Dieser Artikel erschien erstmals am 9. März 2020.
Ein anonymer Hinweis war wohl der gewinnbringende Pluspunkt für eine Spezialeinheit der brasilianischen Militärpolizei. Einen weißen Lkw nahmen sie ins Visier, erspähten ihn, durchsuchten ihn - und fanden, was sie finden wollten. Exakt 793 Kilo und 300 Gramm Marihuana waren geladen, drei Männer wurden verhaftet. Einer von ihnen: Marcelo Pletsch, früherer Bundesligaprofi in Diensten von Borussia Mönchengladbach und Kaiserslautern. Seiner Speditionsfirma gehörte der Lkw, brasilianischen Medienberichten zufolge fungierte er als Chef der Drogenhändlerbande.
Im November 2015 war das, Pletsch saß fortan in Untersuchungshaft. Elf Monate später, im Oktober 2016, sprach ein Richter das bittere Urteil für den früheren Verteidiger: Neun Jahre und zwei Monate Gefängnis. Pletsch beteuerte zwar weiter seine Unschuld, an der Strafe änderte sich allerdings nichts.
Pletsch war 1999, damals 23 Jahre jung, vom portugiesischen Klub DF Oliveira nach Gladbach gewechselt. Ein Brasilianer, der Pletsch heißt? Die einfache Erklärung: Seine Urgroßeltern stammen aus der Pfalz, aus den kleinen Orten Jettenbach und Schwedelbach. Von Zuckerhut und Copacabana so weit entfernt wie Pletschs Spielweise von der seiner berühmten Landsmänner Ronaldinho, Ronaldo oder Rivaldo.
Statt technisch fein spielte Pletsch stets mit harter Klinge. Kompromisslos, klar, einfach, nie um ein überhartes Einsteigen verlegen. Sein Debüt für die Borussia war dementsprechend glanzlos: Bei einer 1:2-Heimniederlage gegen Alemannia Aachen wurde er zur Halbzeit für den heutigen Sportdirektor Max Eberl eingewechselt. Gladbach, wenige Monate zuvor abgestiegen, war nach vier Spieltagen Tabellenletzter in der 2. Liga.
Hans Meyer über Marcelo Pletsch: "Fußballspielen kann der nicht"
Auch dank Pletsch, der sich einen Stammplatz erkämpfte, berappelten sich die Fohlen jedoch, verpassten am Saisonende den direkten Wiederaufstieg nur knapp. Ein Jahr darauf, 2001, war es dann so weit, Pletsch kehrte mit Gladbach zurück ins Oberhaus. Deutschlandweit wurde er nun zum Kultkicker - gerade weil er ganz und gar nicht so spielte, wie man es von einem Brasilianer erwartet.
Hans Meyer, einer seiner Trainer in Gladbach, sagte in seiner typischen Art mal im Doppelpass über Pletsch: "Fußballspielen kann der nicht." Dass er dennoch meist auf den spielerisch limitierten Innenverteidiger setzte, zeigt, über welch großartige Zweikampfqualitäten Pletsch verfügte.
Insgesamt 150 Pflichtspiele absolvierte Pletsch in sechs Jahren bei der Borussia, bis heute halten ihn die Fans in liebevoller Erinnerung. Obwohl sein Abschied aus Mönchengladbach unschön verlief: Trainer Dick Advocaat setzte ihn zu Beginn der Rückrunde 2004/05 auf die Bank, Pletsch musste für die zweite Mannschaft in der Oberliga ran und moserte über seine Reservistenrolle. Als er dann doch noch einmal eine Chance bekam und gegen Bochum eingewechselt wurde, aber enttäuschte und die Fohlen letztlich mit einem Eigentor in letzter Minute die wichtigen drei Punkte kostete, platzte dem damaligen Sportdirektor Christian Hochstätter der Kragen.
"Wenn ich höre, dass ein Spieler draußen sagt: Hoffentlich verlieren wir 4:0, dann ist der Trainer und der Sportdirektor weg. Und ich dann sehe, dass Pletsch in dem Spiel gegen Bochum auch noch an zwei Gegentoren beteiligt ist, dann muss man den Verein vor solchen Leuten schützen", sagte Hochstätter seinerzeit dem ZDF. Pletsch wurde suspendiert, der unglückliche Auftritt gegen Bochum sollte sein letzter für Gladbach gewesen sein. Nachdem er weg war, keifte er zurück: "Hochstätter ist eine linke Bazille - und Borussia ist ein beschissener Verein geworden."
Marcelo Pletsch: Gladbach fehlten "Typen mit Eiern"
Worte, die Pletsch später bereute, die er in einem Interview mit 11Freunde revidierte: "Damals war ich sehr wütend, das stimmt. Ich weiß heute, dass ich überreagiert habe", erklärte der heute 43-Jährige und prangerte dann doch noch einmal die Missstände an: "Es fehlten einfach Typen, mit denen du im Abstiegskampf bestehen kannst. Kämpfertypen. Typen mit Eiern."
Im Sommer 2005 zog es Pletsch zum 1. FC Kaiserslautern. In der Hinrunde war er Stammspieler, in der Rückrunde spielte er kaum noch. Am Ende stand der Abstieg mit dem FCK - und Pletsch verließ die Bundesliga. "Nirgendwo war es so gut wie in Deutschland", sollte er später sagen.
Pletsch kickte für Panionios Athen in Griechenland, für Omonia Nikosia auf Zypern oder Vojvodina Novi Sad in Serbien. Zu gerne wäre er noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt, Ewald Lienen, der ihn noch aus Gladbach kannte, wollte Pletsch auch unbedingt zu Arminia Bielefeld holen: "Dummerweise kam die Anfrage zwei Tage vor Transferschluss rein, mein Klub stellte sich ein wenig quer und auch der Papierkram konnte nicht rechtzeitig erledigt werden."
2011 beendete Pletsch seine aktive Karriere und begann, eine Schweinezucht zu betreiben. In der Nähe seine Geburtsortes Toledo, im Südwesten Brasiliens, direkt an der Grenze zu Paraguay. Ob das Geschäft gut lief oder nicht, ist nicht überliefert. Jedenfalls musste Pletsch seinen Traum, den er schon während der Profilaufbahn hatte, seit jenem Tag im November 2015 aufgeben, als die Polizei seinen Lkw hoch nahm.
Knapp dreieinhalb Jahre hat Pletsch bereits abgesessen, 40 Prozent seiner Strafe muss er im berüchtigten Staatsgefängnis von Cascavel verbringen, das immer wieder wegen Revolten der Insassen in die Schlagzeilen gerät. Frühestens am 4. Januar 2022 kommt Pletsch bei guter Führung auf Bewährung auf freien Fuß, spätestens am 2. Februar 2025 ist er raus.
Die 23 Gladbach-Fans, die einst den Marcelo-Pletsch-Fußballgott-Fanclub (MPFF) gründeten, werden sich dann wohl auch ganz besonders freuen. Wie schrieben sie einst so treffend zu dem früheren Kultkicker: "MP ist einer, der lieber an seinen 100-Meter-Kerzen feilt, als Stammgast im Solarium oder bei der Pediküre zu sein - kurz: Er ist einer wie wir MPFF'ler - null Fußballtalent, aber das Herz eines Löwen!"