Es ist ein trauriger Geburtstag. Nicht der erste, den Gerd Müller in einem Pflegeheim verbringt, aber, so tragisch es wäre, vielleicht der letzte. Der ewige "Bomber der Nation" wird am heutigen 3. November 75 Jahre alt, doch in den emotionalen Worten seiner Frau schwingt kaum Hoffnung mit, dass noch viele folgen werden.
Ihr Mann, berichtete Uschi Müller, befinde sich in einer "traurigen Lage", eine Lage, aus der es auch keinen Ausweg mehr gibt. "Der Gerd", erzählte sie in der Bild, "schläft seinem Ende entgegen. Er schläft langsam hinüber."
Müller ist an Alzheimer erkrankt. Seit fast sechs Jahren lebt der größte Torjäger der deutschen Fußball-Geschichte daher in einem Pflegeheim südlich von München. "Ich hoffe", sagte seine Frau, "dass er nicht nachdenken kann über sein Schicksal, über eine Krankheit, die dem Menschen die letzte Würde raubt". Ihr Mann "isst so gut wie nichts mehr", liege "fast 24 Stunden im Bett, hat nur noch wenige wache Momente". An seinem Geburtstag will Uschi Müller mit ihm "Fernsehen schauen - auch wenn er nichts mitbekommt".
Die Erinnerung an Müller und seine unvergleichliche Karriere halten andere hoch, vor allem seine langjährigen Weggefährten. Der FC Bayern hat eigens eine Feier zum Jubiläum im Museum in der Allianz Arena geplant, gezwungenermaßen ohne hin, aber für ihn. Sie wissen nur zu gut, was sie ihm alle zu verdanken haben: Müller sei der "wichtigste Spieler in der Geschichte des FC Bayern", betont Franz Beckenbauer, denn: "Ohne die Tore vom Gerd wären wir noch immer in unserer alten Holzhütte an der Säbener Straße."
Müller war einmalig, unerreicht. Hintern raus, kurze Drehung, Schuss - dann machte es bumm! Der FC Bayern wäre ohne ihn kaum der ruhmreiche und reiche FC Bayern geworden, und Deutschland 1974 ohne sein unnachahmliches Siegtor zum 2:1 wohl auch nicht Weltmeister. Nach diesem 68. Treffer im erst 62. Länderspiel trat er viel zu früh aus der Nationalmannschaft zurück, in der Bundesliga müllerte er weiter: 365 Tore gelangen ihm, allein 40 in der Saison 1971/72 - "ewiger" Bestwert. Ebenso wie die sieben Torjägerkanonen.
FC Barcelona lockte Gerd Müller mit Mega-Gehalt
Seit Februar 2015 kämpft der ewige Torjäger nun seinen letzten, aussichtslosen Kampf. Es ist ein leiser Abschied, der bei aller Tragik dennoch irgendwie zu ihm passt. Denn Müller war immer der stille, schüchterne und bescheidene Star, der auf all den Trubel um seine Person verständnislos-verdruckst reagierte. Als ihn in den 1970er Jahren der FC Barcelona mit dem astronomischen Jahresgehalt von 600.000 Mark köderte, da lehnte er irritiert ab: "I mog ned, i kann doch ned mehr als a Schnitzel am Tag essen."
Während die heutigen Ehrenpräsidenten Franz Beckenbauer oder Uli Hoeneß nach der Karriere über Jahrzehnte hinweg im Rampenlicht blieben, scheute Müller die Öffentlichkeit. Der gelernte Weber war kein Charismatiker, hatte Probleme mit dem Leben außerhalb des Fußballs. In den 1980er-Jahren verfiel er dem Alkohol, geriet finanziell und privat in Not. Seine Spezln, der Franz und der Uli, fingen ihn auf, gaben ihm eine neue Aufgabe als Co-Trainer. "Ohne die Hilfe meiner Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft", sagte Müller.
Auch in den vergangenen Jahren standen die Bayern ihrem "Gerdchen", wie ihn der verstorbene Erfolgstrainer Dettmar Cramer nannte, zur Seite. "Wir helfen, wo es nur geht", sagte Hoeneß. Vor allem aber, betonte er, kümmere sich Müllers Frau "aufopferungsvoll" um ihn: Nur Corona verhinderte, dass sie ihren Mann täglich für zwei Stunden besuchte. "Furchtbar" sei diese Krankheit für den Gerd und die Familie, betonte Hoeneß, überhaupt war die Anteilnahme für "kleines, dickes Müller" (Ex-Bayern-Trainer Zlatko Tschik Cajkovski) stets groß.
Müllers Schicksal berühre ihn sehr, sagte Bundestrainer Joachim Löw schon zu dessen 70. Geburtstag, "er war wohl der allergrößte Stürmer, den wir hatten - ein Stürmer, den wir so nie mehr sehen werden". Uwe Seeler, die Ikone des Hamburger SV, ist "einfach nur traurig", wenn er an seinen früheren Mitspieler in der Nationalmannschaft denkt. Und Bayern-Star Thomas Müller, der die Tradition des "Müllerns" fortsetzt, meinte: "Die Krankheit von Gerd geht mir an die Nieren." Nicht nur ihm.