Marco Reus und seine Formschwäche beim BVB: Stehaufmännchen am Boden

Von Patrick Brandenburg
Marco Reus ist seit Wochen kaum in der Lage, zum Erfolg des BVB beizutragen.
© getty

Naive Abwehr, zahnloses Zentrum, ideenloser Angriff: Marco Reus schlug nach der BVB-Blamage gegen den VfB Stuttgart Alarm. Dabei ist der Kapitän von Borussia Dortmund seit Wochen selbst kaum in der Lage, zum Erfolg beizutragen.

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Wie es sich für einen Kapitän gehört: Marco Reus geht voran. Jedenfalls in der schonungslosen Analyse nach dem Stuttgart-Debakel. "Beschämend" nannte Dortmunds Offensivstar den Auftritt seiner Borussia gegen den frechen Aufsteiger und fügte den Offenbarungseid an: "Wir sind keine Mannschaft, die gut verteidigen kann."

Angreifen aber offenbar auch nicht mehr, jedenfalls wenn Erling Haaland unpässlich ist. Als dessen Lückenbüßer ist Reus keine Lösung. Das war bei Dortmunds dritter Liga-Heimpleite in Folge mehr als offensichtlich.

Beim deftigen und denkwürdigen 1:5 gegen den VfB war Reus in der Sturmspitze verschenkt. Dort fühlt er sich nicht wohl und kann seine Stärken nicht ausspielen. Der Nummer elf des BVB gelang nicht ein einziger Torschuss. Nur 53 Ballkontakte - Reus hing in der Luft.

Mit lediglich 35 Pässen hatte der sonst oft spielstarke Regisseur nicht einmal halb so viele Ballaktionen wie Innenverteidiger Manuel Akanji. Für hohe Anspiele und harte Kopfball-Duelle fällt er sowieso traditionell aus. Nur im Abseits fiel er auf, so bei Jude Bellinghams vermeintlichem Führungstreffer, den Reus per Stellungsfehler entwertete.

BVB: Favre hatte keine Rolle für Reus

Schon in der Champions League musste Reus vorne aushelfen, auch da erfolglos. Es scheint, als habe selbst Ex-Trainer Lucien Favre offenbar nicht genau gewusst, welche Rolle er für den Kapitän vorgesehen hatte, solange Haalands Muskelfaserriss unter der Sonne Katars ausheilt.

Beim Arbeitssieg über Zenit St. Petersburg teilte sich Reus laut kluboffizieller Deutung den Part in vorderster Front mit Thorgan Hazard. Faktisch blieb er aber als Strafraumspieler meist auf sich allein gestellt und wich nur aus der Not heraus immer wieder auf Positionen aus, in denen er den Ball bekommt.

Reus stellt sich in den Dienst der Mannschaft, das ehrt ihn. Für das Problem dahinter sind andere verantwortlich. Dortmund verlässt sich zu sehr auf Haalands überragende Qualitäten. Die gesamte Statik des Spiels scheint inzwischen davon abhängig zu sein, wie der Norweger Wucht, Wille und Treffsicherheit einbringt. Trotz Warnungen hat die BVB-Chefetage keinen Backup besorgt. Stets wurde darauf verwiesen, Supertalent Youssoufa Moukoko stoße bald als veritabler Plan B zum Kader. Nun warnen alle Beteiligten, der 16-Jährige sei noch zu jung für eine tragende Rolle.

Reus scheinen die Nehmer-Qualitäten abhandengekommen

Es macht die Sache nicht einfacher, dass Reus, wie Jadon Sancho, seit Wochen der Normalform hinterherläuft und nicht einmal auf der Stammposition als Ballverteiler und Tempomacher eine große Hilfe ist.

Sky-Experte Didi Hamann ätzte bereits vor Wochen, der BVB stehe ohne Reus vielleicht sogar besser da. Weil etwa in Giovanni Reyna der nächste Shooting-Star ins Rampenlicht drängt, fragen sogar die um Fairness bemühten Ruhr Nachrichten seit einiger Zeit, ob und wie weit der 31-Jährige noch in zentraler Rolle weiterhelfe. Jüngst dokumentierte die RN das Tempodefizit der Westfalen auch mit Verweis darauf, selbst Münchens vermeintlich mit einigen Kilos kämpfender Verteidiger Niklas Süle sei mit höheren km/h-Werten geblitzt worden als der Offensiv-Routinier.

Reus, dem Stehaufmännchen früherer Tage, scheinen die Nehmer-Qualitäten abhandengekommen zu sein. Bislang hatte er nach all den Verletzungen, die seine Karriere mitprägen, stets schnell zur Topform zurückgefunden. Nicht so nach der mysteriösen Adduktoren-Verletzung aus dem Pokal-Spiel in Bremen im Februar.

Marco Reus konnte unter Favre keinen Rhythmus finden

Statt vier Wochen Zwangspause, wie vom Klub kommuniziert, kostete sie Reus satte sieben Monate und warf ihn nachhaltig aus der Spur. Ein einziges herausragendes Spiel hat Reus seither gezeigt, als Matchwinner in Hoffenheim. Im Top-Spiel gegen München traf er zur Führung, blieb am Ende aber durch den riskanten Volley-Fehlschuss in Erinnerung, der kurz vor Schluss ein Remis hätte retten können.

Drei Treffer stehen in dieser Saison erst auf seinem Konto. Dazu eine einzige magere Torvorlage - in allen drei Wettbewerben wohlgemerkt. Zum Vergleich: Vor gerade einmal zwei Spielzeiten hatte der spätere Fußballer des Jahres 2019 mit 21 Treffern und 13 Assists geglänzt.

Ein Teil des Problems, zumindest bislang: Favres Hang zur XXL-Rotation und der verständliche Wunsch, den anfälligen Reus zu schonen, kollidieren damit, dass der Nationalspieler einfach keinen Rhythmus finden kann, wenn er nicht einmal auf sechzig Prozent der Einsatzzeiten kommt.

Reus' Ankündigung karikiert seinen Führungsanspruch

Primus unter Pari statt Erster unter Gleichen: Reus agiert in vielerlei Beziehung weit unterhalb des eigenen Nennwertes. Denn auch von seiner Top-Saison als Kapitän ist er ein gutes Stück entfernt. Im Favre-Debütjahr war es wirklich seine Mannschaft, die er auf den Platz führte. Vor jedem Spiel trieb er sein Team zu den Fans von Schwarz-Gelb, applaudierend, um das angekratzte Verhältnis nach der Belastungsprobe der Bosz-Stöger-Zeit zu reparieren. Mit Erfolg. Auch trieb er die Elf auf dem Rasen an und gab dem Team via TV ein Gesicht und eine überraschend eloquente Stimme.

Davon ist zurzeit wenig zu sehen. Als begehrter Interviewgast beim TV läuft ihm Abwehrchef Mats Hummels den Rang ab. Reus' vollmundige Ankündigung kurz vorm VfB-Debakel, alle vier Partien bis Weihnachten gewinnen zu wollen, passt nicht zum blutleeren Auftritt und karikiert auch seinen Führungsanspruch. Engagement kann man ihm zwar nicht absprechen, Reus versucht stets, das Beste draus zu machen, aber die Körpersprache lässt zu wünschen übrig.

Er ist nun einmal nicht der Typ Spieler, den sich ein Fan auf dem Platz wünscht bei 0:2-Rückstand in der Crunch-Time des wichtigsten Finales der Klub-Geschichte. Im früheren Westfalenstadion sind lautstarke Reus-Kommandos selbst in Zeiten der Corona-Geisterspiele kaum zu hören. Das Signal zur Gegenwehr geht nicht von ihm aus. Und ohne Haaland sieht die BVB-Offensive bei Kontern des Gegners - wie am Ende gegen Stuttgart - beizeiten aus wie früher auf dem Bolzplatz: Die vermeintlich coolen Jungs bleiben lieber vorne und warten auf den Pass, der sie glänzen lässt.

Reus läuft noch seiner Form hinterher.
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Reus läuft noch seiner Form hinterher.

BVB: Der Spielplan von Borussia Dortmund bis zur Winterpause

DatumUhrzeitHeimAuswärtsWettbewerb
15.12.202020.30 UhrSV Werder BremenBorussia DortmundBundesliga
18.12.202020.30 UhrUnion BerlinBorussia DortmundBundesliga
22.12.202020 UhrEintracht BraunschweigBorussia DortmundDFB-Pokal