BVB - Rückschlag aus dem Nichts: Die Baustellen von Borussia Dortmund

Patrick Brandenburg
29. November 202011:48
Dortmund hat mit 1:2 gegen Köln verloren.getty
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Die überraschende 1:2-Pleite von Borussia Dortmund gegen den 1. FC Köln hat drei Großbaustellen offenbart. Diese glaubte der BVB eigentlich geschlossen zu haben.

In der Nachspielzeit hatten einige Borussen innerlich wohl schon zum Jubeln angesetzt. Erling Haaland bekam den Ball zwei Meter vor dem Tor in den Fuß gespielt und stand vor seinem nächsten Wow-Moment. Doch Dortmunds Tormaschine hatte einen Glitch und semmelte den Ball am Kasten vorbei.

Nicht mal ein Remis konnte der BVB zuhause retten, gegen zuvor in 18 Spielen sieglose Kölner. Vielmehr kassierten die ambitionierten Westfalen beim 1:2 gegen den krassen Außenseiter einen herben Rückschlag, der offenbarte: Es gibt viel Arbeit für Trainer Lucien Favre.

Baustelle 1: Die Schwäche bei Standards

Die nahezu baugleichen Kölner Treffer - Ecke Ondrej Duda, Tor Ellyes Skhiri - erinnerten deutlich an ein Problem, das die Dortmunder gefühlt ewig mit sich rumschleppen. Mindestens, seitdem ihr Meisterschaftsexpress vor zwei Jahren trotz neun Punkten Vorsprung noch entgleiste. Von der Horror-Bilanz mit 19 Standard-Gegentreffern jener Spielzeit 18/19 hat sich der BVB zwar etwas distanziert. Ganz behoben wurde das Problem mit den simpelsten aller Fußballtricks aber nie.

Obwohl in Mats Hummels nun ein kopfballstarker Abräumer im Zentrum steht, bleibt Dortmund bei Ecken und Freistößen anfällig. Offenbar ist es weniger ein Problem mangelnder Lufthoheit als eins der Abstimmung, denn am Ende stand der Torschütze zwei Mal völlig frei. Das sah auch Aushilfs-Linksverteidiger Felix Passlack so, der in Vertretung wortkarger BVB-Stars den Finger in die Wunde legte: "Wir spielen Manndeckung und man muss bei seinem Gegenspieler bleiben."

Ärgerlich für die Dortmunder, dass sie sich mit diesen grundlegenden und einfach zu behebenden Fehlern wiederholt selbst in Schwierigkeiten bringen. Denn aus dem Spiel heraus hatten technisch klar unterlegene Kölner nur dann Möglichkeiten, wenn die BVB-Abwehr sie auf dem Silbertablett präsentierte: So wie beim Missverständnis zwischen Torwart Roman Bürki und Innenverteidiger Manuel Akanji. Oder bei Hummels verunglücktem Risiko-Fehlpass.

Den Titel "beste Abwehr der Liga" hat die BVB-Verteidigung nach insgesamt gutem Saisonstart mit fünf Weißen Westen jedenfalls nun wieder abgegeben. Mit neun Gegentoren liegt der BVB in dieser Statistik hinter Leipzig und Wolfsburg nur noch auf Rang drei. Das gute Gefühl der letzten Wochen, das Team habe sich über die Defensive stabilisiert, ist erst mal weg. Ein Lichtblick bleibt die Entwicklung von Akanji: Der oft kritisierte Schweizer spielt seit Wochen souverän.

Baustelle 2: Reifeprozess mit Tücken

Mit sechs Siegen aus sieben Spielen in allen Wettbewerben hatte sich der BVB zuletzt überaus stabil präsentiert. Die einzige Niederlage resultierte aus dem spannenden Kräftemessen mit dem Branchenprimus, und selbst beim Duell mit dem FC Bayern waren die Dortmunder zum ersten Mal seit Herbst 2018 nicht chancenlos.

Vergessen der frühe Blackout in der Champions League bei Lazio Rom, vergeben der Ausrutscher zu Saisonbeginn in Augsburg. "Die Mannschaft hat einen guten Spirit. Der Fokus ist da", ließ sich Sportdirektor Michael Zorc erst vor wenigen Tagen im Kicker zu einem Lob für Team und Trainer hinreißen. Offenbar zu früh.

Es ist weiter möglich, Dortmund mit schlichten Aufgaben zu überfordern. Augsburgs Mittel war der nicklige Fight, auf den vor allem Dortmunds Youngster keine Antwort hatten. Kölns Vakzine für den erwarteten Angriffswirbel war, neun Kilometer Laufwege mehr zu investieren und die Räume derart zu verdichten, dass für Goalgetter Haaland alle Wege versperrt sind. Ach ja, und Eckstöße.

Die Art und Weise der Köln-Pleite lässt vermuten, dass der BVB weiter nicht vor Rückschlägen gefeit ist. Der Reifeprozess ist längst nicht abgeschlossen, und damit sind nicht die Jungstars gemeint: Vor allem den Routiniers gab die jüngste gute Phase nicht die nötige Selbstsicherheit, Widerständen zu trotzen und auch mal die berüchtigten "dreckigen" Siege einzufahren, für die Konkurrent München gefürchtet ist.

War nach der BVB-Pleite gegen Kellerkind Köln Uwe Kraft - Pool/Getty Images

Durch die dritte Pleite der Saison droht der BVB nicht nur Bayern aus dem Blick zu verlieren. Leipzig ist vorbeigezogen, Leverkusen könnte folgen und von hinten drängen Wolfsburg, Union Berlin (!) und Gladbach.

Die gute Nachricht: Trotz aller Rückschläge lässt sich der positive Gesamttrend bei Jungstars wie Haaland, Reyna oder Bellingham nicht übersehen. Im Tempo der jüngeren Vergangenheit konnte das einfach nicht weitergehen. Die andere gute Nachricht: Bei Marco Reus und Jadon Sancho liegt gerade unfassbar viel Potenzial brach - irgendwann werden auch sie wieder glänzen.

Baustelle 3: Das Rotations-Roulette

Angesichts des knackigen Corona-Spielplans und des bei Laune zu haltenden BVB-Edelkaders ist Trainer Favre gut beraten, die Startelf häufig zu wechseln. Das hat zu Saisonbeginn eher schlecht als recht funktioniert, weil sich eine eingespielte Mannschaft nur schwerlich finden konnte und der Systemwechsel von der in der Vorsaison bewährten Dreierkette zurück zu Favres Lieblings-Grundformation im 4-5-1 lange keinen Wohlfühlfaktor bot. Bis Köln klappten die Wechsel bei System und Spielern dann aber sehr gut und ließen sich über die Resultate mehr als rechtfertigen.

Trotzdem bleibt die grundlegende Diskussion, ob Favre den richtigen Ansatz zur Schonung seiner Spieler verfolgt. Eine Alternative zum zuletzt üblichen Fünf-Neue-Pro-Spiel wäre ja auch, mit der formstärksten Elf zu starten, um nach hinten raus zu wechseln und im Idealfall netto die gleichen Spielanteile zu verteilen.

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Rotationsmeister Dortmund als eins von nur drei Teams noch keinen Treffer in der ersten halben Stunde erzielte und in der ersten Halbzeit nur drei Mal traf. Ein solches Manko auszugleichen ist ein ständiger Weg bergauf.

Auch lässt sich diskutieren, ob Favre auf das richtige Grundgerüst vertraut. Nur fünf Akteure kommen in den bislang 15 Pflichtspielen auf über 1000 Spielminuten. Über die Achse Akanji, Hummels und Haaland braucht man nicht streiten. Aber bei Axel Witsel und Thomas Meunier ist aus Leistungssicht nicht erkennbar, warum sie überdurchschnittlich lange auf dem Rasen stehen.

Dagegen kommt der heimliche BVB-Spielmacher Raphael Guerreiro, gegen Köln allerdings wegen einer Muskelzerrung draußen, nicht mal auf 800 Spielminuten. Dabei ist es so offensichtlich, dass Dortmunds Offensivspiel vom Drive des Europameisters profitiert.

Auch dynamischen Youngstern wie Reyna oder Bellingham kann man sicher mehr zutrauen, ohne sich verdächtig zu machen, sie zu "verheizen". Für Favre, der sich gerade erst von der Dauerkritik befreit fühlen durfte, bleibt sicher viel Spielraum, um auch das Rotationssystem zu optimieren.

Bundesliga: Die Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München931:131822
2.RB Leipzig918:61220
3.Borussia Dortmund921:91218
4.Bayer Leverkusen816:9718
5.Wolfsburg914:8617
6.1. FC Union Berlin921:111016
7.Borussia M'gladbach917:14315
8.FC Augsburg911:12-112
9.Eintracht Frankfurt914:16-212
10.VfB Stuttgart917:15211
11.Werder Bremen913:15-211
12.TSG Hoffenheim814:15-18
13.Hertha BSC815:18-37
14.SC Freiburg910:20-107
15.1. FC Köln910:15-56
16.1. FSV Mainz 05810:21-114
17.Arminia Bielefeld96:19-134
18.Schalke 0496:28-223