Erklären Sie bitte noch einmal, wieso Sie damals zurückgetreten sind.
Heidel: Ich habe damals gesagt, dass ich als sportlich Verantwortlicher natürlich immer die Verantwortung übernehme, aber die Schuldfrage eine andere ist. Die Kritik aus einer Ecke der Medien wurde aber immer massiver und hat natürlich für Unruhe gesorgt. Ich habe über zwei Jahre gepredigt und dafür gesorgt, dass Ruhe in diesem Verein ist. Dafür bekam ich ja sogar Lob. Jetzt war ich plötzlich selbst der Auslöser für Unruhe, und das noch in einer sportlich schwierigen Situation. Das Problem musste und habe ich dann gelöst. Auch wenn viele Verantwortliche zu mir gekommen sind und versucht haben, mich umzustimmen und zum Bleiben zu überreden, glaube ich nicht, dass es uns in der damaligen Situation noch gelungen wäre, für Ruhe zu sorgen. Aber: Ich habe niemanden im Stich gelassen, das war keine ad-hoc-Entscheidung. Ich habe Clemens Tönnies und meine Vorstandskollegen Alexander Jobst und Peter Peters eine Woche vorher darüber informiert. Das ist alles superfair gelaufen und deswegen haben wir auch bis heute noch einen guten Kontakt.
Im Nachhinein betrachtet: Die richtige Entscheidung?
Heidel: Ja! Auch wenn ich nicht glücklich darüber war und mein Weg in diesem Business sicher nicht ganz alltäglich ist. Ich habe mich auf Schalke immer sehr wohlgefühlt und mich mit diesem Club emotional total verbunden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich wäre der Letzte, der schlecht über Schalke reden würde. Bei den Spielen sitze ich mit meiner Tochter, die dann immer ein Schalke-Trikot anhat, vor dem TV und bin fast noch genauso nervös wie zu meiner Zeit als Verantwortlicher.
Aber die Schuldzuweisungen gegen Sie haben ja nicht aufgehört. Erst im März sagte Alexander Nübels Berater Stefan Backs etwa, dass Sie sich nicht gemeldet hätten, als die Nübel-Seite über eine Vertragsverlängerung auf Schalke reden wollte.
Heidel: So läuft das Geschäft. Ich bin mir aber sicher, Herr Backs würde das heute nicht mehr sagen. Ich habe Ihn nach seiner Aussage angerufen. Das ist für mich erledigt. Ich habe doch gesagt, ich rege mich nicht mehr so schnell auf. (lacht)
Heidel: "Ich habe auch schon genügend ausgeteilt"
Wieso bleibt bei Ihnen nichts hängen?
Heidel: Ich kenne das Geschäft seit 30 Jahren. Ich weiß, wie diese Szenarien ablaufen. Dass man auch mal getreten wird, das gehört einfach dazu. Aber ich bin nicht der Typ, der deswegen beleidigt wäre. Das war noch nie meine Art und natürlich habe auch ich schon genügend ausgeteilt. Unser Job spielt sich eben in der Öffentlichkeit ab und da gibt es nicht immer den Schmusekurs. Man muss aber nicht immer auf jede Aktion reagieren und eine Gegenreaktion provozieren, auf die man dann wieder reagieren muss.
Schalke gehört zu den Klubs, die in der Coronakrise die größten Probleme haben. Wenn die rund 16 Millionen Euro aus der letzten Rate der TV-Vermarktung nicht kommt, könnten auf Schalke womöglich gar die Lichter ausgehen. Wie kann das sein, dass ein paar wenige Wochen ohne Einnahmen reichen, um solche Klubs an den Rand ihrer Existenz zu bringen? Wieso ist das Fußballgeschäft so wenig nachhaltig?
Heidel: Ich glaube, das ist eine völlig falsche Einschätzung. Wir reden hier nicht über eine kleine Delle, wir reden darüber, dass einem Fußballverein Einnahmen in einer Größenordnung von 15 bis 25 Millionen wegfallen. Ich möchte den erleben, der in seinen Planungsrechnungen einen Puffer von 15 bis 25 Millionen Euro einplant. Es gibt Vereine, die haben Umsätze zwischen 80 und 120 Millionen im Jahr. Und plötzlich fehlen hier 20 Millionen! Die Klubs in Deutschland rechnen in aller Regel so, dass sie einen kleinen Überschuss erzielen. Aber wenn so etwas völlig Unplanbares passiert, bekommen fast alle Probleme. Schauen Sie sich doch in der freien Wirtschaft um, wer alles Zuschüsse und Milliardenkredite braucht. Hier steht von heute auf morgen die Produktion oder der Vertrieb still und da steht der Fußball still. Keiner kann das planen und keiner hat das geplant.
Heidel: Anteile zu verkaufen "der einfachere Weg"
Aber nun ist es eine Sache, wenn ein Klub wie beispielsweise Mainz, der auch mit Transfereinnahmen plant, nun womöglich Einnahmeneinbrüche hat, weil der Transfermarkt vielleicht einbricht. Oder wenn ein Klub wie Schalke, der seit Jahrzehnten enorme Verbindlichkeiten vor sich herschiebt, in eine solche Situation gerät.
Heidel: Vereine wie Schalke 04 haben höhere Verbindlichkeiten, etwa weil sie ein Stadion gebaut haben und das abbezahlen. Nun gibt es Klubs, die weniger Verbindlichkeiten haben, die dafür aber 20, 30 oder 40 Prozent ihrer Anteile verkauft haben. Schalke geht da bislang einen anderen Weg. Wenn ein Verein wie Schalke zur Bank geht, kann man nicht sagen, dass das schlechter ist als ein Klub, der Anteile verkauft hat und so Eigenkapital schafft. Ob das der bessere Weg ist, weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall der einfachere. Wenn man aber 100 Prozent seiner Anteile hat und einem irgendwann einmal Stadion und Klubgelände gehören, ist das vielleicht der bessere Weg. Ob das aufgrund des Wettbewerbes auf Dauer durchzuhalten ist, wird sich zeigen.
Was sagen Sie also denen, die unmittelbar mit Beginn der Coronakrise wieder die Abschaffung von 50 plus 1 aufs Tapet gebracht haben?
Heidel: Die Frage ist doch, ob wirklich sofort mehr Geld in der Kasse ist, sobald 50 plus 1 wegfällt. Also, ob dann sofort jemand mit einem großen Koffer kommen würde. Ich wäre mir da nicht so sicher. Es gibt Klubs, die auch mit 50 plus 1 Anteile verkauft haben und dadurch Eigenkapital realisiert haben. Ich habe immer dann meine Bedenken, wenn durch den Wegfall von 50 plus 1 urplötzlich beispielsweise ein Dritt- oder Viertligist, der sonst niemals in die Bundesliga kommen würde, nach oben geschossen werden würde, weil der Mann mit dem Koffer gekommen ist. Ein Platz weniger in der Liga für einen Klub, der seine Ausgaben mit seinen Einnahmen aus dem Fußball begleichen muss.
Heidels Plan bei Mainz: Ein Jahr Bundesliga - und dann mit "fettem Konto" wieder zweitklassig
Wie haben Sie sich denn damals mit Mainz willkommen gefühlt in der Bundesliga? Hat sich da jemand beklagt, dass Sie ihm den Platz in der Bundesliga geklaut hätten?
Heidel: Zunächst muss man ja anerkennen, dass wir den Aufstieg aus eigenen Mitteln und durch sportlichen Erfolg erreicht haben. Wir sind in der Bundesliga herzlich empfangen worden - als Besucher auf ein Jahr. Und ich muss ehrlich zugeben, dass wir selber auch nicht wirklich daran geglaubt haben, länger drinzubleiben. Natürlich hatten wir uns vorgenommen, alles in unserer Macht stehende zu tun, um die Sensation zu schaffen und ein zweites Jahr dranzuhängen. Aber unsere gesamte Planung war 2004 darauf ausgerichtet, dass wir ein Jahr später mit fettem Konto wieder in der Zweiten Liga spielen würden.
Mainz war unter Jürgen Klopp schon ein paar Jahre in der Spitzengruppe der Zweiten Liga, ehe es aufstieg. Gab es irgendwann den Punkt, an dem Sie gesagt haben, wir gehören da hoch?
Heidel: Die Geschichte von Mainz ist ja schon eine Besondere: 1996/1997 haben wir ja bereits einmal an der Bundesliga geschnuppert, das weiß ja kaum einer mehr. Damals wurden wir nach einem 4:5 in Wolfsburg Vierter. 2002 sind wir dann um einen Punkt gescheitert, sind mit 64 Punkten noch immer der beste Nicht-Aufsteiger. 2003 haben uns nur wenige Sekunden oder ein Tor gefehlt. 2004 haben dann 54 Punkte für den Aufstieg gereicht. Ich würde sagen, dass ganz Fußball-Deutschland uns den Aufstieg gegönnt hat, als wir es endlich geschafft haben. Und das Besondere war, dass trotz der Enttäuschungen, die wir erlebt hatten, der Zusammenhalt und die Akzeptanz immer größer wurden.
Karnevalsverein? "Gut durchdachte Marketingidee"
Wie Sie Jürgen Klopp am Rosenmontag 2001 vom Spieler zum Trainer gemacht haben, ist längst Legende. Doch hatte Mainz eigentlich auch als junger Zweitligist schon den Ruf des Karnevalsvereins?
Heidel: Doch, das hat schon zu Zweitligazeiten angefangen - allerdings haben es da noch nicht so viele Leute gemerkt. Unser Ziel in den 1990ern war immer der Klassenerhalt in der Zweiten Liga. Trainer gingen und kamen, aber irgendwie haben wir es immer geschafft. Egal, wo wir hinkamen, sangen die Leute "Ihr seid nur ein Karnevalsverein". Also habe ich irgendwann einen befreundeten Musiker gefragt ob er das Lied nicht umschreiben kann zu "WIR sind nur ein Karnevalsverein". Gesagt, getan - und so ging das dann los. Wir wollten nicht so ernst genommen werden, haben aber das, was wir getan haben, brutal ernst genommen. Karneval, die Fastnacht, ist das Eine, aber unsere Idee war schon, uns im Profifußball zu entwickeln. Es war eine gut durchdachte Marketingidee.