Kommentar zur Entlassung von Lucien Favre beim BVB: Selbst die Stagnation bröckelte

Jochen Tittmar
13. Dezember 202019:43
Lucien Favre ist nicht mehr Trainer des BVB.ANDREAS GEBERT/POOL/AFP/Getty Images
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Es war die richtige Entscheidung der Verantwortlichen von Borussia Dortmund, die Reißleine zu ziehen und Lucien Favre zu entlassen, weil zuletzt selbst die Stagnation des BVB unter dem Schweizer Trainer bröckelte. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Jochen Tittmar.

Ende November noch attestierte Michael Zorc Borussia Dortmund eine "insgesamt sehr gute Entwicklung". Der Sportdirektor befand: "Die Gier ist da bei der Truppe." Kurz darauf verlor der BVB dann gegen den seit 18 Spielen sieglosen 1. FC Köln - und 15 Tage später wurde nun Trainer Lucien Favre entlassen.

Es ist die richtige Entscheidung des Vereins, da der kritische Betrachtungszeitraum nicht ausschließlich die Entwicklung der vergangenen 15 Tage mit nur einem Sieg aus fünf Pflichtspielen umspannen sollte. Es geht vielmehr um die sportliche Stagnation unter Favre seit über einem ganzen Jahr. Und selbst diese bröckelte in letzter Zeit immer mehr.

Vorab: Es ist zweifelslos korrekt, dass Favre seitens des Dortmunder Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke "hervorragende Arbeit" bescheinigt wurde. Der Schweizer übernahm die Borussia 2018 in einer sensiblen Phase, als die Westfalen gerade eine Horror-Saison mit zwei verschlissenen Trainern hinter sich hatten und gar noch ein Stürmer im Kader fehlte. Aus dem Stand gelang es Favre, eine spielstarke Mannschaft zu formieren, die sehr effizienten Fußball spielte und mit neun Punkten Vorsprung Herbstmeister wurde.

Favre schaffte es auch, Spieler weiter zu entwickeln. Mehr als zwei Vizemeisterschaften waren allerdings nicht drin. Das ist an sich eine gute Ausbeute, die dem Anspruch des ambitionierten BVB entspricht. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die beiden zweiten Plätze in Spielzeiten eingefahren wurden, in denen der ärgste Rivale Bayern München strauchelte und zu packen gewesen wäre. Genau dann zur Stelle zu sein, gehört ebenso zum Verständnis des wirtschaftlich wie personell am zweitbesten aufgestellten deutschen Klubs.

Favre und der BVB: Regelmäßig dieselben Muster

Was daher nicht ganz ins Bild passt, ist Watzkes Zusatz in der offiziellen Pressemitteilung, Favre habe diese hervorragende Arbeit "in den vergangenen zweieinhalb Jahren" geleistet. Denn der BVB ließ mit zunehmender Amtszeit des 63-Jährigen immer regelmäßiger dieselben fehlerbehafteten Muster erkennen, deren Kumulation nun wohl zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen führte.

Trotz Favres beachtlicher Punktausbeute mit einem allerdings auch in jeder Saison stärker gewordenen Kader mangelte es der Borussia unter ihm an Konstanz, die sich aus einer steten positiven Entwicklung ergibt. Dazu zählen freilich auch die nackten Fakten: Zweimal war unter Favre bereits im Achtelfinale von Champions League und DFB-Pokal Schluss.

Gravierender jedoch war: Man verlor als vermeintlich erster Herausforderer nicht nur in vier Duellen gegen den FC Bayern teils deutlich, sondern kassierte auch insgesamt acht Niederlagen gegen klar schwächere Mannschaften. Wenn es innerhalb eines Spiels schwer wurde und ungeahnte Widerstände überwunden werden mussten, fehlten Favres Team zu häufig die Mittel für eine Wende ins Positive.

Warum Favres Entlassung fast schon alternativlos war

So wechselten sich gute bis sehr gute Phasen - die es selbst in der laufenden Saison gab, siehe den starken Saisonstart mit sehr wenigen Gegentoren - beständig mit den stets greifbaren nächsten Mini-Krisen ab (siehe hier die Pleite in Augsburg während genau jenem starken Saisonstart). Über die gesamten zweieinhalb Jahre gesehen schaffte es Favre sportlich, aber auch aufgrund seiner sehr demütigen Art zu selten, das gesamte fragile Gebilde Borussia Dortmund zu beruhigen.

Neben dieser fehlenden Stabilität zeichnete sich im reinen Kerngeschäft zuletzt zudem immer deutlicher ab, wie abhängig der BVB von der individuellen Qualität einzelner Spieler ist. Allen voran Torjäger Erling Haaland und der beste Fußballer des Teams, Raphael Guerreiro, sind hier zu nennen.

Waren diese Akteure nicht auf dem Platz, mangelte es an einem überzeugenden Plan, wie die Gegner bezwungen werden sollten. Stattdessen gerieten die Auftritte vorhersehbar und leicht zu durchschauen. Da den Spielern dazu immer stärker Leidenschaft, Esprit und gegen Stuttgart in Teilen gar der Wille abgingen, die Mannschaft in der Tabelle weiter an Boden verlor, war die Entscheidung der Dortmunder Verantwortlichen gegen Favre fast schon alternativlos.

Der BVB hat mit 1:5 gegen Stuttgart verloren.imago images/Poolfoto

Lucien Favre: Seine Bilanz beim BVB

WettbewerbSpieleSiegeUnentschiedenNiederlagen
Bundesliga79501415
DFL-Pokal75-2
DFL Supercup21-1
Champions League221237