Kai Havertz zählt zu den begehrtesten Offensiv-Talenten in Europa. Der FC Bayern hat in Person von Ehrenpräsident Uli Hoeneß aber Abstand von einer Verpflichtung des 20-Jährigen in diesem Sommer genommen. Welche Wechsel-Optionen bleiben Havertz in Zeiten von Corona noch? Oder ergibt ein weiteres Jahr bei Bayer Leverkusen sogar mehr Sinn als ein Transfer?
Fünf Reporter aus dem Netzwerk von SPOX und Goal geben Ihren Informationsstand und Ihre Einschätzungen zur Zukunft von Havertz preis.
DEUTSCHLAND: "Ein Verbleib bei Bayer würde Sinn ergeben"
Kerry Hau (Reporter FC Bayern und DFB-Team):
Spätestens nach den Aussagen von Hoeneß im BR-Rundfunk ist klar, dass sich die Münchner Führungsriege in diesem Jahr auf einen Transfer von Leroy Sane besinnt und aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Gesamtsituation durch die Corona-Pandemie, aber auch wegen des unter Trainer Hansi Flick wieder erstarkten Thomas Müllers keinen Bedarf für eine weitere kostspielige Offensiv-Verstärkung sieht. Die Hoffnung der Bayern-Bosse: Havertz bleibt noch ein Jahr in Leverkusen und kommt 2021, um allmählich in die Fußstapfen des dann 31 Jahre alten Müllers zu treten. Ein Verbleib bei der Werkself - vorausgesetzt sie qualifiziert sich für die Champions League - würde für Havertz Sinn ergeben.
Man muss bedenken: Er ist erst 20 und mit seiner Entwicklung noch lange nicht am Ende, wie seine schwankenden Leistungen in der Hinrunde gezeigt haben. Gerade unter dem als Talentförderer bekannten Bayer-Coach Peter Bosz könnte sich Havertz vor allem in Sachen Taktik und Führungsqualitäten weiterentwickeln. Unter dem Niederländer hat er alle Freiheiten und ist in seinem Alter sogar schon einer der Kapitäne. Welcher Klub könnte ihm das sonst bieten?
Sollte er doch schon 2020 wechseln und Leverkusen ihn lieber zwei statt ein Jahr vor Vertragsende abgeben wollen, dürfte Borussia Dortmund sicher keine allzu schlechten Karten bei ihm haben. Die unter Lucien Favre praktizierte Spielphilosophie des BVB passt zu Havertz, zumal mit Julian Brandt einer seiner besten Freunde bei den Schwarz-Gelben unter Vertrag steht. BVB-Sportdirektor Michael Zorc ist ein großer Fan von Havertz und würde sich wohl um ihn bemühen, wenn Jadon Sanchos Wechselwunsch Realität wird. Aber auch nur dann. Ansonsten könnte Dortmund die am dreistelligen Millionenbereich kratzende Ablösesumme für den Nationalspieler nicht aufbringen.
SPANIEN: "Havertz zu Real oder Barca? Schwer vorstellbar"
Ignasi Oliva (Reporter FC Barcelona):
Deutsche Talente sind in Spanien sehr beliebt und allein deshalb taucht der Name Havertz immer wieder in Verbindung mit Real Madrid und dem FC Barcelona auf. Allerdings sieht keiner der beiden Klubs einen Transfer des Leverkuseners aktuell als Priorität an. Das könnte sich bei den Madrilenen bis zum Beginn der Transferperiode ändern, weil sie noch keinen klar definierten Transfer-Plan für diesen Sommer haben. Viel hängt davon ab, wie die restliche Saison verläuft und ob Präsident Florentino Perez in der wirtschaftlich komplizierten Phase zu einem Top-Transfer bereit wäre.
Man darf nicht vergessen: Perez hat einen Narren an PSG-Star Kylian Mbappe gefressen und arbeitet auf dessen Verpflichtung im Sommer 2021 hin. Außerdem herrscht bei Real nicht gerade Bedarf auf Havertz' Position. Dem aktuell an Real Sociedad ausgeliehenen Martin Ödegaard wird zugetraut, zum Spielmacher der Zukunft zu avancieren. Und es gibt ja auch noch Marco Asensio, einen weiteren jungen Offensiv-Allrounder, der nach seinem Kreuzbandriss zu Saisonbeginn auf sein Comeback hinarbeitet.
Barca hingegen möchte mit Juventus-Profi Miralem Pjanic einen erfahreneren und defensiver denkenden Stabilisator fürs Mittelfeld verpflichten. Außerdem dürfte ein hoher zweistelliger Millionenbetrag für Wunschstürmer Lautaro Martinez von Inter Mailand fällig werden, mit dem der Klub bereits sehr weit ist. Mit Havertz und Barca könnte es nur etwas werden, sollte der Pjanic-Transfer scheitern und Leverkusen bereit sein, den einen oder anderen aussortierten Spieler in den Havertz-Deal zu verrechnen, um dessen Ablösesumme zu senken. Ein verzwicktes Unterfangen, weshalb ein Wechsel von Havertz nach Spanien in diesem Sommer derzeit als "schwer vorstellbar" einzustufen ist.
ENGLAND: "Die Premier League hat wirtschaftliche Probleme"
Nizaar Kinsella (Reporter FC Chelsea):
Bis auf den FC Liverpool und Manchester City würde wohl jeder englische Top-Klub Havertz unbedingt in seinem Team haben wollen. Chelseas Wunschspieler Nummer eins heißt Jadon Sancho, sollte dieser sich aber für einen Wechsel zum ebenfalls stark interessierten Manchester United entscheiden, könnten die Blues bei Havertz in die Vollen gehen.
Dieser mag zwar auf einer anderen Position spielen als Sancho, Chelsea-Trainer Frank Lampard ist taktisch jedoch sehr flexibel. Für ihn ist wichtig, einen jungen Spieler mit Offensivdrang zu bekommen, der Tore und Vorlagen verspricht.
So oder so würde es aber für jeden englischen Klub schwierig werden, sich Transfers der Größenordnung Havertz zu leisten. Mit der Corona-Pandemie gehen auch in der Premier League große wirtschaftliche Probleme einher. Chelsea zum Beispiel hat momentan keinen Überblick über sein Budget und kann vor dem Saisonende keinen großen Transfer planen. Anderen Klubs wie Tottenham Hotspur oder dem FC Arsenal dürfte es ähnlich ergehen.
ITALIEN: "Juves Interesse ist abgekühlt"
Romero Agresti (Reporter Juventus):
Juventus wäre wahrscheinlich der einzige Klub aus Italien, der im Poker um Havertz eine reelle Chance hätte. Allerdings könnten in Zeiten von Corona nicht einmal die Bianconeri seinen Transfer finanzieren. Das im Sommer 2019 noch existente Interesse an Havertz ist auch aus einem anderen Grund längst abgekühlt: Juve hat sich mit Dejan Kulusevski von Parma Calcio bereits im Januar ein großes Offensiv-Talent gesichert.
Der 20 Jahre alte Schwede mazedonischer Abstammung, flexibel auf den beiden Außenbahnen sowie im zentralen offensiven Mittelfeld einsetzbar, kommt im Sommer für 44 Millionen Euro nach Turin. Viel mehr Investitionen wird die Alte Dame für ihre Offensive wahrscheinlich nicht tätigen.
FRANKREICH: "Faktor Tuchel hin oder her"
Naim Beneddra (Reporter Frankreich):
Havertz ist schon mit 20 ein Top-Spieler, der in der Ligue 1 seine Fähigkeiten noch problemloser unter Beweis stellen würde als in der qualitativ noch etwas besseren Bundesliga. Paris Saint-Germain wäre auf dem Papier eine gute Adresse für ihn. Er würde Teil eines ambitionierten Projektes werden und hätte mit Thomas Tuchel einen deutschen Trainer.
Das Problem: Die Offensivpositionen bei PSG sind alle schon hervorragend besetzt und es sieht auch nicht danach aus, als würden Anführer wie Neymar oder Mbappe in diesem Sommer den Klub verlassen. Eine Stammplatzgarantie gäbe es nicht - erst recht nicht in den großen, reizvollen Champions-League-Spielen. Deshalb hat sich Paris bisher auch nicht um Havertz bemüht. Und deshalb kommt sein Landsmann Julian Draxler seit über einem Jahr fast nur von der Bank. Faktor Tuchel hin oder her.
Saison 2019/20: Kai Havertz bei Bayer Leverkusen
Pflichtspiel-Minuten | 3255 |
Tore | 15 |
Vorlagen | 8 |
Kreierte Großchancen | 20 |
Vergebene Großchancen | 12 |
Passquote | 86,1 % |
Zweikampfquote | 39,5 % |