsprobe am 7. Spieltag gegen Gladbach, doch das Spiel ging 1:5 verloren.
Gregoritsch: Und ich musste wieder auf die Bank. Dort saß ich dann vier Spiele in Folge und habe nur noch fünf Minuten gespielt. Darauf folgte das Interview, in dem ich Dinge gesagt habe, die ich in dem Moment so gefühlt habe.
"Hauptsache weg" aus Augsburg, war damals Ihr Tenor. Wieso haben Sie Ihren Ärger auf diese Weise öffentlich gemacht?
Gregoritsch: Es war eine Kurzschlussreaktion, in der sich wohl mein Frust entladen hat. Ich habe mich dafür entschuldigt, mit Stefan Reuter offen über alles gesprochen und es aus der Welt geräumt. Es war daher am Ende auch kein Problem mehr, dass ich mich ein halbes Jahr ausleihen lassen wollte. Das lief alles ganz fair ab. Vom letzten halben Jahr mal abgesehen, hatte ich in Augsburg zwei super Jahre und habe 21 Tore in 76 Pflichtspielen erzielt.
Sie wurden nach dem Interview für fünf Tage suspendiert - zum ersten Mal in Ihrer Karriere. Wie hat sich das angefühlt?
Gregoritsch: Total komisch. Das Gespräch, in dem mir die Suspendierung mitgeteilt wurde, war sehr kurz. Ich rechnete zwar damit, dass ich eine Strafe bekomme, aber nicht damit, dass ich komplett suspendiert werde. Ich durfte anschließend für vier Tage zu meiner Freundin fahren, doch diese Tage haben sich irgendwie nicht richtig angefühlt. Als ich mich nach meiner Rückkehr bei der Mannschaft entschuldigt habe, war es auch intern etwas komisch, weil die ja zunächst nicht wussten, wie ich zurückkomme. Ich habe mich aber in den anschließenden Trainingseinheiten voll reingeworfen und sie sahen, dass sie sich wieder auf mich verlassen konnten. Ich habe auch Daniel Baier, Rani Khedira und Alfred Finnbogason erklärt, warum ich das getan habe und wie es mir dabei gegangen ist. Mir war es wichtig, dass die Truppe merkt: Auch wenn er sich jetzt ins Aus geschossen hat und nicht mehr spielt, im Training zieht er uns nicht herunter, sondern gibt alles.
Welche Fehler haben Sie rückblickend gesehen in dieser Sache gemacht?
Gregoritsch: Ich habe mich herunterziehen lassen, zu häufig gejammert und war psychisch nicht wirklich da. Auch weil ich mir vielleicht zu sicher war und dachte, dass ich zu gut bin. Nach dem Motto: Ohne mich wird es eh nichts, ich komme sowieso bald wieder in die Mannschaft. Das muss ich mir ankreiden lassen. Ich denke aber, ich bin jetzt aufgewacht und weiß, dass es so nicht funktioniert.
Sie sind nun bis Saisonende vom FC Schalke 04 ausgeliehen. Wie überrascht waren Sie, dass ein Klub wie S04, der um Europa mitspielt, sich nach diesem Halbjahr bei Ihnen meldet?
Gregoritsch: Schon sehr, ich habe es anfangs auch ehrlich gesagt nicht geglaubt. Es war immer mein Ziel, mal zu einem so großen Verein zu kommen. Ich bin dann nach den ersten losen Gesprächen hierhergeflogen und habe mich mit David Wagner getroffen.
Wagner soll Sie mit Videoanalysen, die nur Defensivszenen zeigten, überzeugt haben.
Gregoritsch: Er zeigte mir ein paar Szenen auf dem iPad und meinte nur: Wir haben ein halbes Jahr Zeit. Hier - so verteidigen unsere Stürmer. Kannst du das? (lacht) Ich fand das super, das hat mich total gepackt. Ich wäre am liebsten sofort auf den Platz gegangen.
Und haben Sie wirklich gedacht, dass Sie das können, was Wagner illustrierte?
Gregoritsch: Ich war schon ziemlich nervös. (lacht) Ich dachte: Das ist ja genau das, von dem alle immer sagen, dass ich es nicht könnte. Der Trainer hat dann aber einen guten Satz zu mir gesagt: Wir wollen deinen Stempel - guter Fußballer, aber faul - wegwischen. Und ich habe geantwortet: Machen wir. Jetzt nach ein paar Wochen muss ich auch sagen, dass ich es mir schwerer vorgestellt habe. Es war vom ersten Tag an sehr leicht, im Verein und in der Mannschaft anzukommen. Man hat mir die Sorgen damit schnell genommen, weil mir alle extrem geholfen haben.
Wie fühlt sich diese neue Rolle für Sie während der Spiele an?
Gregoritsch: Gerade die Jungs, die hinter mir spielen, helfen mir viel dabei. Da wusste ich: Wenn die hinter mir so viel laufen, dann muss ich das auch. Natürlich ist es für mich weiterhin noch etwas ungewohnt, wirklich jedem Ball hinterher zu sprinten. Aber ich merke, dass es funktioniert und das motiviert mich enorm. Jetzt müssten noch ein paar Tore hinzukommen und ich wäre überglücklich.
Schalke besitzt keine Kaufoption und Sie haben in Augsburg noch Vertrag bis 2022. Der FCA sitzt also wieder am längeren Hebel. Befürchten Sie eine erneute Hängepartie wie vergangenen Sommer?
Gregoritsch: Der Wechsel zu Schalke ist für mich ein Schritt nach vorne. Ich möchte die Chance jetzt nutzen und mich so empfehlen, dass ich hier weiterspielen kann. Ganz egal, wie es ausgeht: Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, nicht alles versucht zu haben.
Eine Rückkehr zum FCA wäre für Sie aber vorstellbar?
Gregoritsch: Genauso ist es. Ich habe dort Vertrag und hätte kein Problem zurückzugehen. Aber aktuell bin bei Schalke 04 und setze alles daran, dem Klub und mir zu helfen. Und wenn man bei Schalke ist, will man auch dortbleiben.
Wie überraschend käme es für Sie, sollten Sie aufgrund dieser Gemengelage womöglich den Sprung in den EM-Kader von Österreich verpassen?
Gregoritsch: Ich bin seit dreieinhalb Jahren bei der Nationalmannschaft dabei, habe jeden mir möglichen Lehrgang mitgemacht und sehe mich als vollwertiges Mitglied. Ich habe einiges dafür getan, dass ich Teil des Teams sein darf. Natürlich ist es sehr wichtig, dass ich nun wieder auf regelmäßige Einsätze komme. Ich freue mich auch schon auf den nächsten Lehrgang im März. Für mich wäre es daher eine riesige Überraschung, wenn ich die EM verpassen würde.
Und wie wahrscheinlich ist es, dass Sie als gebürtiger Grazer Ihre Ankündigung wahrmachen, beim GAK Ihre Karriere zu beenden - dort, wo 2001 alles anfing?
Gregoritsch: Wenn der GAK in einer halbwegs ordentlichen Liga spielt und es irgendwie möglich ist, dann würde ich das sehr gerne machen. Das ist einfach mein Verein. Ich bin dort aufgewachsen, meine Eltern wohnen zehn Minuten vom Trainingsgelände entfernt. Manchmal gehe ich dort noch hin, mache Einzeltraining und erinnere mich an die Zeit als Kind zurück. Dort habe ich als kleiner Knirps gekickt wie ein Verrückter.