An Edin Terzics Loyalität sollte niemand zweifeln. "Darum geht's nicht. Es geht nur um Borussia Dortmund gegen Mönchengladbach", sagte der BVB-Coach auf die Frage, ob er im DFB-Pokal-Viertelfinale nun seinen künftigen Chef Marco Rose ärgern will.
Es würden auch nicht "die Trainer gegeneinander spielen, sondern die Mannschaften", ergänzte er am Montag grinsend. Als engagierter Co-Trainer unter Lucien Favre hatte Terzic bereits seine Integrität bewiesen. Auch die Tatsache, dass er entgegen aller Liga-Gepflogenheiten bereit ist, im Sommer wieder demütig in die zweite Reihe bei seinem Herzensklub zurückzutreten, dürfte Beweis genug sein: Auf Rose wartet beim BVB im Sommer ein Kollege, kein Kontrahent.
Und doch hat es natürlich einen Grund, dass alle Beteiligten krampfhaft bemüht waren, die offensichtliche Brisanz in dem Duell zwischen den beiden Kontrahenten, die bald Kollegen sein sollen, möglichst kleinzureden. Rose ist unter Druck, seit der BVB am 15. Februar verkündete, ihn zur neuen Saison aus seinem Vertrag bei Gladbach herauszukaufen und Edin Terzic zu seinem Co-Trainer zu machen, hat Gladbach nicht mehr gewonnen. Die Fans sind ohnehin auf den Barrikaden, nun werden Rose auch noch taktische Fehler vorgeworfen - ob es sie nun gab oder nicht. Rose wurde von Tag zu Tag schmallippiger, wirkte zuletzt nur noch genervt.
Terzic alles andere als eine "Lame Duck"
Der BVB dagegen hat wieder Morgenluft gewittert. Hatte der BVB zuvor unter anderem gegen Mönchengladbach und Freiburg verloren und gegen Hoffenheim nur Remis gespielt, stehen seit der Trainerentscheidung drei Siege und 10:2 Tore in der Bilanz.
Terzic scheint im Endspurt alles andere als eine "Lame Duck" zu sein. Gladbach dagegen hat kein Spiel mehr gewonnen, ist in der Champions League nach dem chancenlosen 0:2 gegen Manchester City so gut wie ausgeschieden und hat in der Bundesliga mit nun neun Punkten Rückstand den Anschluss an die Champions -League-Plätze verloren.
Dementsprechend unter Druck ist Rose. Scheidet Mönchengladbach nun gegen den BVB aus dem Pokal aus, droht die baldige Ämter-Rochade komplett absurd zu werden. Kaum auszudenken, sollte der Nichtsgewinner Rose in der kommenden Saison Chef des amtierenden DFB-Pokalsiegertrainer Terzic sein.
BVB: Terzic traut sich was - und wird belohnt
Wie auch immer: Edin Terzic hat im Schnelldurchlauf alle Gesetze der Branche kennengelernt und wirkt entsprechend gestählt. Terzic war der Co-Trainer, der nun selbst entscheiden darf; der Fan, der es auf die Trainerbank geschafft hat; die Klopp-Kopie, die vermisste Emotion an die Seitenlinie zurückbringt. Aber nach zwei Remis und vier herben Pleiten seit Amtsantritt war er zwischenzeitlich auch der Coach mit der schlimmsten Startbilanz seit Thomas Doll - bis heute ein Maßstab des Grauens bei Schwarz-Gelb. Seitdem die mittelbare BVB-Zukunft offiziell geklärt ist, wirkt Terzic fast wie befreit. Seine erste Krise hat er jedenfalls gemeistert. Er traut sich unorthodoxe und mutige Entscheidungen zu - und macht plötzlich alles richtig (oder hat das Glück auf seiner Seite).
- In Sevilla überraschte er mit einer Triple-Sechs: Um beim Achtelfinal-Hinspiel der Champions League das Zentrum maximal zu verdichten, setzte er in Mo Dahoud, Emre Can und Jude Bellingham gleich drei defensive Mittelfeldspieler ein. Der anfälligen BVB-Abwehr tat das gegen äußerst spielstarke Spanier gut. Es war der Schlüssel zum verdienten 3:2-Sieg in Andalusien, der die Tür öffnet für den Einzug ins lukrative Viertelfinale.
- Beim jüngsten 3:0 gegen Bielefeld wählte Terzic den entgegengesetzten Ansatz: Um die Mitte für die eigene Offensive zu öffnen, setze er den zuletzt aufgeblühten Dahoud als Solo-Sechser ein. Der brillierte als Mini-Chef im hinteren Zentrum und vorne hatte die Borussia durch Überzahl die nötige Power für Gegenpressing und Drive für eigene Kombinationen. Der auch unter Terzic lange Zeit schlingernde BVB macht bei der Systemumstellung allmählich Fortschritte. Womöglich wird das mutige Versprechen von Abwehrchef Mats Hummels doch noch eingelöst: "Wir wollen einen aktiveren und aggressiveren Stil gegen den Ball. Wir erarbeiten uns das im Training und ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass man es in dieser Saison noch sehen wird."
BVB: Sanchos Aufschwung ist Terzics Verdienst
Längst sichtbar ist der Aufschwung von Jadon Sancho. In der Hinrunde war der junge Engländer noch das größte Sorgenkind der Borussia. Nicht ein einziger Bundesliga-Treffer war dem Tempo-Dribbler vor der kurzen Weihnachtspause gelungen und der damalige Trainer Lucien Favre hatte das wohl zu lapidar als normalen Durchhänger eines 20-Jährigen abgetan. Terzics Lösung ist so simpel wie effektiv. "Wir haben viel mit Jadon gesprochen. Und wir helfen ihm als Mannschaft, er spielt jetzt auf der linken Seite."
Dort weiß er in Raphael Guerreiro den gar nicht mehr so heimlichen BVB-Spielmacher hinter sich. Einen Bruder im Geiste, mit dem er nach Lust und Laune kombinieren kann. Die Folge: Mit nun 11 Toren und 16 Assists in allen Wettbewerben ist Sancho fast wieder auf dem imposanten Level der Vorsaison (20/20) angekommen. Ganz nebenbei stellt er beinahe wöchentlich Bundesliga-Rekorde auf. Gegen Bielefeld erreichte er als jüngster Spieler der Geschichte die Marke von 50 Assists. Sanchos Aufschwung ist so wichtig für den BVB, um die Abhängigkeit von Stürmer Erling Haaland in Grenzen zu halten.
Im Fahrwasser von Sancho zeigen auch andere Sorgenkinder Tendenzen der Besserung. Terzic scheint selbst Marco Reus wieder in die richtige Spur gesetzt zu haben. Auf der rechten Seite hat der Coach Mateu Morey als solide Alternative zu Thomas Meunier etabliert. Selbst bei Giovanni Reyna ist ein leichter Aufwärtstrend zu erkennen. Thomas Delaney und Dahoud zeigen schon seit einiger Zeit unter Terzic, wie wichtig sie für den BVB sein können.
Und selbst Kleinigkeiten gelingen: Der hoch begabte Brasilianer Reinier befand sich schon auf dem Abstellgleis, gegen die Arminia gelang ihm nach nur 28 Sekunden das perfekte Joker-Tor - sein Debüt-Treffer für Schwarz-Gelb. Es war das erste Mal überhaupt, dass Terzic einen Torschützen bei einem Sieg einwechselt. Zuvor traf von allen seinen Einwechselspielern lediglich Youssoufa Moukoko bei der Pleite in Freiburg.
BVB: Team schleppt Favre-Erbe noch mit
Auch die gewagteste Entscheidung geht momentan für Terzic auf. Im Tor hat Terzic offiziell den Konkurrenzkampf eröffnet und Abschied von einer festen Nummer eins genommen. "Wir wollen eine Leistungskultur schaffen", sagte der Coach als Begründung. Vorerst hat Marwin Hitz den Platz zwischen den Pfosten sicher, aber der Trainer will sich von Partie zu Partie neu entscheiden. Selbst für das unmittelbar anstehende Duell mit seinem künftigen Chef Marco Rose wollte sich Terzic nicht festlegen. Die Hoffnung: Hitz und die alte Nummer 1, Roman Bürki pushen sich gegenseitig zur Höchstform.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Zwei der drei jüngsten Siege gelangen dem BVB gegen die katastrophalen Schalker und die nominell schwächste Bundesligamannschaft Bielefeld. Der BVB bleibt ein brüchiges Gebilde, viele Probleme des Favre-Erbes schleppt die Mannschaft weiter mit: Die Panik-Attacken der Abwehr, wenn es beim Gegner schnell geht; die Anfälligkeit bei Distanzschüssen und Standards; die Entwöhnung von modernen Grundelementen wie Pressing und Gegenpressing.
Selbst der klare Derby-Sieg auf Schalke war nicht so souverän, wie er hinterher gemacht wurde. Bei manchen Dingen ist Terzic schlicht darauf beschränkt, den Ton und Zeichen zu setzen, aber auch das ist wichtig. "Auf geht's Dortmund kämpfen und siegen" - den Ruf der Südtribüne hatte der bekennende BVB-Fan Terzic zu Beginn seiner Amtszeit bewusst als Motto ausgegeben, nun richtet sich der ganze Klub daran auf.
BVB: Das DFB-Viertelfinale im Überblick
Datum | Uhrzeit | Heim | Gast |
02.03.2021 | 18.30 Uhr | Jahn Regensburg | Werder Bremen |
02.03.2021 | 20.45 Uhr | Borussia Mönchengladbach | Borussia Dortmund |
03.03.2021 | 18.30 Uhr | Rot-Weiss Essen | Holstein Kiel |
03.03.2021 | 20.45 Uhr | RB Leipzig | VfL Wolfsburg |