Als die letzten Minuten eines weiteren Trauerspiels heruntertickten, blickte David Wagner immer wieder auf seine Armbanduhr. Der 48-Jährige ahnte: Seine Zeit war abgelaufen. Wenige Stunden später hatte er Gewissheit: Nach dem 18. Bundesligaspiel in Folge ohne Sieg trennte sich Schalke 04 von seinem Trainer und gab den Rauswurf am nächsten Morgen bekannt.
"Wir alle hatten gehofft, dass wir die sportliche Wende zusammen mit ihm schaffen können. Leider haben die ersten beiden Spieltage der neuen Saison nicht die dafür notwendigen Leistungen und Resultate erbracht", sagte Sportvorstand Jochen Schneider: "Wir haben uns daher dazu entschlossen, den Weg des personellen Neuanfangs zu gehen. Diese Entscheidung ist uns trotz der enttäuschenden Ergebnisse alles andere als leichtgefallen."
Mit Wagner müssen auch dessen Co-Trainer Christoph Bühler und Frank Fröhling gehen.
Wagner: "Bin der Hauptverantwortliche"
Für Wagner kam das Ende auf Schalke nach knapp 15 Monaten nicht überraschend. "Ich bin der Hauptverantwortliche. Ich kenne die Mechanismen", hatte er nach der 1:3 (0:2)-Heimpleite im Krisenduell gegen Werder Bremen gesagt: "Die Argumente, die du als Trainer brauchst, sind Resultate, und die liefern wir nicht."
Im Gegenteil: Die Ergebnisse waren längst das Hauptargument für seinen Rauswurf. 8:48 Tore und magere sechs Pünktchen während der Horrorserie - eine Bilanz, die immer mehr an den Rekordverlierer Tasmania Berlin, das schlechteste Team der Ligageschichte, erinnert.
Trotzdem hatte Wagner sich zunächst noch als "Teil der Lösung" und nicht "Teil des Problems" gesehen. Sportvorstand Jochen Schneider, der allen Widerständen im Klub zum Trotz seinem Wunschtrainer immer den Rücken gestärkt hatte, folgte dieser Einschätzung nicht mehr.
Rangnick schließt Schalke-Comeback nicht aus
Als Wagner zum letzten Mal im Tunnel zu den Kabinen verschwand, hatte die Diskussion über die Konsequenzen der erneut desaströsen Leistung längst begonnen. Schon während des Spiels hatte sich Schneider mehr mit dem eigenen Smartphone als mit dem gruseligen Geschehen auf dem Platz beschäftigt.
Einen Nachfolger will Schalke "in den kommenden Tagen" präsentieren. Gehandelt wurden zuletzt unter anderem der ehemalige Mainzer Sandro Schwarz, der Ex-Augsburger Manuel Baum und der frühere Stuttgarter Alexander Zorniger - aber auch Ralf Rangnick, der schon zweimal in Gelsenkirchen arbeitete.
"Wenn ich sagen würde, Schalke interessiert mich überhaupt nicht, dann würde ich lügen", sagte der 62-jährige Rangnick am Sonntag bei Sky Sport News: "Ich bin dem Verein noch immer verbunden." Im Moment falle es ihm schwer, sich vorzustellen, ein drittes Mal zu Schalke zu gehen, sagte Rangnick: "Aber im Fußball nie zu sagen, macht nicht wirklich Sinn."
Möglich ist, dass die Königsblauen ins nächsten Spiel am kommenden Samstag (18.30 Uhr) beim Champions-League-Halbfinalisten RB Leipzig mit einem Interimstrainer gehen - in der Vergangenheit half häufig Euro-Fighter Mike Büskens aus. Dann hätte der neue Chefcoach die Länderspielpause zur Einarbeitung.
Talenteschmied Norbert Elgert steht nicht für ein Intermezzo bei den Profis zur Verfügung. "Klares Dementi. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe, die ist anspruchsvoll genug", sagte der langjährige U19-Trainer der Königsblauen am Sonntag dem SID: "Ich denke, dass ich Schalke in meiner jetzigen Position am meisten helfe."
Wagners Nachfolger hat viel Arbeit
Wer auch immer kommt, hat viel Arbeit: Die Offensive ist harmlos, die Defensive, die sich beim Dreierpack von Niclas Füllkrug (22./37./59., Foulelfmeter nach Videobeweis) auf die Zuschauerrolle beschränkte, überfordert, die Stimmung schlecht, das Selbstvertrauen auf dem Tiefpunkt.
Und auch die Disziplin ist abhandengekommen. Abwehrspieler Ozan Kabak verursachte nicht nur im zweiten Saisonspiel den zweiten Elfmeter - jeweils zum entscheidenden 0:3. Der Türke flog auch mit Gelb-Rot wegen wiederholten Foulspiels vom Platz (84.) und leistete sich eine Unsportlichkeit: Er spuckte, wie die Zeitlupe zeigte, den auf dem Rasen liegenden Bremer Ludwig Augustinsson an.
Dass Mark Uth (90.+3) quasi mit dem Abpfiff traf, änderte nichts: Mit null Punkten und 1:11 Toren war vor Schalke noch kein Bundesligist in die Saison gestartet - selbst Tasmania Berlin nicht.